«Wenn sonst keiner mehr vor Ort ist, ist das Rote Kreuz noch da.»

Nicole Matt-Schlegel ist eine vielseitige Persönlichkeit mit vielfältigen Interessen, die aber eines gemeinsam haben: Der Einsatz für andere, gerade für Schwächere und weniger Privilegierte, liegt ihr sehr am Herzen. Das spiegelt sich auch in ihrem beruflichen Werdegang wider. Als Generalsekretärin beim Liechtensteinischen Roten Kreuz (LRK) hat sie nun seit zwei Jahren eine Position inne, in der sie aufgeht und die sie mit Freude erfüllt.  

Text: Heribert Beck, Foto: Martin Walser

 

«Wir können aktiv  einen Beitrag zur Linderung von Leid leisten, weil wir Teil des weltweit grössten humanitären Netzwerks sind.»

Nicole Matt-Schlegel, Generalsekretärin des LRK

Über zwei Jahre lang war Nicole Matt-Schlegel zwischen September 2005 und November 2007 in San José, der Hauptstadt von Costa Rica, beschäftigt. Sie hat dort mit einem lokalen Team rund zehn kleine lokale und kulturelle Radiostationen saniert und ihre kaufmännischen Kenntnisse bei der Einführung eines modernen Buchhaltungssystems eingebracht. Dies diente aber weniger ökonomischen als viel mehr humanitären Zwecken und beruhte auf einem Abkommen der Regierungen Liechtensteins und Costa Ricas zur Zusammenarbeit im Bildungssektor aus den 1980er-Jahren. «Unser Ziel war die Verbesserung der Radioprogramme und der Lehrbücher, die dem Fernunterricht für Jugendliche und Erwachsene ohne Schulabschluss dienen», sagt Nicole Matt-Schlegel. Ein ähnliches Projekt unterstützte sie auch in Tansania. Ab Januar 2008 war sie dann für rund zwei Jahre im Auftrag des Liechtensteinischen Entwicklungsdienstes (LED) in Cusco in den peruanischen Anden tätig. Wieder brachte sie neben ihren Kommunikations- und Sprachkenntnissen auch ihre fundierte kaufmännische Ausbildung in die Arbeit ein. «Wir haben fünf Mikrofinanz-Genossenschaften im Aufbau von Marketing- und Verkaufsstrategien, bei der Schulung des Personals und bei der Prozessoptimierung unterstützt.» Das Konzept der Mikrofinanzierung ermöglicht es ärmeren Menschen in Entwicklungsländern, Kredite zu bekommen. Gleichzeitig erhalten sie Unterstützung und Wissen aus Liechtenstein, um ihre Schulden zurückzuzahlen und ein eigenes Geschäft aufzubauen. 

Engagement bringt laufend neue Ideen

Dass Nicole Matt-Schlegel einen beruflichen Weg in der Entwicklungszusammenarbeit eingeschlagen hat, liegt, wie sie selbst sagt, vor allem an ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. «Mir wurde in jungen Jahren bewusst, welches Privileg, welch unglaublicher Zufall und Glück es ist, in Liechtenstein geboren zu sein und dort aufwachsen zu dürfen.» Dies wollte sie nicht einfach als gegeben hinnehmen, sondern Menschen helfen, die dieses Privileg nicht haben. So war Nicole Matt-Schlegel nach ihrer Rückkehr aus Peru in zwei gemeinnützigen Stiftungen in Liechtenstein tätig, zunächst zwei Jahre als Projektverantwortliche bei der Medicor Foundation und dann elf Jahre als Geschäftsführerin bei der Maria Marina Foundation. 

«Die anhaltenden globalen Herausforderungen, sei es durch bewaffnete Konflikte, den Klimawandel, soziale Ungleichheiten oder Naturkatastrophen, sind immens. Die herzzerreissenden Bilder, die uns erreichen, hinterlassen oft eine Ohnmacht», sagt Nicole Matt-Schlegel zu ihrer Motivation. Dieses Gefühl der Ohnmacht wollte die engagierte Frau weder beruflich noch privat hinnehmen. «Wenn man sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit engagiert, eröffnen sich fortwährend Möglichkeiten und Ideen, um auf unterschiedliche Weisen einen kleinen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten oder das Bewusstsein der Gesellschaft zu schärfen. So konnte ich in verschiedenen Positionen zahlreiche Projekte umsetzen.» Dazu gehört unter anderem der Aufbau einer Schulbibliothek in Amubri, einem traditionellen Dorf in Costa Rica. In Peru wiederum hat Nicole Matt-Schlegel eine Silberschmuckwerkstatt und eine Weberei als Erwerbsquelle für alleinerziehende Mütter ins Leben gerufen. Ehrenamtlich war sie ausserdem während zehn Jahren Vorstandsmitglied des Vereins Drink & Donate, der den Konsum von Leitungs- statt abgefüllten Mineralwassers in Liechtenstein und der Schweiz fördert und mit den dafür generierten Spendengeldern Trinkwasserprojekte in Entwicklungsländern unterstützt. «Zuletzt war ich nebenbei beim Aufbau einer Plattform für Künstlerinnen und Künstler aus Entwicklungsländern beteiligt. Wer mehr erfahren möchte, darf gerne mal auf satellites-of-art.com reinschauen.» 

Vielfältiger Aufgabenbereich beim Roten Kreuz

Nicole Matt-Schlegel war stets zufrieden mit ihren Tätigkeiten und Engagements. Dennoch
ergab sich vor genau zwei Jahren eine Veränderung in ihrem Berufsalltag. Dem humanitären Engagement blieb sie selbstverständlich treu, doch den Arbeitsplatz hat sie nochmals gewechselt. «Der Vorstand des Liechtensteinischen Roten Kreuz kam auf mich zu und hat mir die Stelle als Generalsekretärin angeboten. Lange überlegen musste ich nicht», sagt Nicole Matt-Schlegel und lächelt. Sofort kommt sie ins Schwärmen, wenn sie von ihren Aufgaben berichtet. «Mich fasziniert an meiner Position die Verbindung von lokalem und internationalem Engagement.» Das spiegelt sich auch wider in der Zusammensetzung des LRK. «Wir sind ein tolles Team an der Geschäftsstelle, das unter anderem für die Auslandshilfe zuständig ist. Zum LRK gehören aber auch so vielfältige Aufgabenbereiche wie die Mütter- und Väterberatung, der Rettungsdienst, das Kurswesen und das Haus Gamander in Schaan. Trotz dieser so unterschiedlichen Arbeitsbereiche ziehen alle am gleichen Strang und sehen sich gemeinsam der Sache verpflichtet. Wir blicken zusammen auf Jahrzehnte erfolgreicher Dienstleistungen im Dienst der Menschlichkeit zurück.»

Auf diesen Lorbeeren ausruhen wollen sich Nicole Matt-Schlegel und das LRK-Team jedoch keinesfalls. Nach dem Bezug des neuen Hauptsitzes an der Zollstrasse 56 in Vaduz vor rund drei Jahren steht derzeit ein neues Projekt kurz vor der Vollendung: das Haus der Familien in der Überbauung «Im Zentrum» in Schaan. «Das nimmt meine Mitarbeiterinnen und mich im Moment stark in Anspruch, aber wir freuen uns auch schon unglaublich auf den Bezug der Räumlichkeiten im Dezember und die offizielle Eröffnung im Januar. Ab dann sind 14 Organisationen inklusive unsere Mütter- und Väterberatung, die sich um unterschiedlichste Anliegen von Liechtensteins Familien kümmern, an einem Ort vereint und können zahlreiche Synergien nutzen.»

Grosse Verdienste und grosse Verantwortung

Auch auf internationaler Ebene strebt die Generalsekretärin danach, das LRK noch besser zu positionieren und die Vorteile eines Kleinstaates effizienter zu nutzen. Dazu diente beispielsweise das Treffen der Rotkreuz-Organisationen der europäischen Kleinstaaten, das im September erstmals in Liechtenstein stattfand. Im kommenden Jahr steht dann die internationale Konferenz in Genf an, bei der nationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften mit den Vertragsstaaten der Genfer Konvention zusammenkommen. «Dies ist eine Plattform für den Dialog über die stetig steigenden humanitären Bedürfnisse und um zu beraten, wie wir die Wirkung humanitärer Reaktionen auf neue, laufende und zukünftige Krisen stärken können.» Denn für Nicole Matt-Schlegel ist klar, dass die weltweit 192 Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften nicht nur auf eine grosse Tradition und immense Verdienste zurückblicken können, sondern der Verantwortung, die sich daraus ergibt, auch immer neu gerecht werden müssen. «Das LRK ist Teil des weltweit grössten humanitären Netzwerks. Selbst wenn sonst keiner mehr vor Ort ist: Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond sind noch da. Zusammen mit der Liechtensteiner Bevölkerung können wir aktiv einen Beitrag zur Linderung von viel Leid auf dem Planeten leisten und weniger privilegierte Menschen an unseren Privilegien teilhaben lassen.» 

«Heute geniesse ich die nähere Umgebung»

Bei ihrem vielfältigen Engagement wundert es nicht, dass die Freizeit von Nicole Matt-Schlegel knapp bemessen ist. «Daher gehört sie in erster Linie meiner Familie und meinen Freunden.» Das hat sogar zu einer Veränderung in der Wahl ihrer Reiseziele geführt: «Früher konnte es nicht weit genug weg sein. Heute bin ich mit meinen Lieben auch ganz gerne irgendwo in der Nähe, am liebsten an einem See, in einer tollen Stadt oder in den Bergen im Schnee», sagt sie und ergänzt: «Zu Hause lasse ich es aber auch gerne etwas ruhiger angehen, besuche das Fitnessstudio, lese ein spannendes Buch und jasse – nicht wirklich gut, aber gerne.»