Liechtensteiner Radiomacherin mit Herz

Die Stimme von Tanja Cissé schallt in Liechtenstein seit mittlerweile fast zwei Jahrzehnten aus den Lautsprechern – zuerst als Moderatorin, seit vielen Jahren auch als Redaktorin beziehungsweise Redaktionsleiterin von Radio Liechtenstein. Eines aber hat sich nie geändert: Geht das rote Licht an, schiesst der Radiomacherin das Adrenalin in die Adern.  

Eigentlich hätte die Radio-Karriere von Tanja Cissé nach drei Jahren vorbei sein sollen, zumindest nach ihren eigenen Prognosen. Mehr als diese begrenzte Zeit im Radiogeschäft traute sich die heute 40-jährige Mutter von zwei Mädchen im Alter von sechs und 14 Jahren nach ihrer Ausbildung als Tourismus- und Hotelfachfrau im Jahr 2002 noch nicht zu. Sie ging davon aus, dass die Arbeit als Moderatorin sie an ihre Grenzen bringen könnte. An die Grenzen mag sie wohl mehr als einmal gekommen sein, darüber hinaus hingegen nicht, denn Tanja Cissé fungiert bis heute als eine der wichtigen Stimmen des Landes. 

Dialekt als schlagendes Jobargument
Genau mit diesem Argument, «Stimme aus dem Land mit dem richtigen Dialekt», überzeugte sie damals als 22-Jährige übrigens ihre Vorgesetzten davon, sie einzustellen: «Es brucht meh Liachtastoner Stimma bim Radio L», sagte sie klar, wurde engagiert und sorgte kurz darauf am Radio L-Mikrofon für gute Stimmung. «Heute denke ich oft, wenn ich die Stimmen unserer neuen Mitarbeiter höre, dass ich nicht weiss, ob ich mich behalten hätte», sagt Cissé und lacht. Bei ihr habe es sehr lange gedauert, bis sie akzeptabel geklungen habe, erklärt sie selbstkritisch. «Ich glaube nicht, dass ich der prädestinierte Radiomensch war – stimmlich.» Zumindest heute ist davon aber nichts mehr zu merken. 

Wechsel von der Unterhaltung in die Information
Viel länger als ihre prognostizierten drei Jahre arbeitete die Unterländerin bei Radio Liechtenstein nicht nur an ihrer Stimme, sondern an ihrem gesamten journalistischen Portfolio. Zu Anfang ihrer Radiolaufbahn kam es für Tanja Cissé noch nicht infrage, in der Redaktion zu arbeiten. Sie liebte es, bei Musik im Studio zu stehen und den Hörern gute Laune zu vermitteln: «Das ist die Aufgabe der Moderation», sagt sie. 

Nach rund zehn Jahren in der Unterhaltungssparte beim Liechtensteiner Rundfunk war die Eschnerin schliesslich bereit, neue Tätigkeitsfelder mit etwas mehr Tiefgang zu betreten, namentlich in der Redaktion. Sie übernahm Nachrichtenschichten und stellte fest, dass nun andere Fähigkeiten gefragt sind: «Es ging lange, bis ich mich auch im Gebrauch der hochdeutschen Sprache wohlfühlte», sagt Tanja Cissé rückblickend. «Und natürlich braucht es in der Redaktion viel mehr Allgemeinwissen als in der Moderation», ergänzt sie. Dies, genauso wie landesspezifisches politisches Wissen, eignete sich die Radiofrau stetig weiter an. 

Wenn ich etwas verspreche, halte ich mich daran. Das wissen meine Gesprächspartner mittlerweile.

Tanja Cissé, Moderatorin und Redaktorin

Obwohl sie nun auch in der Redaktion tätig war, blieb sie mit einem Bein in der Moderation, von der sie sich nicht trennen mochte. Nach dem Abgang von Chefredaktor Martin Frommelt musste sie als dessen Stellvertreterin das Ruder in der Redaktion allerdings von einem auf den anderen Tag übernehmen. Es ging darum, sich in die neue Führungsposition einzuarbeiten: «Damals ging alles sehr schnell und so stand ich da als Chefin – ohne Kontakte, ohne Telefonnummern von Parteichefs und ohne Quellen», sagt Tanja Cissé. Ihre Aufgabe war es nun, sich neben den täglichen Aufgaben ein Netzwerk aufzubauen und Vertrauen in ihre Person zu schaffen, «was in diesem Land wirklich eine schwierige Aufgabe ist», sagt sie schmunzelnd. «Meine Gesprächspartner müssen wissen, dass sie sich darauf verlassen können, dass nicht alles, was sie mir vertraulich weitergeben, danach gleich im Radio zu hören ist. Und wenn es eine Sperrfrist gibt, dies auch so eingehalten wird. Wenn ich etwas verspreche, halte ich mich daran. Das wissen meine Gesprächspartner mittlerweile.» 

Tanja Cissé hat sich den Ruf als ernstzunehmende Redaktorin und Medienpartnerin erarbeitet. Sie achtet auf Ausgewogenheit und Fairness und wird akzeptiert, selbst wenn die Fragen einmal kritisch ausfallen und deshalb unbequem sein können.  

Auszeit in westafrikanischem Waisenhaus
Seit 19 Jahren vernehmen die Radio Liechtenstein-Hörer die Stimme von Tanja Cissé fast jeden Tag. Im Jahr 2013 wurde es allerdings auf einmal still um sie. Sie nahm sich damals eine Auszeit vom manchmal stressigen Alltag in Liechtenstein mit Beruf, Familie und allem anderen, was einen so umtreibt. Sie wollte aber nicht einfach verreisen und irgendwo die Füsse hochlagern. Es sollte schon etwas fürs Herz sein. Da bot sich Burkina Faso an: Erstens, weil in dem westafrikanischen Land die Wurzeln ihrer Adoptivtochter Kesia liegen und zweitens, weil Tanja Cissé dort ein Waisenhaus kannte, das der Verein für Humanitäre Hilfe Liechtenstein betreibt. Diesem Verein trat sie bei und unterstützte dessen Arbeit, indem sie in der Verwaltung und im Kindergarten des Waisenhauses mitarbeitete. Kesia besuchte derweil die erste Klasse und lernte viel über ihre alte Heimat – so zum Beispiel den für ihre Mutter nicht bewältigbaren lokalen Dialekt Moré. «Für mich klingt das wie Chinesisch, so nasal», sagt Tanja Cissé, lacht und winkt ab. «Kesia hat mir nie erzählt, dass sie sich mit ihren Schulfreunden in Moré unterhielt.» Sie selbst verständigte sich in Burkina Faso in der Amtssprache Französisch, was meistens wunderbar funktionierte. Einmal sei sie aber auf dem Markt bei Verhandlungen mit einem nicht-französischsprachigen Händler nicht weitergekommen. Da habe Kesia ganz spontan übersetzt und ihr erklärt, wieviel der Mann für seine Ware verlangte. 

Tanja Cissé genoss die komplett entschleunigte Zeit in dem westafrikanischen Land in vollen Zügen. Ohne Fernseher und in der ersten Zeit sogar ohne Computer sass sie mit ihrer Tochter abends vor einem Friseurladen und unterhielt sich dort in aller Seelenruhe mit den Leuten. Es sei eine wunderschöne Zeit gewesen, schwärmt die weltoffene 40-Jährige bei der Erinnerung daran. Es sei ihre Tochter gewesen, welche die Rückkehr nach Liechtenstein freudiger angetreten habe als sie selbst. Dennoch schaffte auch Tanja Cissé die Beschleunigung in den Liechtensteiner Alltag problemlos. Mitten in der Corona-Pandemie trotzt sie dem stressigen Alltag wie der vielbeschriebene Fels in der Brandung – bei der Arbeit und in der Familie.

Corona fordert Maximum an Flexibilität
Schon immer war das Radio ein kurzlebiges Medium. Was am Morgen in der Redaktionssitzung als Thema besprochen wird, kann bis zum Mittag unter Umständen schon wieder komplett überholt sein. Vor allem in der Corona-Pandemie ist Flexibilität mehr denn je gefordert. «Es gab Zeiten, da waren der Moderator und ich fast die einzigen Personen im Studio», sagt die Redaktionsleiterin. «Wenn man mir ein paar Monate vor Corona gesagt hätte, dass unsere Mitarbeiter Radio aus dem Homeoffice machen können und das innert kürzester Zeit, hätte ich das nicht geglaubt», sagt Cissé. Ebenfalls ein Kind der Pandemie sind die Live-Sendungen zur aktuellen Lage. Nicht nur Tanja Cissé, die durch diese Sendungen führt, sondern auch die jeweiligen Regierungsräte, zeigten sich dabei jeweils sehr flexibel. So wurde nicht nur über die allgemeine Situation, Neuerungen, Massnahmen oder deren Lockerungen informiert. Es ging auch darum, auf die Hörer einzugehen und deren Fragen zur Situation live in der Sendung zu beantworten. «Da war es manchmal gar nicht so einfach, den roten Faden nicht zu verlieren.» Ein grosses Kompliment macht sie dabei den Regierungsräten, die sich nicht scheuten, die verschiedenen Fragen der Hörer, welche sie vorher nicht kannten, live im Radio zu beantworten. Auch den Hörern gilt ihr Dank: «Sie haben Radio Liechtenstein während der Corona-Pandemie viel Treue bewiesen und sich bei uns informiert, sowohl am Sender als auch online und in den Sozialen Medien. – dafür Herzlichen Dank, wir geben weiterhin täglich unser Bestes.» 

Gerade in der stressigen Corona-Zeit ist Tanja Cissés Liebe zum Medium Radio weiter gewachsen. «Die neuen Live-Sendungen sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir trotz grosser Konkurrenz im Internet und den Sozialen Medien immer noch das schnellste Medium sein können. Ausserdem sind wir unseren Hörern besonders nah – und darauf sind wir stolz.» Tanja Cissé ist bereit, die Radio Liechtenstein-Hörer auch in Zukunft zu informieren und zu begleiten. Und eines, sagt sie, vergeht nie: «Jedes Mal, wenn die ‹On Air›-Lampe rot aufleuchtet, schiesst das Adrenalin in meine Adern!»