Bei der Gutenachtgeschichte eingeschlafen

Josef Biedermann, früherer Rektor des LG, Landtagsabgeordneter und Gemeinderat.

Als Rektor des Liechtensteinischen Gymnasiums hat Josef Biedermann eine Ära geprägt. Daneben war er in der Politik aktiv und hat sich nebenberuflich für vieles engagiert. Im Zentrum standen für ihn dabei immer seine christlichen Werte und der Mensch – selbst wenn sein Privatleben manches Mal zu kurz kam. Dass er schliesslich als Gastwirt tätig ist, hätte er sich aber kaum träumen lassen.

Die Schule zieht sich wie ein roter Faden durch Josef Biedermann Leben – und dennoch war es nicht von klein auf vorbestimmt, dass er einmal die Person wird, die Generationen von Schülerinnen und Schülern und die Liechtensteiner Öffentlichkeit mit dem Gymnasium verbinden. Zwar war bereits sein Vater Lehrer mit Leib und Seele. Der Schritt ans damalige Collegium Marianum blieb Josef Biedermann aber zunächst verwehrt. «Einerseits konnte dort in den 50er- und zu Beginn der 60er-Jahre keine Matura abgelegt werden und andererseits war das Schulgeld mit 40 Franken pro Monat relativ hoch. Zu hoch jedenfalls für meine Eltern.» Wie ihm ging es vielen Mädchen und Jungen aus Liechtenstein, die sich für das Gymnasium in Feldkirch entschieden. «Wir füllten einen ganzen Bus, fuhren aber auch manchmal mit der Bahn oder mit dem Rad. Auf jeden Fall war der Schulweg für uns ein Stück Freiheit vom strengen Elternhaus.»

Pionier des Liechtensteiner Kabaretts
Dieses Elternhaus hat Josef Biedermann aber auch Werte vermittelt, die ihn während seines ganzen Berufslebens begleitet haben. Einerseits orientierte er sich zeitlebens am Christentum und war als begeisterter Pfadfinder in zweiter Generation stets bereit, Verantwortung zu tragen, andererseits war er aber auch immer ein kritischer Geist. Zum ersten Mal öffentlich wurde diese kritische Haltung nach seinem Abschluss am Collegium Marianum, wo ab 1962 wieder die Matura abgelegt werden konnte. Zusammen mit einigen Freunden war Josef Biedermann Mitbegründer des legendären Kabaretts Kaktus. Es entstand aus den Unterhaltungsabenden der Vaduzer Pfadfinder, an dem die Mitglieder unter dem Titel «Tribüne der freien Meinung» auch aktuelle Themen auf die Bühne brachten. «So widmeten wir uns auch den Diskussionen rund um das Kurhaus Gaflei. Wir sprachen in Anlehnung an den damaligen Vaduzer Bürgermeister David Strub von ‹struben Zeiten› und haben ganz allgemein humorvolle Kritik an den herrschenden politischen und gesellschaftlichen Zuständen geübt – ob die von uns Kritisierten immer darüber lachen konnten, weiss ich aber nicht», sagt Josef Biedermann und lacht selbst. «Mit dem letzten Programm des Kabaretts Kaktus gründeten wir 1970 im ehemaligen Schaaner Vereinshaus sozusagen das Theater am Kirchplatz.» Der erste Schritt in die Öffentlichkeit, dem viele weitere folgen sollten, war damit getan. Der Weg zum Naturwissenschaftler und Lehrer war aber noch nicht vorgespurt und folgte einer nüchternen, pragmatischen Entscheidung. «Ich wollte mich nach meiner Matura 1964 rasch vom Elternhaus lösen, habe auch bald darauf mit 23 Jahren geheiratet und darum ein möglichst kurzes Studium ins Auge gefasst. Da lag die Ausbildung zum Sekundarlehrer nahe.» Biedermann konnte rasch praktische Erfahrung sammeln, schloss sein Biologiestudium schliesslich mit dem Diplom ab und wurde Mittelschullehrer.

Engagierter Junglehrer mit Schlüsselerlebnis
«Das Jahr 1970, in dem ich meine Stelle am Liechtensteinischen Gymnasium als Lehrer für Biologie und Chemie erhalten habe, stellte dann eine Zäsur in meinem Leben dar», sagt Josef Biedermann. Schnell fiel er als engagierter Pädagoge auf, der sich auch politisch einbrachte. «Ich war ein Spät-68er und sehr verärgert über die Ablehnung des Frauenstimmrechts 1971», sagt er. Vielen Schülern ging es ebenso und Biedermann organisierte eine denkwürdige Demonstration – auch gegen den Widerstand des damaligen Rektors Frater Ingbert Gans. «Er war besorgt um den Ruf der Schule und ich konnte ihn nur beruhigen, indem ich ihm sagte, dass wir demonstrieren, um den Ja-Stimmenden zu danken. Zu meinen Schülern habe ich aber auch gesagt, dass wir uns auf einiges gefasst machen müssen. ‹Von uns darf keine Gewalt ausgehen, wir müssen uns im schlimmsten Fall verprügeln lassen›, habe ich ihnen mit auf den Weg gegeben.»

Dass es dann tatsächlich so gekommen ist, hat Josef Biedermann schockiert. «Wir waren erst wenige Meter marschiert, als Vermummte unsere Transparente zu Boden und einige Schülerinnen an den Haaren rissen. Als ich an diesem Abend nach Hause gekommen bin, war ich gemäss meiner Frau bleich wie eine Wand.»

Fraktionssprecher in turbulenten Zeiten
Trotz dieses Erlebnisses hat Josef Biedermann die späten 60er- und frühen 70er-Jahre als eine Zeit des politischen Aufbruchs erlebt. «Besonders Regierungschef Gerard Batliner war ein Visionär, der nicht zuletzt im Bildungssektor einiges vorangetrieben hat. In seiner Regierungszeit entstanden das Abendtechnikum, die Musikschule und die Landesbibliothek, die Stiftung Liechtensteinischer Entwicklungsdienst wurde gegründet und die ersten Mädchen ins Gymnasium aufgenommen.» Josef Biedermann sah, dass sich in der Politik vieles zum Guten bewegen lässt und stieg selbst ein. 1974 wurde er stellvertretender, 1978 ordentlicher Abgeordneter für die FBP, 1982 schliessllich für sieben Jahre Fraktionssprecher. Politisch hat Biedermann dabei turbulente Zeiten erlebt. «Wir waren seit 1978 stets in der Minderheit, haben uns aber nach Kräften eingesetzt und waren beispielsweise für die Einführung des Frauenstimmrechts auch zu Kompromissen bereit.» Dass es schliesslich 1984 gelungen ist, die männlichen Stimmbürger im dritten Anlauf von diesem Anliegen zu überzeugen, bezeichnet Josef Biedermann als einen der Höhepunkte seiner politischen Arbeit. Die Sprengung des Landtags durch die FBP-Fraktion 1989 aufgrund des Kunsthaus-Staatsgerichtshofurteils markierte aber schliesslich das Ende seiner Zeit als Fraktionssprecher. Die VU unter Hans Brunhart gewann auch die folgenden Wahlen. Biedermann wurde jedoch mit einem Topresultat wiedergewählt und Landtagsvizepräsident für die neue Legislaturperiode.

Chefkandidat in schwieriger Zeit
Als Schulleiter war es Josef Biedermann stets wichtig, selbst auch einige Wochenlektionen zu unterrichten. «Ich wollte nicht nur Administrator und Personalchef sein, sondern den Kontakt zu den Schülern beibehalten.» Neben diesen Aufgaben, der intensiven politischen Arbeit, den Sitzungsvorbereitungen und seinem Engagement für die Umwelt sowie für den Liechtensteinischen Entwicklungsdienst blieb jedoch wenig Zeit für die Familie. «Ich habe zwar stets grossen Wert darauf gelegt, meine drei Kinder zumindest abends noch zu sehen. Es kam aber mehr als einmal vor, dass ich während des Vorlesens der Gutenachtgeschichte eingeschlafen bin», sagt Josef Biedermann und fügt lachend an: «Ich hätte es verstanden, wenn meine Kinder stark politikgeschädigt wären. Dass sich meine Tochter Alexandra im Schaaner Gemeinderat und als Vizevorsteherin engagiert, zeigt aber, dass es wohl doch nicht so schlimm war.» Nach 19 Jahren Landtagstätigkeit fand Josef Biedermann, dass es nun langsam genug sei. Bei den Wahlen im Februar 1993 trat er nicht mehr an. Bereits im September, als die FBP ihrem Wahlsieger und Regierungschef Markus Büchel nach wenigen Monaten das Vertrauen entzogen hatte, kam die Partei aber erneut auf Josef Biedermann zu. «Sie suchten einen Regierungschef mit politischer Erfahrung. Es war nicht klar, ob es zu Neuwahlen kommt, und die Aufgabe hätte mich gereizt, da man in der Regierung viel mehr gestalten kann als im Landtag. Als Fürst Hans-Adam dann aber nicht zur Tagesordnung übergehen wollte und Neuwahlen angesetzt hat, war mir klar, dass die Wahl nicht zu gewinnen ist.» Nach der für ihn absehbaren Wahlniederlage und dem Sieg der VU mit Chefkandidat Dr. Mario Frick entschied sich Biedermann gegen einen Eintritt in die Regierung. «Ich habe damit einerseits einen Teil der Verantwortung für die Niederlage übernommen. Andererseits bin ich dem Schuldienst und dem Gymnasium treu geblieben, und das habe ich nie bereut.»

Aktiver, wirtender Pensionist
«Ich habe mich am Gymnasium wirklich immer wohlgefühlt. Nur eine Sache würde ich rückblickend vielleicht anders machen: Ich hätte als Rektor früher zurücktreten sollen, um noch ein paar Jahre mehr unterrichten zu können. Denn der Kontakt mit den Schülern ist es, was den Lehrerberuf für mich wirklich ausmacht», sagt Biedermann. Wie sehr er das Liechtensteinische Gymnasium als Schulleiter mit einem stets offenen Ohr für die Anliegen aller geprägt hat, zeigte sich aber nochmals bei seiner Verabschiedung im Jahr 2008. «Es gab viele schöne Momente in meinen fast 40 Jahren am Gymnasium, aber der freundschaftliche Abschied ist mir unvergesslich. Schülerinnen und Schüler und alle Lehrpersonen haben mich völlig überrascht und mir einen ganzen, wunderschönen Tag gewidmet», sagt Josef Biedermann und räumt ein: «Ich bin nicht gerne gegangen.»

Ein Mann wie Josef Biedermann schaltet aber auch nach der Pensionierung nicht von 100 auf null. Er schätzt zwar die Zeit mit den fünf Enkeln sehr. Aber es waren wieder die Politik, die Bildung, die Umwelt und die Menschen, denen er seine Energie widmete. Der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz, der Botanisch-Zoologischen Gesellschaft, der Cipra und dem LED, denen er im Laufe der Jahrzehnte allen als Präsident oder Vizepräsident vorstand, blieb er treu. Von 2011 bis 2019 war er ausserdem Gemeinderat und Vizevorsteher in seiner Gemeinde Planken, Schulratspräsident sowie Vorsitzender der Projektgruppe «Café im Dreischwesternhaus». Die daraus schliesslich resultierende und von etwa 20 Freiwilligen geführte «Dorfbeiz am Freitagabend» hat sich seit Anfang des Jahres zu einem beliebten Treffpunkt für die Bevölkerung von Planken und Gäste aus dem Tal entwickelt. «Heute bin ich also auf meine alten Tage Wirt», sagt Josef Biedermann und lacht.