«S-Bahn ist ein wesentlicher Attraktivitätssprung»

«Bei weiterer wirtschaftlicher Entwicklung müssen wir mit dem ÖV die Lebensqualität und die Erreichbarkeit sicherstellen.» Georg Sele, Präsident VCL

Seit 40 Jahren setzt sich der Verkehrs-Club Liechtenstein (VCL) für eine gesunde und umweltverträgliche Mobilität mit der Bahn als Rückgrat des öffentlichen Verkehrs ein. Ein Schritt auf dem Weg dorthin ist für Vereinspräsident Georg Sele die Realisierung der S-Bahn mit der Perspektive zum späteren Bau einer Oberlandbahn. 

In die Liechtensteiner Verkehrspolitik ist mit dem Mobilitätskonzept 2030 und dem Raumkonzept wieder Bewegung gekommen. Mit der S-Bahn Liechtenstein ist ein Leitprojekt enthalten, das der VCL seit Langem vorantreibt. Welche Chancen eröffnet der öffentliche Verkehr auf der Schiene und warum ist der strassenungebundene ÖV so wichtig?
Georg Sele:
Der VCL befasst sich seit 1995 mit strassenunabhängigem öffentlichem Verkehr. Dies in der Erkenntnis, dass nur ein vom Autostau unabhängiger ÖV mit mindestens 30-Minuten-Takt ein wesentliches Umsteigen bewirkt. Dank VCL-Initiative haben wir heute auf der ÖBB-Strecke Buchs-Feldkirch einen Mittelverteiler – leider mit nur wenigen für Zupendler relevanten Kursen. Der Ausbau zur S-Bahn Liechtenstein im 30-Minuten-Takt ist ein wesentlicher Attraktivitäts-Sprung, vor allem für viele Arbeitskräfte aus der Region. So werden unsere Strassen entlastet und wir bleiben ein attraktiver Wirtschaftsraum mit hoher Lebensqualität.

Ein oft gehörtes Argument gegen den Bau der S-Bahn ist, dass lediglich drei Gemeinden, Schaan, Eschen-Nendeln und Mauren-Schaanwald, an die Schienen angeschlossen sind. Was entgegnen Sie jemandem, der dies vorbringt?
Mit der S-Bahn Liechtenstein erhalten wir attraktive Haltestellen in Schaanwald bei der Industrie, in Nendeln in Fahrraddistanz zum Eschner Industriegebiet, in Schaan bei Forst-Hilti und beim Bahnhof Schaan. Die Feinverteilung wird die LIEmobil mit angepassten Kursen übernehmen. Auch die Weiterfahrt von Schaan nach Vaduz und bis Triesen. Langfristig kann die Oberlandbahn die Aufgabe bis Balzers übernehmen.

Sie sprechen die Oberlandbahn an. Welches Nachfragepotenzial sehen Sie, wenn ein grosser Teil Liechtensteins an die Schiene angebunden ist?
Als Grundlagen dienen die Volkszählung 2015 und die Beschäftigungsstatistik 2018. Im Raum Schaan-Vaduz-Triesen-Balzers pendeln heute gut 4000 in diesen Gemeinden Wohnhafte – zu etwa 75 Prozent allein im Auto. Wir schätzen, dass im Bereich Schaan – Balzers ein erheblicher Teil dieser Pendler auf die attraktive Tram-Bahn im 15-
Minuten-Takt umsteigen wird. Dies entlastet die Strassen. Dazu braucht es ein angepasstes LIEmobil-Netz, gute Radabstellanlagen bei wichtigen Haltestellen und betriebliches Mobilitätsmanagement.

Mit welchen Kosten rechnen Sie?
Die Bahn-Experten von SMA und Partner AG, Zürich, haben für die Tram-Bahn Investitionskosten von 230 Millionen Euro berechnet. Der VCL hat in der Kommunikation aufgerundet auf 300 Millionen Euro.

Worin liegt der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Mittel?
Bei weiterer wirtschaftlicher Entwicklung müssen wir die Lebensqualität unseres Landes und gleichzeitig die Erreichbarkeit sicherstellen. Dazu brauchen wir einen strassenunabhängigen ÖV als Rückgrat. Denn jeder Bau von Umfahrungsstrassen zerstört Naherholungsräume, verursacht regional noch mehr Autoverkehr und verschiebt den Stau an andere Stellen. Zudem bewirken Mittelverteiler wie die S-Bahn Liechtenstein und die Oberlandbahn eine Siedlungsverdichtung um die Haltestellen. 

Was wären die nächsten Schritte zur Realisierung der Oberlandbahn?
Der VCL durfte die Studie der Oberlandbahn in den letzten zehn Jahren immer wieder Landes- und Gemeindebehörden sowie Politikern vorstellen und mit ihnen diskutieren. Zur Realisierung müssen heute die Verkehrsrichtpläne angepasst und die nötigen Bodenreservationen vorgenommen werden.

Welchen Appell richten Sie an Politiker und Bevölkerung?
Durch Umdenken und Umsteigen von allein im Auto auf die eigenen Füsse, das Fahrrad, Fahrgemeinschaften und öffentlichen Verkehr für möglichst viele Arbeitswege tun wir Gutes für unsere Gesundheit und erhalten Naherholungsräume und Lebensqualität unseres Talraums für unsere Kinder.