«Qualität des Bildungssystems ganzheitlich betrachten.»

Das Bildungswesen hat es an sich, dass es immer in Bewegung ist. Liechtenstein ist diesbezüglich keine Ausnahme. Das Schulamt ist daher immer bestrebt, auf Entwicklungen aller Art vorausschauend und adäquat zu reagieren, um die Qualität des Bildungsstandorts hoch zu halten. Amtsleiterin Rachel Guerra gibt einen Einblick in eine Reihe von Themen, die sie und ihre Mitarbeitenden derzeit beschäftigten. 

Interview: Heribert Beck

Amtsleiterin Rachel Guerra

Frau Amtsleiterin, eine ganz allgemeine Frage zum Einstieg: Wie schneidet Liechtensteins Bildungssystem im internationalen Vergleich ab?

Rachel Guerra: Die Frage führt aus meiner Sicht bereits direkt zur Sache: Liechtenstein vergleicht sein Bildungssystem im Moment vorwiegend mit demjenigen der Schweiz. Das liegt daran, dass im Bereich Volksschule erstens die Lehrpläne «Lehrplan21» und «LiLe» nahezu deckungsgleich sind und Liechtenstein sich 2014 dazu entschieden hat, nicht mehr an den internationalen PISA-Tests teilzunehmen, sondern den Fokus mittels Standardprüfungen vorwiegend auf die nationale Weiterentwicklung auszurichten. Mit PISA wurden zwar wertvolle Erkenntnisse gewonnen, für eine Analyse und Weiterentwicklung des eigenen Bildungswesens waren aber Vergleiche innerhalb desselben Sprachraums genauso relevant, weshalb die Teilnahme an den PISA-Studien ausgesetzt und die sogenannten Standardprüfungen eingeführt worden sind. Die Einführung des neuen Liechtensteiner Lehrplans «LiLe», der die Erreichung von Kompetenzen in den Mittelpunkt stellt, machte auch eine Erneuerung der Leistungserhebungen erforderlich, da die Standardprüfungen inhaltlich die Lernziele des vorhergehenden Lehrplans abgeprüft haben. Liechtenstein führte dann im Schuljahr 2022/23 erstmals die Leistungserhebungen «Check dein Wissen» an den öffentlichen Schulen durch. Der grosse Vorteil der neuen Leistungserhebungen im Vergleich zu früheren Testverfahren wie den Standardprüfungen oder PISA besteht darin, dass dank der Adaptivität der Schwierigkeitsgrad der Lernaufgaben während der Testdurchführung auf die individuellen Niveaus der Schülerinnen und Schüler jeweils angepasst wird und dadurch die Ergebnisse genauer werden. Die Qualität eines Bildungssystems zeigt sich aber nicht nur in Leistungsmessungen, sondern muss immer ganzheitlich betrachtet werden. Genau deshalb führen wir derzeit ein Pilotprojekt zum Wohlbefinden unserer Schülerinnen und Schüler an den Schulen durch.  

Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Liechtenstein im internationalen Vergleich ein gutes und konkurrenzfähiges Bildungssystem hat, das in der Lage ist, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts adäquat zu begegnen. Unser Bildungssystem unterstützt alle Menschen in Liechtenstein bei der Entfaltung ihrer individuellen Potenziale und befähigt sie dazu, sich aktiv, verantwortungsvoll sowie selbstbestimmt an einer menschlichen, offenen und demokratischen Gesellschaft zu beteiligen. Die Qualität an unseren Schulen ist sehr hoch. Das liegt insbesondere auch am Lehr- und Schulpersonal, das Tag für Tag wertvolle Arbeit leistet. 

Die Stiftung Zukunft.li hat vor kurzem die Studie «Bildung Liechtenstein – Innovation durch Schulautonomie und Wettbewerb» vorgestellt und kommt darin zum Schluss, dass Liechtensteins Schulen vor grossen Veränderungen stünden, die eine Anpassung der Rahmenbedingungen erforderten. Wie sehen Sie dies?

Auch wir sehen in gewissen Bereichen Revisionsbedarf. Das Schulamt hat die Zeichen der Zeit in dieser Hinsicht längst erkannt und daher mit dem Gesetzesentwurf zur Revision des Lehrerdienstgesetzes, das in enger Zusammenarbeit mit den Schulen erarbeitet worden ist, bereits ganz wichtige Vorarbeit geleistet. So hat unser Gesetzesentwurf beispielsweise bereits seit 2021 zum Ziel, die Schulautonomie zu stärken und auszubauen. Wir benötigen eine weitere Professionalisierung der Schulleitungen und damit eine Stärkung der Schulstandorte in Liechtenstein. Vorausgesetzt der Landtag stimmt dem Gesetzesentwurf auch zu und ermöglich damit die für die Schulen notwendigen Anpassungen. Ausserdem startet mit dem kommenden Schuljahr ein Pilotprojekt für eine Standortschulleitung an den Weiterführenden Schulen in Triesen.

Die wichtigste Voraussetzung aber sind, sie haben es schon angesprochen, gute Lehrkräfte. Neben der Qualität ist dabei auch die Quantität von Bedeutung. Aus anderen Ländern ist immer wieder von Lehrermangel zu hören. Wie ist die Situation in Liechtenstein?

Zuletzt konnten in Liechtenstein erfreulicherweise alle offenen Stellen für Lehrpersonen besetzt werden. Es gibt also im Moment keinen Mangel an Lehrpersonen. Die Situation wird aber fortlaufend analysiert. Auch wenn der Beruf «Lehrperson» derzeit immer noch gefragt ist, muss analog zur Schweiz festgestellt werden, dass in der Vergangenheit auf Ausschreibungen deutlich mehr Bewerbungen eingegangen sind. Liechtenstein ist aber in der Lage, aus dem Pool von drei Ländern zu schöpfen – Liechtenstein, Schweiz und Österreich. Das ist natürlich ein grosser Vorteil.

Wie stellen die Politik und das Schulamt sicher, dass die Situation weiterhin so komfortabel bleibt? 

Die Rahmenbedingungen des Lehrberufs müssen fortlaufend evaluiert und angepasst werden, um den Lehrpersonen bestmögliche Bedingungen zu bieten. Das umfasst beispielsweise ein Weiterentwickeln des Dienstauftrags in Bezug auf aktuelle und zukünftige Anforderungen, ein Sicherstellen von zeitgemässen und konkurrenzfähigen Anstellungsbedingungen, das Fördern gezielter Weiterbildungen, die Weiterentwicklung des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie die Stärkung der Führungskompetenzen der Schulleitungen. Langfristige Bildungsqualität setzt gute und motivierte Lehrpersonen voraus. Bildungsministerium und Schulamt sind bestrebt, die Attraktivität des Lehrberufs weiter zu erhöhen und haben deshalb eine «Machergruppe Attraktivität Lehrberuf» ins Leben gerufen, die aus Vertretern des Lehrpersonals und des Schulamts besteht. Deren Kernaufgaben liegen in der Analyse des Ist-Zustandes in Liechtenstein, der Sammlung, Gegenüberstellung und Analyse verschiedenster Massnahmen anderer Länder beim Thema «Lehrpersonenmangel» sowie in der Ausarbeitung eines Strategiepapiers zu Handen der Regierung. Es soll Wege aufzeigen, wie die Attraktivität des Lehrberufs in allen Bereichen verbessert werden kann.

Ein anderer wesentlicher Aspekt des Bildungswesens ist die Infrastruktur. Wie steht es um die Fortschritte bei den Weiterführenden Schulen Vaduz? 

Derzeit wird ein Ersatzbau des ehemaligen Internatstrakts beim Schulzentrum Mühleholz I und eine Erweiterung der weiterführenden Schulen Vaduz, des SZM II, umgesetzt. Die Bauarbeiten sind auf Kurs, und der gestaffelte Bezug der neuen Räumlichkeiten findet ab August 2024 statt. Damit wird der zukünftige Raumbedarf am SZM I und am SZM II gedeckt, der durch die Aufnahme der Schülerinnen und Schüler der Realschule Schaan inklusive der Sportklassen der Sekundarstufe I entsteht. Das Schulamt ist zusammen mit den betroffenen Schulleitungen und Fachbereichen ins Projekt eingebunden und bringt vor allem die nutzerseitigen Erwartungen und pädagogischen Kriterien ein.

Wie steht es um das Schulzentrum Unterland II? 

Im Jahr 2018 hat der Landtag die Schulbautenstrategie genehmigt und in der Folge den Verpflichtungskredit für den Neubau eines Schulzentrums Unterland II in Ruggell. So soll in erster Linie Schulraum geschaffen werden, der den Schülerinnen und Schülern der Ober- und Realschule aus den Gemeinden Ruggell, Gamprin und Schellenberg Platz bietet. Im Weiteren wurde die Schulanlage so konzipiert, dass darin Platz für die Berufsmaturitätsschule entsteht. Damit kann für den Vollzeit- und Teilzeitlehrgang der BMS an einem Standort eine sach- und erwachsenengerechte Infrastruktur geschaffen werden. Der derzeitige Fahrplan sieht vor, dass der Unterricht mit Schuljahr 2027/28 am neuen Standort beginnt. 

Bildungspolitisch sind Liechtenstein mit dem Lehrplan «LiLe» und der Bildungsstrategie 2025plus in der jüngeren Vergangenheit zwei grosse Würfe gelungen. Stehen mittelfristig weitere strategische Massnahmen an?

Auf der einen Seite geht es natürlich darum, eine Konsolidierung vorzunehmen. Andererseits zeichnet sich ein gutes Bildungssystem auch dadurch aus, dass es gesellschaftliche Entwicklungen genau analysiert und die entsprechenden Massnahmen daran ausrichtet. Mit der Bildungsstrategie2025plus und dem LiLe wurden wichtige Wegmarken gesetzt, die den Schulen und Eltern Orientierung bieten. Nach dem «Liechtensteiner Lehrplan» ist das Themenfeld «Psychische Gesundheit» als Schwerpunktthema für alle Schulen Liechtensteins angedacht. Im Schuljahr 2023/24 führt das Schulamt in diesem Kontext ein Pilotprojekt zum Thema «Psychische Gesundheit an Schulen» am LG durch, um das Wohlbefinden an Schulen zu eruieren und gegebenenfalls konkrete Massnahmen abzuleiten. Damit wird ein neues Instrument für alle Schulen in Liechtenstein getestet. Mit Start des neuen Schuljahres bietet das Schulamt zudem neu für das gesamte Schulpersonal in Liechtenstein ein Betriebliches Gesundheitsmanagement an. Dazu wurde eine «BGM-Menükarte» mit einem vielfältigen Angebot zusammengestellt. Die Menükarte beinhaltet individuelle Angebote, die einzelne Lehrpersonen, Schulleitende oder weiteres Schulpersonal in Anspruch nehmen können, Angebote für ganze Klassen- oder Schulteams sowie Angebote für gesamte Schulen, die etwas für die Gesundheit des Schulpersonals und der Schülerinnen und Schüler unternehmen möchten.