Der letzte Krieger starb im Bett. Andreas Kieber (1844 –1939)

Andreas Kieber starb als letzter Soldat des liechtensteinischen Militärkontingents am 19. April 1939 im Alter von 95 Jahren. Ihn würdigte das Liechtenstein auf besondere Weise. Bild: Baron Eduard von ­Falz-Fein/Landesarchiv

Andreas Kieber, der letzte noch lebende Angehörige des Militärkontingents des Fürstentums Liechtenstein, starb am 19. April 1939. Nicht auf dem Schlachtfeld, sondern friedlich zu Hause im Bett. Als junger Soldat hatte er am letzten Feldzug teilgenommen, als die liechtensteinischen Soldaten auf das Stilfserjoch im Südtirol beordert wurden, aber glücklicherweise nie mit dem Feind in Berührung kamen. 

Text: Günther Meier 

Hochbetagt, im Alter von 95 Jahren, schloss Andreas Kieber seine Augen für immer. Mit ihm sei «ein Stück Alt-Liechtenstein» verschwunden, schrieb das Liechtensteiner Volksblatt in einem Nachruf. Den letzten Soldaten des liechtensteinischen Militärs würdigte das Land auf besondere Weise. Sowohl Fürst Franz Josef II. als auch die Regierung legten am offenen Grab des Veteranen einen Kranz nieder. Das Ableben Kiebers rief der Bevölkerung wieder in Erinnerung, dass auch Liechtenstein eine militärische Vergangenheit hatte. Nicht in erster Linie zur Landesverteidigung, noch weniger zur Eroberung neuer Gebiete, sondern vor allem als Verpflichtung aus der Teilnahme am Deutschen Bund im Jahr 1815, der auch vom kleinen Fürstentum die Bereitstellung eines Militärkontingentes verlangte. Dem losen Staatenbund von 38 Mitgliedern, der bis 1866 bestand, musste Liechtenstein eine Mannschaft von Infanteristen zur Verfügung stellen: Ursprünglich betrug das Kontingent 55 Mann, das aber 1855 auf 64 und 1862 auf 82 Mann erhöht wurde. 

Militärausbildung von vier Jahren

Der am 5. August 1844 geborene Andreas Kieber wurde 1865 zur Militärausbildung eingezogen. Der Militärdienst erfreute sich keiner besonderen Beliebtheit, aber auch das Militär selbst genoss keinen grossen Rückhalt in der Bevölkerung, insbesondere deswegen, weil das arme Land die Kosten für Ausrüstung, Ausbildung und Sold zu tragen hatte. Den Wehrdienst hatten grundsätzlich alle jungen Männer zu leisten, aber die benötigte Anzahl Rekruten erfolgte durch Auslosung unter den 18- bis 25-jährigen Männern. Wer ausgelost war, musste seine Dienstzeit von vier Jahren auf Schloss Vaduz, das als Kaserne diente, absolvieren. Neben der Ausbildung an der Waffe gehörte auch das Schwimmen zum Ausbildungsprogramm der Rekruten, wofür beim Schloss ein Schwimmbecken zur Verfügung stand. 

Andreas Kieber hatte gerade seinen ersten Ausbildungsteil hinter sich gebracht und wollte zur Arbeit auf den heimischen Bauernhof zurückkehren, als sich die politische Lage in Europa gefährlich zuspitzte. Die bekannten Rivalitäten zwischen der alten Führungsmacht des Deutschen Bundes, Österreich unter den Habsburgern, und den Preussen unter den Hohenzollern waren wieder aufgebrochen. Preussen konnte sich 1866 bei dieser Auseinandersetzung die norddeutschen Länder als Verbündete sichern, während die süddeutschen Staaten zu Österreich hielten. Italien hatte sich mit Preussen gegen Österreich verbündet, weil die Österreicher immer noch die italienischen Länder Venetien und Istrien in ihrem Besitz hielten. Aufgrund der Zuspitzung der Lage, die zum Krieg Österreich gegen Preussen führte, musste Andreas Kieber wieder in die ­Kaserne auf Schloss Vaduz zurück: Ein spezieller Übungskurs für einen allfälligen Kriegseinsatz der liechtensteinischen Truppe stand auf dem Programm. 

Andreas Kieber, Veteran und der letzte Soldat Liechtensteins vor seinem Haus in der Gemeinde Mauren.
(Bild: Pfarrer Fridolin Tschugmell)

Proteste in der Bevölkerung gegen den Kriegsdienst

Am 14. Juni 1866 erhielt Liechtenstein die Aufforderung, das Militärkontingent müsse innerhalb von zwei Wochen abmarschbereit sein. Fürst Johann II. nahm die Pflichten aus dem Deutschen Bund sehr ernst und stellte dem österreichischen Kaiser seine Truppe für die Tiroler Landesverteidigung an der Grenze zu Italien zur Verfügung. Sogar eine Erhöhung des Truppenkontingentes auf 120 Mann stellte er für den Notfall in Aussicht. Im Land herrschte vor allem darüber, aber auch generell wegen des bevorstehenden Kriegsdienstes, grosse Aufregung. Im Landtag fand eine rund sechs Stunden dauernde Debatte statt, wobei die Abgeordneten heftig gegen den Ausmarsch der liechtensteinischen Soldaten protestieren. Der Fürst reiste von Wien nach Vaduz, inspizierte die Truppe und ordnete auf den 25. Juli 1866 den Ausmarsch an. Die aufgebrachte Bevölkerung versuchte er zu beruhigen, indem er die Kosten für die Truppe übernahm. Gleichzeitig liess er den Abgeordneten des Landtags eine Stellungnahme zukommen, in der seine Beweggründe erklärt wurden – und auch, warum die Truppe nach Südtirol geschickt wurde: «Damit Meine getreuen Truppen nicht gezwungen würden an einem unsäglichen Bruderkriege thatsächlich Theil zu nehmen, habe Ich Mich unter Kenntnissnahme der Bundesversammlung mit Sr. Majestät dem Kaiser von Oestreich dahin geeinigt, dass Meine Truppen im Verein mit der tapfern Armee Oestreich’s im Süden die Grenzen Deutschland’s gegen den auswärtigen Feind vertheidigen. So glaube ich denn das Schmerzlichste und Grausamste abgewendet zu haben.» 

Keine Gefechte, aber Kälte trotz Sommer

Als sich Andreas Kieber mit seinen Kameraden am 25. Juli 1866 auf den Marsch nach Südtirol machte, war der Krieg zwischen Österreich und Preussen schon beendet, aber man traute dem wirklichen Ende der Kampfhandlungen noch nicht, da diese jederzeit wieder aufflackern könnten. Ursprünglich war vorgesehen, dass die Liechtenstein-Truppe, die über den Arlberg und Landeck das Südtirol erreichte, in Bozen stationiert werden sollte. Dann wurde der Plan geändert, die Truppe nach Prad beordert. Bei Andreas Kieber und den anderen Soldaten machte sich Unruhe bemerkbar, weil sie befürchteten, in das kalte Gebirge abkommandiert zu werden. Von Kieber ist nichts überliefert, aber ein anderer Soldat aus Triesen beschrieb in einem Brief, der in der Liechtensteinischen Landeszeitung abgedruckt wurde, die Lage: «Hier in Prad logieren wir in Kasernen. Wir wissen nicht, was mit uns geschehen wird, vielleicht müssen wir das Wormser Joch besetzen, was uns aber schwerfallen wird, denn die Mannschaft, welche wir ablösen sollen, muss bereits vor Kälte erstarren.» Die Ungewissheit hat ein Ende, als der Befehl eintraf, über das Stilfserjoch nach St. Maria zu marschieren. Der für den 11. August befürchtete Angriff der Italiener fand glücklicherweise nicht statt, aber die Mannschaft hatte genug zu kämpfen – mit der Kälte, obwohl Sommer war. Soldaten berichteten später, die Gewehre hätten nicht mehr richtig funktioniert, weil sie eingefroren waren. 

Dank an die musterhaft brave Truppe

Für den Kommandanten Peter Rheinberger war es nicht einfach, die Disziplin in der Truppe zu halten. Andreas Kieber scheint zu den braven Soldaten gehört zu haben, weil von ihm kein Fehlverhalten überliefert ist. Andere erhielten Strafen, weil sie die Waffe nicht ordnungsgemäss gepflegt hatten, weil sie nicht zu den regelmässigen Appellen erschienen oder über den Durst getrunken hatten. Und dies, obwohl sich einige der Soldaten in Briefen nach Hause darüber beklagten, wie teuer Wein und Schnaps im Südtirol seien. Schliesslich waren die Liechtensteiner Soldaten froh, den Heimweg antreten zu können, ohne mit einem Feind gekämpft zu haben. Am 26. August 1866 entliess der österreichische Brigadekommandant Major von Metz die liechtensteinische Truppe. Auf der gleichen Strecke, auf der sie gekommen waren, marschierten Andreas Kieber und seine Kameraden zurück nach Liechtenstein, rund 190 Kilometer. Mit auf den Weg nehmen konnten sie die Würdigung des Majors, der sich bei der «musterhaft braven Truppe» bedankte, die sich durch ihre «nachahmungswürdige Disziplin und Ordnung» ausgezeichnet habe: Wohl etwas viel Lob, aber vielleicht wusste er auch nichts von den disziplinarischen Schwierigkeiten des liechtensteinischen Kommandanten. 

Am 4. September 1866 empfing die erleichterte Bevölkerung die Soldaten bei ihrer Rückkehr mit Applaus. Das liechtensteinische Militärkontingent hatte damit seinen «Feldzug» beendet – seinen letzten Feldzug. Denn am 12. Februar 1868 verfügte Fürst Johann II. die Abschaffung des Militärs, nachdem der Deutsche Bund aufgelöst worden war: «Die Verhältnisse in der staatlichen Ordnung Deutschlands haben sich so geändert, dass Ich es für richtig halte, im Interesse Meines Fürstentums von der Unterhaltung eines Militärkontingentes abzusehen.»

Die Schlacht bei Königgrätz war die Entscheidungsschlacht im Deutschen Krieg, bei dem die Liechtensteiner Soldaten auf der Seite Österreichs gegen Preussen und seine Verbündeten standen. Bild: Georg Bleibtreu

1919 – Der Landtag verlangt eine Bürgerwehr

Schon 1868 war das liechtensteinische Militär abgeschafft worden. Aber Jahrzehnte später, 1919 nach der Kündigung des Zollvertrags mit Österreich, wurde im Landtag die Bildung einer Bürgerwehr beschlossen. 

Mit der Kündigung des Zollvertrags mit Österreich und dem Rückzug der Zöllner wurden Stimmen laut im Land, es brauche zur Sicherung der Grenzen eine Organisation. Am 28. August 1919 stellte die Regierung dem Landtag den Antrag, eine Bürgerwehr zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung aufzustellen. Nach einer längeren Debatte stimmte das Parlament grundsätzlich mit elf Stimmen zu. Der konkrete Antrag, wie die Bürgerwehr aussehen sollte, folgte ein paar Monate später. Die Regierung begründete ihn damit, dass für die Sicherheit ausser wenigen Polizeibeamten keine Schutzmannschaft zur Verfügung stehe. Deshalb sei die Aufstellung einer Bürgerwehr dringend notwendig. Der Landtag befasste sich am 25. November 1919 mit dem Entwurf der Regierung, konnte sich aber nicht einigen. Weil die Situation völlig verfahren war, schloss der Landtagspräsident die Sitzung ohne Beschlussfassung – das Thema Bürgerwehr war damit vom Tisch.

Zwei Jahre später stellte der Abgeordnete Peter Büchel (FBP) im Landtag den Antrag zur Aufstellung einer Landeswehr. Büchel machte geltend, der Vorschlag für eine bewaffnete Landeswehr sei bei einer Versammlung vorgebracht worden. Eine solche Landeswehr bezwecke die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie die wirksame Bekämpfung von Unruhen. Ein entsprechendes Gesetz gelangte in den Landtag, wurde mit Mehrheit beschlossen und vom Fürsten am 12. März 1921 sanktioniert. Die Regierung ersuchte den Fürsten, mit der Umsetzung noch zu warten: Ausschlaggebend dafür waren der Geldmangel für die Beschaffung von Ausrüstung und Waffen sowie die Abneigung gegen eine bewaffnete Organisation in Teilen der Bevölkerung. 

Zudem zeichnete sich ein parteipolitischer Konflikt ab. Während die Fortschrittliche Bürgerpartei eine Landeswehr aufstellen wollte, sträubte sich die Vaterländische Union dagegen. Schliesslich einigten sich die Parteien: Am 30. Dezember 1925 beschloss der Landtag, das nie in Kraft getretene Gesetz über die Landeswehr aufzuheben.