Alte Musik ist für die Jungen neue Musik
Letztes Jahr zelebrierte Radio Liechtenstein die 90er-Jahre. Dieses Jahr, just zum Frühlingsanfang – findet am 21. März der grosse 80er-Tag statt. Warum Retro-Sound grossen Anklang findet, erklärt Michel Erismann, Musikchef und Leiter Unterhaltung bei Radio Liechtenstein.
Zeitgenössische Popmusiker bedienen sich gerne in der klassischen Musik. Der russische Komponist Sergei Rachmaninov ist für den Song «Russians» von Sting und für «All by myself» von Celine Dion die Basis, Paul McCartney erklärte, dass die Vorlage zum Beatles-Song «Because» aus Beethoven’s Mondschein-Sonate stammt und sogar bei Oasis und Maroon 5 stand der Barock-Komponist Johannes Pachelbel mit seinem «Kanon» Pate. Alte Musik wird neu interpretiert unter dem Motto «Warum denn neu erfinden, wenn das Gute nahe liegt?». Hits mit Wiedererkennung am Radio zu spielen, ist heute einfacher denn je, schliesslich kann man aus einem riesigen Fundus aus fast 70 Jahren Musikproduktionen das Beste auswählen. Notabene sind auch die beiden ganz grossen Musiker aus den 60er-jahren immer noch auf den Bühnen der Welt unterwegs – die beiden 80-jährigen Mick Jagger und Paul McCartney. Der Schweizer Radiosender «20 Minuten Radio» plätscherte zwei Jahre erfolglos im Äther, bis man sich entschloss, neu den Fokus auf 80er-Jahre-Sound zu legen. Vorreiter und Vorbild sind die Musiksender «Vintage Radio» und neu auch «Flashback FM», die ausschliesslich Musik aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren spielen und als einzige Sender in der Schweiz auch im letzten Jahr ständig an Reichweite zugelegt haben. Aber warum findet die gute, alte Musik immer noch so ein grosses Publikum? Ganz einfach: Für die Jungen ist alte Musik eben neue Musik, die sie erst jetzt entdecken! Die Begeisterung meiner Kinder beim Anhören von «Stairway to heaven» von Led Zeppelin oder «Hotel California» von den Eagles sprach Bände. Durch mich als grossen Beatles-Fan fanden auch alle den Zugang zu diesen vier Wegbereitern des modernen Pop. Natürlich sind sie, wie die meisten Teenies, musikalisch auch voll in ihrer Generation zu Hause mit Vorlieben für Rap, HipHop, Trap oder Indie-Pop. Aber das ist – entschuldigen sie den Superlativ – schlicht phänomenal: Die heutige Generation lässt sich nicht festlegen, denn zu gross, zu massiv und zu umfassend ist die Auswahl an Musik. Als ich jung war, kursierte noch der Spruch «liegt der Popper tot im Keller, war der Punker wieder schneller». Da wurde man über seinen Musikgeschmack klassifiziert und schubladisiert, aber das sind glücklicherweise tempi passati. Wer damals ABBA-Fan war, musste sich verstecken, heute ist es chic und zeitgemäss, sogar mit seinen halbwüchsigen Kindern das ABBA-Musical zu besuchen. Schämen muss sich niemand mehr. Auch wenn am Samstag, 12. August, in Vaduz die zweite Beatles-Party stattfindet, wird man wieder zahlreiche junge Menschen mitwippen und singen sehen, umringt von Eltern und oft auch Grosseltern.
Zurück in die Gegenwart
Das Musikprogramm von Radio Liechtenstein ist durchwegs ausgewogen und bringt auch alle aktuellen Hits von Ed Sheeran über Miley Cyrus bis Taylor Swift. Trotz Retrowelle finden die besten Interpreten ihren Platz bei uns. Vor ein paar Jahren belegte eine Studie, dass die Ü50-Hörer gar mehr aktuelle Musik hören als die jüngere Generation, die wahrscheinlich auch viel damit zu tun hat, die alten Songs zu entdecken und abzuarbeiten. Somit ist klar, dass es der Musik-Mix ist, der die Hörerzahl eines Senders nach oben oder unten bewegen kann. Im Durchschnitt hört ein Zielpublikum während 20 Minuten täglich Radio. In diesen 20 Minuten muss der zusammen gestellte Mix stimmen, damit man sein musikalisches Format transportieren kann. Nicht nur der Anteil an Oldies und aktueller Musik muss stimmen, auch der Wortanteil und die Tatsache, dass die Hörerschaft a) informiert und b) unterhalten ist. Ein Schmunzeln, eine Kuriosität, ein Mehrwert in der Moderation, die Information, dass die Welt noch steht – all das muss in dieser kurzen Zeit vermittelt werden.
Radio Liechtenstein im musikalischen «Bio-Rhythmus»
Es gibt Dinge, die ein Musikchef beim Radio berücksichtigen sollte. Zum Beispiel, dass ein guter Song nicht immer gleich gut ist. Es kommt darauf an, wann ich ihn höre, wie es mir dabei geht und wo ich ihn höre. Liebeslieder provozieren Melancholie, Stimmungssongs provozieren oft gute Laune und nach einem kritischen Blick in den Spiegel, will man vielleicht keinen Oldie hören, weil man den Alterungsprozess an sich selber schon genug feststellt. So versuchen wir bei Radio Liechtenstein, gewisse Dinge zu berücksichtigen, wie zum Beispiel, dass wir in der Morgensendung eher Uptempo-Songs spielen und abends ab 22 Uhr den Tag ausklingen lassen mit beruhigenden und langsamen Songs. Auf sogenannte Spezial-Sendungen am Abend verzichten wir, denn abends haben wir, wie alle Sender, viel weniger Hörer, warum sollen wir dann noch die letzten mit «special interest» vertreiben? Darum finden bei uns ab 20 Uhr auch die «greatest hits of all time» statt, und dort darf dann auch mal der 14-minütige Song «Dancing with the moonlit knight» von Genesis erklingen.
Talking ‘bout my generation
Zugegeben, als Vater von erwachsenen Kindern kann ich mitfühlen, wie sich die Generation Z von uns abheben will und muss und doch immer wieder mit der Vergangenheit konfrontiert wird. Ich muss zwischenzeitlich auf die Zähne beissen, um nicht immer dieselben Sätze zu sagen, nämlich «hatten wir schon» oder «gab’s schon»! Ja, enorm viel Musik wird heute aus alten Songvorlagen recycelt, zahlreiche Drehbücher sind ein Abklatsch von älteren Originalvorlagen. Sogenannte Remakes überschwemmten in den 2000ern regelrecht den Markt. Vielleicht werden die heutigen Jahre in die Geschichte eingehen, als Recycling-Jahrzehnt, aber man muss bedenken, dass man sich lieber Bekanntem als Unbekanntem gegenübersieht. Wenn ich an das Gesicht meiner Mutter denke, als die ersten Punker die Strassen unsicher machten, bin ich mit der heutigen Entwicklung noch ganz zufrieden, und es gibt wenig, das mich und andere meiner Generation schockieren kann, weil, ja eben weil «hatten wir schon» und «gab’s schon».
Zurück in die Zukunft
Der grosse 80er-Tag auf Radio Liechtenstein am 21. März bringt nicht nur musikalische Flashbacks, sondern auch Erinnerungen aus dem farbenfrohen Jahrzehnt in Sachen TV, Kino und Lifestyle. Wir blenden zurück und bringen amüsante, unterhaltende, aber auch nachdenkliche Beiträge wie zum GAU in Tschernobyl, zum Beginn des Siegeszugs von Macintosh, zum Kinokassenerfolg «Back to the future» oder Tondokumente vom Mauerfall. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dieses krasse Jahrzehnt nur als Kleinkind oder gar nicht erlebt. Trotzdem ist die Vorfreude durch alle Generationen gross, und die meisten kennen die Songs, die Geschichte und die Skandale der 80er-Jahre.