Justizreform, ein grosser Schaden für das Land

V. l. Dr. Ralph Wanger, Dr. Robert Schneider und Dr. Manuel Walser.

Die Regierung möchte die Justiz reformieren. Wieso diese Reform für Liechtenstein ein gefährliches Experiment ist, und welche klaren Gründe dagegen sprechen, dazu äussern sich in diesem Interview drei Vertreter der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer.

Interview: Herbert Oehri

Herr Dr. Schneider, wieso wehrt sich die Rechtsanwaltskammer gegen die Justizreform der Regierung?
Dr. Robert Schneider: Die Rechtsanwaltskammer wehrt sich nicht generell gegen eine Justizreform, darüber kann und muss man diskutieren. Am nun von der Regierung vorgelegten Entwurf stören uns aber grundlegende Punkte, die zum Teil auch gefährlich für den Rechtsschutz sowie die Reputation Liechtensteins sein können.

Was kritisieren Sie konkret?
Dr. Manuel Walser: Zuallererst kritisieren wir das Vorgehen der Regierung, wie dieser Vorschlag entstanden ist. Die Rechtsanwaltskammer und auch die zumindest uns bekannten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wurden nie von der zuständigen Justizministerin darüber informiert, dass überhaupt eine solche Reform geplant ist. Im Gegenteil, wir als Kammer wurden kurz vor der Pressekonferenz zu diesem Thema durch eine Mail informiert, dass das seit über 200 Jahren bestehende Justizsystem mit drei Instanzen abgeschafft werden soll.

Und wieso hat die Regierung sie nicht beigezogen und konsultiert? Es ist doch Usus, dass bei solch weitgehenden Reformen die betroffenen Personen und Verbände frühzeitig einbezogen werden …
Dr. Robert Schneider: Davon sind wir bisher auch ausgegangen, dies scheint aber zumindest im Bereich der Justiz nicht mehr der Fall zu sein. Für uns als Rechtsanwaltskammer ist es zudem noch erstaunlicher, weil wir als öffentlich-rechtliche Institution alle drei Monate ein Gespräch mit dem Justizministerium haben. Aber anscheinend wurden nicht nur wir nicht einbezogen, sondern auch die Gerichte und die Richter wurden nicht informiert.

Wie begründet die Regierung dieses aussergewöhnliche Vorgehen?
Dr. Manuel Walser: Wir haben keine offizielle Begründung erhalten. Aber im vorliegenden Bericht und Antrag wird erwähnt, dass man bei grundlegenden Veränderungen die Betroffenen nicht frühzeitig einbeziehen könne, da diese dann ihre Eigeninteressen durchsetzen wollten. Man kann nun diese Ansicht teilen oder nicht, aber allen Gerichten, Richterinnen und Richtern sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten Eigeninteressen vorzuwerfen und sie deshalb nicht einzubeziehen, sind Unterstellungen und Scheinargumente für das gewählte Vorgehen. Wenn die Vertrauensbasis zwischen dem Justizministerium und allen Akteuren des Justizsystem so erschüttert ist, dann haben wir wirklich ein Problem, das wir dringend lösen sollten.

Aber es ist doch richtig, dass letztlich viele Menschen am Ende für sich selbst schauen, ihre Eigeninteressen also wahren wollen …
Dr. Manuel Walser: Ja, das ist Teil der Politik, dass solche Interessen bestehen und diese letztlich ausgeglichen werden müssen, bis eine mehrheitsfähige Vorlage entsteht. Aber sich gar nicht vorgängig mit den Argumenten auseinanderzusetzen, sondern einfach mal zu machen und das dann vorzulegen, entspricht nicht unserer erfolgreichen Praxis. Denn eines muss allen bewusst sein: hier geht es um eine Verfassungsrevision. Bei einer Verfassungsrevision ist es zwingend notwendig, dass die involvierten Parteien einbezogen werden, insbesondere die betroffenen Rechtsgelehrten.

Dr. Robert Schneider: Man kann so vorgehen, aber dann sollten wir auch nicht mehr von kurzen Wegen und Zusammenarbeit sprechen. Zudem hat die Regierung vorliegend den Weg gewählt, einige grundlegende Dinge gegenüber der Vernehmlassung anzupassen, von einer erneuten Vernehmlassung wurde aber abgesehen. Wir konnten uns zwar einbringen, hatten dafür aber nur vier Wochen Zeit, wovon zwei Wochen in der Osterzeit lagen. Wirkliches Interesse an der Meinung der Akteure hatte man offenbar nicht.

Also, der Prozess war zumindest fragwürdig. Was stört sie inhaltlich?
Dr. Robert Schneider: Vorneweg muss man festhalten, dass die Reform einige Punkte enthält, die wir begrüssen. Aber die Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz können wir nicht gutheissen und dagegen müssen wir uns wehren.

Was bedeutet die Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz?
Dr. Ralph Wanger: Heute besteht das Rechtsmittelsystem vereinfacht gesagt aus drei Instanzen. Dem Landgericht als erste Instanz, dem Obergericht als zweite Instanz und bei grundlegenden Rechtsfragen dem Obersten Gerichtshof als dritte Instanz. Dieses System besteht seit über 200 Jahren und hat sich bewährt. Die Rechtsprechung in Liechtenstein ist schon bisher überaus effizient und die Spruchqualität – insbesondere beim Obersten Gerichtshof – ist sehr gut. Dies gilt auch dann, wenn man mit dem Urteil inhaltlich nicht einverstanden ist. Nun soll eine Instanz abgeschafft werden, konkret ist dies der Oberste Gerichtshof in seiner heutigen Form.

Aber der Oberste Gerichtshof soll doch weiter bestehen …
Dr. Robert Schneider: Die Regierung kann das Kind letztlich nennen, wie sie will. Die Funktion des Obersten Gerichtshofs als Hüterin der Rechtsstaatlichkeit und der Weiterentwicklung des Rechts wird abgeschafft.

Eine Instanz weniger bedeutet schnellere Urteile und Gewissheit. Das ist doch gut?
Dr. Ralph Wanger: Dann könnten wir in aller Konsequenz auch die zweite Instanz abschaffen. Schneller ist nicht besser. Selbstverständlich ist die Qualität eines Rechtsspruches besser, wen zwei Rechtsmittelinstanzen eine Sache angeschaut haben. Ein Gericht zu haben, das sich ausschliesslich um Rechtsfragen kümmert, ist essentiell für einen Rechtsstaat.

Drei Instanzen sind also wichtig für den Rechtsfrieden. Aber sie sind natürlich auch gut für den Anwalt oder die Anwältin, weil es so mehr zu tun gibt …
Dr. Manuel Walser: Diese Frage musste kommen und sie darf auch gestellt werden. Dies wird uns Anwälten auch indirekt unterstellt, wenn wir als angebliche Betroffene der Reform nicht darüber informiert werden. Allerdings ist diese Aussage nicht richtig. Viele der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich aktiv für den Erhalt des heutigen Systems einsetzen, sind nicht vor Gericht tätig, sondern in der Beratung. Sie verlieren direkt also keine Honorare durch die Abschaffung der dritten Instanz. Indirekt wird sich diese Reform aber auf die Tätigkeit von vielen auswirken.

Wie?
Dr. Robert Schneider: Durch die Abschaffung der dritten Instanz ist Liechtenstein neben Malta das einzige Land in Europa, welches nur noch zwei Instanzen aufweist. Island zum Beispiel hat vor einigen Jahren extra neu eine dritte Instanz geschaffen. Man fragt dann schon, was das soll. Wir sind sonst zurecht bemüht, bei internationalen Regulierungen mit dabei zu sein, um die Reputation des Standortes weiter zu verbessern und zu stärken. Und in diesem Punkt wollen wir den europäischen Standard ohne Not unterschreiten. Die Kunden unseres Finanzplatzes werden dies wahrnehmen. Für sie ist es wichtig, dass in einem Streitfall Rechtsschutz nach internationalem Standard und ein zuverlässiges Rechtsschutzsystem besteht. Wenn dies in Liechtenstein nicht mehr im bisherigen Ausmass gewährleistet ist, wird sich dies mittelfristig negativ auf die wirtschaftliche Attraktivität auswirken.

Aber was soll die Regierung denn machen – auf den drohenden Fachkräftemangel an den Gerichten, der von der Regierung als Hauptargument vorgebracht wird, muss sie doch reagieren.
Dr. Robert Schneider: Mit der gegenständlichen Vorlage wird der Fachkräftemangel unseres Erachtens noch verstärkt. Im Übrigen sind wir der Meinung, dass es bessere Wege gibt. So sollte unbedingt die lange angekündigte Digitalisierung der Gerichte vorangetrieben werden. Solange wir alles noch auf Papier austauschen und einreichen, werden wir auch keine Effizienzgewinne haben. Dies war übrigens auch ein Ziel im Regierungsprogramm für die aktuelle Legislaturperiode. Zudem sollten wir gerade nicht durch die Abschaffung der nebenamtlichen Richterstellen diese flexible Möglichkeit aufgeben und auf diese Expertinnen und Experten verzichten.

Wie soll es denn nun ihrer Meinung nach weitergehen, was würden Sie sich wünschen?
Dr. Manuel Walser: Dass die Regierung diese Reform zurückzieht und gemeinsam mit den Akteuren des Justizsystems eine Reform ausarbeitet, welche dabei hilft, die Ziele zu erreichen, ohne den Rechtsschutz in Liechtenstein zu gefährden. Dafür stehen wir gerne jederzeit bereit.