Frischzellenkur für Radio Liechenstein

Unterhaltungsleiter Michel Erismann

lie:zeit im Gespräch mit dem Unterhaltungsleiter Michel Erismann

Radio L hat seit 1. September ein verändertes Programm, musikalisch wie inhaltlich. Hauptverantwortlich dafür ist der Schweizer Radioprofi Michel Erismann. Seit 1. Mai als Leiter Unterhaltung angestellt, hat er dem Sender eine Frischzellenkur verpasst.

Sie haben einige Veränderungen vorgenommen am öffentlich-rechtlichen Staatssender Radio Liechtenstein. War denn vorher vieles schlecht?
Michel Erismann: Natürlich nicht! Aber man muss den Zeitgeist spiegeln und sich als schnelles Medium immer wieder hinterfragen und allenfalls Anpassungen vornehmen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Radio L haben in der Vergangenheit einen sehr guten Job gemacht, meine Sicht von aussen brachte neue Inputs, die auch seitens des Teams als Bereicherung empfunden werden.

Als ehemaliger Mitarbeiter beim Schweizer Radio SRF 1 haben sie Erfahrung mit dem öffentlich-rechtlichen Radio. Können sie heute bei Radio L davon profitieren?
Ganz bestimmt. Wir haben auch hier einen klaren Auftrag des Landes, wir versuchen alle gesellschaftlichen Schichten zu erreichen, die verschiedensten Themen abzudecken und dem Land auch eine mediale Identität zu geben. Ich finde es wichtig, einen hohen Anspruch zu haben, ein seriöses, aber auch unterhaltendes Programm zu gestalten. Beim Privatradio kennt man oft keine geschmacklichen Grenzen, weil man sie schlicht nicht kennen muss.

Wissen sie denn wie das Land «tickt»?
Ich lerne täglich dazu und freue mich auch darauf, Land und Leute immer mehr zu spüren. Meine Aufgabe als Leiter Unterhaltung ist es, die Hörerinnen und Hörer zu unterhalten, mit dem bestem Musik-Mix, einer dosierten Prise Humor und allen Themen, die die Leute im Land neben den Nachrichten interessieren. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Um die Menschen zu erreichen, muss man wissen wie sie «ticken» und ihr «Aber» entschlüsseln.

Ihr «Aber?»
«Ich finde diesen Witz lustig, aber»…. oder «ich mag die Musik an eurem Radio, aber», «das ist schon so wie sie es sagen, aber»: Das höre ich hier immer wieder und es zeigt mir, dass ich genau dieses «Aber» fokussieren muss, denn darin steckt alles, was ich noch lernen und erfahren will in Liechtenstein.    

Wie macht man ein erfolgreiches Radioprogramm?
Schauen Sie, vor 20 Jahren gab es in der Schweiz eine Invasion von deutschen Beratern, die Radioprogramme analysierten und mit Hilfe sogenannter Musikauditorien Songs vor Publikum testen liessen und damit die populärsten Titel eruierten. Man hat Formate definiert, die maximal 200 gut getesteten Titel rauf und runter gespielt und sich strikte an definierte Vorgaben gehalten. Dummerweise wurden mit der Musik auch die Moderatoren «formatiert». Das Ergebnis war, dass gestandene, intelligente Moderatoren gegen Werbesprüche-Klopfer ausgetauscht wurden, begleitet durch immer wieder dieselben Songs. Und da fast alle Radios so funktionierten, konnte man als Hörer kaum ausweichen. Der Kollaps des Mediums Radio stand bevor, glücklicherweise retteten dann die Internet-Radios und auch die neue Verbreitung per DAB+ dank des plötzlich grossen Angebots den Ruf des Radios und haben die Vielfalt gewährleistet. 

Sie haben die musikalische Ausrichtung verschiedenster Radios geprägt, Sie sind sogar selber Musiker: Was ist das ultimative Rezept bei der Musikauswahl?
Als allgemein gültiges Rezept gilt nur die sogenannte Wiedererkennung eines Titels. Ob das der Interpret ist, den man auf Anhieb erkennt oder die Melodie, die eingängig und bekannt ist. Mehr kann man auch mit den besten Analysen nicht herausfinden. Für mich als Musikverantwortlicher ist es wichtig, Jung und Alt zu bedienen. Zielgruppen wurden früher in Altersgruppen unterteilt, heute redet man von Lifestyle-Gruppen. 14-jährige hören auch volkstümliche Schlager, 60-jährige auch aktuelle Hits, früher konnte man sich über das Alter orientieren, heute geht das nicht mehr. Bei Radio Liechtenstein heisst die Lifestyle-Gruppe schlicht «Liechtenstein». Das ist der grösste anzunehmende gemeinsame Nenner. Deswegen darf das Musikangebot auch auf alle Seiten offener sein als bei anderen Radios. 

Wie gehen Sie mit Kritik an der Musikauswahl um?
Da muss unterschieden werden, wie sachlich und begründet die Kritik effektiv ist. Man muss sich auch stets bewusst sein, dass die meisten Menschen lediglich Ausschnitte aus dem gesamten Tagesprogramm hören. Schaltet jemand dreimal am Tag für 20 Minuten ein und hört absolut zufällig zweimal den gleichen Titel, so kann er tatsächlich das Gefühl bekommen, wir würden uns ständig wiederholen. Ganz wenige Titel werden maximal viermal pro Tag gespielt, was viel weniger ist, als die meisten Kritiker vermuten.

Interessantes Thema. Gibt es weitere Beispiele zu falschem Wissen oder falschen Vorstellungen?
Ja klar! Es wird gerne vermutet, wir würden ältere Titel spielen, da sie günstiger seien und auch deshalb Titel mehrfach spielen. Allerdings spielt es absolut keine Rolle wie alt ein Titel ist oder wie oft wir ihn spielen. Die kostspieligen Urheberrechte berechnen sich rein nach der Sendezeit dieser abgepflichtigen Musik. Selbst ein 40 Jahre alter Titel in Endlosschleife würde die gleichen Kosten verursachen. Wir lieben die Musik und wählen sie deshalb sehr behutsam und mit Blick auf die Sendezeiten und das begleitende Programm aus. 

Sie unterscheiden konsequent zwischen Redaktoren und Moderatoren. Warum?
Der Redaktor informiert, der Moderator unterhält, beides zu mischen ist nicht gut. Wenn der Moderator Comedy macht und eine Stunde später die Informationssendung präsentiert, ist das wenig glaubwürdig. Wenn der Redaktor witzelt am Mikrofon genauso wenig. Gut gemachte Unterhaltung und ein gut gemachtes Nachrichtenbulletin sind zwei grundverschiedene Inhaltselemente. Das Weltgeschehen ist zwischenzeitlich sehr anstrengend, aber wir dürfen trotzdem den Glauben an ein leichteres Leben nicht verlieren, dafür sorgt der Moderator. Das ist eine grosse Herausforderung.  

Wie wird man denn ein guter Moderator?
Es klingt vielleicht abgedroschen, aber man wird mit diesem Talent geboren. Meine Aufgabe war und ist es, die kleineren und grösseren Talente zu entdecken und in richtige Bahnen zu leiten. Vieles ist mir gelungen, wenige sind an sich selber gescheitert. Denn nur weil jemand den ganzen Tag viel redet, macht ihn das noch nicht zum Moderator. Erst wenn er weiss, wie er sein Talent einsetzen soll und sich als Dienstleister gegenüber dem Hörer sieht, klappt es. Es ist aber auch enorm anspruchsvoll, zu unterhalten und dabei nicht in den «Sauglattismus» zu rutschen, es braucht intuitives Gespür, Themen zu finden, die die Menschen jenseits von Politik und Nachrichten beschäftigen. Ein guter Moderator liest nicht einfach nur ein Manuskript vor, er weiss auswendig, was er sagen will. Genauso wie er im täglichen Leben auch kein Manuskript für eine zwischenmenschliche Unterhaltung braucht. Die Nacherzählung ist das Rezept: Erzähl die Geschichte mit deinen Worten, so wie du sie im Kopf hast. Das ist authentisch und das breite Publikum versteht es. Der Moderator sollte sich nicht klüger machen als er ist, man merkt, wenn er nur aus Wikipedia zitiert. Und da der Moderator das Aushängeschild eines jeden Senders ist, und der Hörer den Sender daran misst, kann in solchen Situationen das ganze Unternehmen in Schieflage geraten. Dieser Verantwortung muss sich jeder Radioprofi bewusst sein.   

Abschliessend die Zukunftsfrage: Wo wollen Sie mit Radio Liechtenstein hin?
Radio Liechtenstein ist in der Bevölkerung gut akzeptiert, jedoch gibt es auch eine Gegnerschaft, die immer wieder lautstark reklamiert. Ich verstehe das nicht so ganz und versuche die Gründe herauszufinden. Natürlich kann man es nicht allen recht machen, natürlich müssen und können nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner Radio Liechtenstein hören und lieben, aber bitte, was kann denn falsch sein an einem staatserhaltenden, politisch neutralen Radio, das die Bevölkerung täglich objektiv informiert, unterhält und das Land in den Fokus stellt? Ein Ziel für die Zukunft ist deshalb, noch breitere Akzeptanz für Radio Liechtenstein zu schaffen, indem wir noch besser verständlich machen, was wir tun und worin der Nutzen für das Land und die Bevölkerung liegt. Das wichtigste Ziel aber ist ganz einfach, den Hörerinnen und Hörern ein tägliches Radioprogramm anzubieten, in dem sie ihr Land reflektiert sehen und sich notabene dabei wohlfühlen.