«Unser tägliches Brot» im Zweiten Weltkrieg

Deutsche Stukas über Polen, September 1939 (Dt. Bundesarchiv)

Wie bewältigte Liechtenstein eigentlich in der Zeit des Zweiten Weltkriegs die Ernährung seiner damals rund 12’000 Einwohner? Ältere Zeitgenossen erinnern sich an «Märkli». Jüngeren ist wenig bekannt. Um täglich essen zu können, war viel nötig: Einfuhr, gerechte Verteilung durch Rationierung, eigene Produktion. Zugespitzt kann man sagen: Ohne kriegswirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Schweiz wäre man hier verhungert.

Krieg wird mit Kanonen und Bomben geführt. Und mit Abschnürung der gegnerischen Wirtschaft. Immer war Einfuhr nötig. Die Kriegsländer aber beschränkten Ein-, Aus- und Durchfuhr, auch für die Schweiz und Liechtenstein, trotz Neutralität.

Lebensmittelversorgung ab 1939 «durch die Schweiz sichergestellt»
Als sich zwei Jahrzehnte nach dem Ersten Weltkrieg der Horizont wieder zum Krieg verdüsterte, bereitete sich die Eidgenossenschaft vor, politisch, militärisch, kriegswirtschaftlich. Am 1. September 1939 überfiel Hitler Polen. Drei Tage zuvor hatte Regierungschef Hoop die liechtensteinische Bevölkerung bezüglich Nahrungsversorgung beruhigt: Sie sei «durch die Schweiz sichergestellt». Dies hatten Verhandlungen mit Bern ergeben. Liechtenstein konnte sich kriegswirtschaftlich einklinken. Denn die Schweiz wünschte keinen Anschluss des labilen Grenzländchens, das vor der Festung Sargans lag, ans Reich. Kleinheit erwies sich als Plus, für die Schweiz fielen die liechtensteinischen Mitesser kaum ins Gewicht. Man war in die schweizerische Kriegswirtschaft einbezogen, «wie ein Kanton». Dies betraf vorab Rationierung von Lebensmitteln, Preiskontrolle, Kontingentierung von Gütern, Motorverkehr, Mehranbau.

Kriegswirtschaftliche Organisation
Das Volkswirtschaftsdepartement des Bundes betrieb eine «Eidgenössische Zentralstelle für Kriegswirtschaft». Dieser unterstanden eine Reihe von Ämtern, u. a. das «Kriegs-
Ernährungs-Amt», das «Kriegs-Industrie- und Arbeits-Amt», die «Handelsabteilung», die «Eidgenössische Preiskontrollstelle», das «Anbauwerk». Im «Kriegs-Ernährungs-Amt»
waren Sektionen zuständig für Rationierung, Getreideversorgung, Milch und Milchprodukte, Fleisch und Schlachtvieh, Kartoffeln, Obst, Speisefette und -öle, Dünger, Abfallverwertung, Geflügel, Eierversorgung, Hauswirtschaft. Jeder Kanton richtete analog eine «Kantonale Zentralstelle für Kriegswirtschaft» mit Unterabteilungen ein, jede Gemeinde dann Gemeindestellen. Gleich verfuhr Liechtenstein, wie ein Kanton.

Ausserordentliche Vollmachten
Per Verfassungsgesetz erhielt die liechtensteinische Regierung schon am 2. September 1939, am zweiten Kriegstag, wirtschaftliche Vollmachten. Sie schuf ein «Kriegsernährungsamt» (später «Kriegswirtschaftsamt») in Vaduz, mit «Brennstoffamt», «Preiskontrolle», «Ackerbaustelle» und «Landwirtschaftlicher Beratungsstelle». In jeder Gemeinde, von Balzers bis Ruggell, gab es darauf kriegswirtschaftliche Gemeindestellen, so «Eierzentralen», «Gemeindeackerbaustellen», auch solche für «Kartoffelkäferbekämpfung». 

Vier Liechtensteiner Landdienst-Jünglinge beim Mähen (Liechtensteinisches Landesarchiv)

Komplexe Aufgaben, viele Erlasse
Kriegswirtschaft war Verwaltung des Mangels. Es galt, die verfügbaren Lebensmittel und Güter gerecht zuzuteilen. Gab es weniger Getreide aus Übersee, wurden die Rationen pro Person und Monat gekürzt. Liessen die Deutschen weniger Kohle den Rhein herauf, verringerten sich die Kohlezuteilungen. All dies wurde jeweils in Bern berechnet, beschlossen, verordnet. Bern stand ständig in Verhandlungen mit den kriegführenden Staaten. Die eidgenössischen Erlasse kamen in schnellem Rhythmus und grosser Zahl nach Vaduz. 

Monatliche Rationierungskarten mit «Märkli»
Jeden Monat erhielt jeder Haushalt für jede Person von der Wohnsitzgemeinde eine Rationierungskarte. Darauf war die Menge der in diesem Monat erhältlichen, rationierten Lebensmittel auf abreissbaren Markenfeldern aufgeführt. In der Bäckerei gab man die «Märkli» dann für Brot, in der Metzgerei für Fleisch, im Konsum für Zucker, Reis, in der Sennerei für Milch, Butter, Käse ab und bezahlte die Esswaren gemäss den fixierten Preislisten. Im Geschäft klebten die Inhaber die «Märkli» auf Bogen, diese gingen nach Vaduz, von dort nach Bern. Von Monat zu Monat konnten die Rationen ändern, generell nahmen sie im Laufe der Kriegsjahre ab. Es wurde darauf geachtet, dass die Versorgung mit Kohlehydraten, Eiweissen und Vitaminen ausreichend war. Es gab Karten für Kinder, gestufte Rationen für stillende Mütter und für Schwerarbeiter. Marken konnten getauscht, aber nicht gehandelt werden. Die Farbe der Karte wechselte monatlich.

Was wurde wann rationiert?
Die Lebensmittelrationierung konnte nicht von einem Tag auf den andern eingeführt werden. In den ersten zwei Kriegsmonaten September und Oktober 1939 gab es in der Schweiz – und so auch in Liechtenstein – eine Bezugssperre für Grundnahrungsmittel, um die Rationierung vorzubereiten und Hamsterei vorzubeugen. Nicht erhältlich waren vorerst: Zucker, Reis, Teigwaren, Hülsenfrüchte (Bohnen, Erbsen, Erdnüsse), Hafer, Gerste, Mehl, Mais, Margarine sowie Speisefett und Speiseöl. Ab Ende Oktober 1939 waren diese Waren dann rationiert, zeitweilig frei, wieder rationiert, im Spätsommer 1940 erneut für kurze Zeit gesperrt und danach durchwegs rationiert.

Ab dem Herbst 1940 – Frankreich war gefallen, Italien mit im Krieg – wurden zusätzlich der Rationierung unterstellt: Butter, Rahm, tierische Fette, Schweinefleisch, bald auch Salatsaucen, ganz verboten wurde Mayonnaise. Brot durfte ab dem Sommer 1940 nicht mehr frisch verkauft werden, nur als ein-, dann zweitägiges. Milch wurde Mitte 1941 kontingentiert – der Russlandfeldzug begann – und Ende 1942 auch rationiert. Käse wurde im Herbst 1941 rationiert, Kakao, Kaffee und Tee unterlagen ab dem Sommer 1941 der Rationierung, ab Ende 1941 dann Eier und Kindermehl, schliesslich ab Frühjahr 1942 Konfitüre und Honig sowie Fleisch. Zugleich galten nun zeitweilig pro Woche zwei fleischlose Tage (Dienstag und Freitag, dieser für Katholiken gewohnt). Im Mai 1943 wurden als letzte auch Schokolade und Confiserie rationiert – eine Crèmeschnitte zu bekommen, war paradiesisch.

So waren schliesslich fast alle Lebensmittel der Rationierung unterworfen. Nie rationiert waren während der ganzen Zeit nur die folgenden, freilich wichtigen Nahrungsmittel: Kartoffeln, Obst und Gemüse (ausser Erbsen und Bohnen).

Übrigens war Rationierung auch in den Kriegsländern der Achse wie der Alliierten bitterer Alltag. Im Reich wurden für Juden, Kriegsgefangene und Zwangsarbeitskräfte Hungerrationen angesetzt, ebenso für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten.

Mehranbau
1940 entwickelte Traugott Wahlen im Auftrag des Bundes den «Mehranbau»-Plan, um die eigene Nahrungsproduktion und damit den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen. In Liechtenstein war jenem Plan ebenso zu folgen. Ab dem Herbst 1940 wurde jeder Haushalt im Land, der über Boden verfügte, «verpflichtet, seine Familie mit Kartoffeln, Gemüse, Mais, Getreide und Futtermitteln selbst zu versorgen». Familien ohne Pflanzgrund wiesen die Gemeinden solchen zu, den Triesenbergern teils solchen im Tal, den Fabrikbetrieben, den Lehrern und Beamten, so auch dem Regierungschef Dr. Josef Hoop. Es wurde genau vorgeschrieben, wer was auf welcher Fläche zu pflanzen hatte. Säumige wurden von der «Ackerbaustelle» gerügt – so auch einmal der Regierungschef durch ein von ihm selber gezeichnetes Rundschreiben. 

Insgesamt war der Mehranbau sowohl in der Schweiz als auch in Liechtenstein ein Erfolg. Der Selbstversorgungsgrad stieg in der Schweiz von 52 Prozent 1939 auf 70 Prozent 1945, was in etwa auch für Liechtenstein zutraf. So wurde in Liechtenstein die offene Ackerfläche in der Kriegszeit um 72 Prozent ausgeweitet, von 1939 noch 781 Hektaren auf 1343 Hektaren 1945. Eine Voraussetzung dafür boten der Binnenkanalbau und die Rietentwässerung seit den 1930er-Jahren.

Ausschnitt einer schweizerischen Lebensmittelkarte, Monat Juni 1943, auch für Liechtenstein
(Landesarchiv Appenzell-Innerrhoden)

Landdienst
Wie in der Schweiz führte man in Liechtenstein einen «Landdienst» für Jünglinge ein. Denn es gab zu wenig landwirtschaftliche Arbeitskräfte, weil Einheimische kaum Knechtstellen annahmen und weil die österreichischen Knechte aus Österreich ausblieaben – sie standen an den Fronten. 1942 mussten in Liechtenstein die Jünglinge Jahrgang 1925 von Frühjahr bis Herbst ein halbes Jahr lang bei einem Bauern arbeiten, danach jedes Jahr, bis 1946, der nächste Jahrgang. Einige Drückeberger wurden 1943 polizeilich vorgeladen und stracks Bauern zugewiesen. Über der Grenze übrigens, in Vorarlberg, im Reich, bearbeiteten ukrainische Zwangsarbeiterinnen die Felder.

Eigenbedarf, Bussen
Bauernbetriebe und auch Hühnerbesitzer konnten von dem, was sie produzierten, einen Teil zum Eigengebrauch behalten, das Übrige war kontrolliert abzugeben (gegen Bezahlung). Ärger und Bussen gab es öfter, etwa wegen eines «schwarz» geschlachteten Schweins, wegen «schwarz» verkaufter Butter, oder wenn, bemessen nach der Zahl der Hühner, zu wenige Eier an die Eierzentrale abgeliefert wurden – gar oft «verlegten» die braven Hühner. Ein Bub in Eschen verkaufte im Auftrag der Eltern regelmässig Butter «schwarz», das Kilo zu 25 Franken. Die etwa hundert Imker mit etwa 1400 Bienenvölkern erhielten Zusatzzucker, pro Volk und Jahr 10 Kilo (was einer normalen Zuckerfütterung entspricht). Leicht ironisch vermerkte der Leiter des Kriegswirtschaftsamts in Vaduz im Schlussbericht 1948: «Hoffentlich haben die arbeitsamen Bienen diesen Zucker auch zu verarbeiten vermocht!»

1945 bedeutete das Ende des Krieges nicht Ende des Mangels. Die letzten Rationierungen in der Schweiz und Liechtenstein konnten schliesslich Mitte 1948 aufgehoben werden. 

Fazit
Das tägliche Brot war im Zweiten Weltkrieg auf liechtensteinischen Tischen ausreichend vorhanden, dank schweizerischer Kriegswirtschaft, Neutralität, Organisation, eigener Anstrengung. Wie tief die beschränkte Verfügbarkeit vieler Nahrungsmittel in der kollektiven Erinnerung noch nachwirkte, zeigten die Hamsterkäufe in den Läden während der Kubakrise 1962. Die Vaterunser-Bitte «Gib uns heute unser tägliches Brot», wie sie Troyer im Lesebuch illustriert hat, bleibt überall und immer, auch heute und bei uns, die zentralste.