Anastasia: Die Heilige mit der Schere

Eine Weihnachtsgeschichte, erzählt von Loretta Federspiel-Kieber, Mauren

 

In der dunkelsten Zeit des Jahres, am 3. Dezember, feiern wir den Namenstag des Liechtensteiner Landes- und Bistumspatrons Luzius und am 13. Dezember, mitten im Advent, den der Luzia. Beide Namen bedeuten Licht, leuchtend. Viele Namenstage unserer christlichen Heiligen wurden von der Kirche nicht zufällig übers Jahr verteilt, sie bilden eine sinnvolle Struktur, eine Art energetisches Netz im Laufe der Jahreszeiten.  

Die Heilige mit dem bei uns eher ungeläufigen Namen Anastasia wird in den Bildnissen dargestellt mit einer Schere und einem Salbgefäss in den Händen, auf dem Scheiterhaufen, an einen Pfahl gebunden oder auf einem Schiff. Ihre besondere Bedeutung gewinnt sie durch die Platzierung ihres Namenstages. Im katholischen Kalender fällt er auf den 25. Dezember, der Gedenktag der Heiligen im östlich orthodoxen, armenischen und koptischen Kirchenjahr ist der 22. Dezember. Ihre Namenspräsenz rahmt also gleichsam unser Weihnachtsfest ein. Auch der Name Anastasia hat mit dem Licht zu tun, mit dem wieder gewonnenen, neu erstandenen Licht der Wintersonnenwende. Er bedeutet „Die Auferstandene“.

Um eine Heilige des 3. Jahrhunderts ranken sich natürlich Geschichten und Legenden, die vielleicht erst im Laufe der Zeit entstanden sind. Einer Überlieferung nach soll sie die Schwester von Kaiser Konstantin gewesen sein. Dieser wurde Christ und erhob die christliche Religion zur erlaubten Religion neben dem Vielgötterglauben des römischen Reiches. Zugleich beendete er die entsetzlichen Christenverfolgungen unter Kaiser Diokletian, denen unzählige, in ihrem Glauben an Christus standhaft gebliebene Menschen zum Opfer gefallen sind. Während ihres wohl recht kurzen Witwenlebens kümmerte Anastasia sich in Rom um gefangene Christen. Ihr Attribut, das Arzneigefäss, lässt darauf schliessen, dass sie Verwundete pflegte und Schmerzen linderte.

Auch Anastasia wurde unter Diokletians Herrschaft zur Märtyrin. Sie wurde in einem leckgeschlagenen Boot auf den Fluss Save hinaus getrieben. Das Schiff ging aber nicht unter und so wurde sie in Syrmium, dem heutigen Serbien, verbrannt.

Haarsträubende Ereignisse in ihrem Leben

Zuvor hatten haarstäubende Ereignisse in ihrem Leben stattgefunden. Nachdem ihr Mann, mit dem sie gegen ihren Willen vermählt worden war, gestorben war, sperrte der Verwalter des Hauses sie mitsamt ihren drei Mägden in der Küche ein. Mit dem Vorsatz, sich an den Frauen zu vergreifen, drang er in der Dunkelheit ein, wurde wahnsinnig, er küsste und umarmte Kessel, Kübel und Pfannen, bis er russgeschwärzt, mit zerfetzten Kleidern, von seinen eigenen Leuten nicht mehr erkannt wurde. Ausgelacht und zum Narren gemacht, schlugen sie ihn und bewarfen ihn mit Abfällen. Auch spätere Versuche, den Frauen an die Wäsche zu gehen, blieben erfolglos. Die Kleider liessen sich nicht von ihren Körpern entfernen. Aus Rache liess der Mann Anastasia schliesslich mit 200 jungen Frauen auf eine einsame Insel bringen, wo vor ihr dann alle getötet wurden.

In der heutigen Zeit, in der der Blick vor allem nach unten, auf das Materielle gerichtet ist, und wo gerade in Bezug auf Krankheiten so viel Verwirrung herrscht, ist Anastasia eine himmlische Helferin. Man kann sie um Beistand bitten bei Kopfkrankheiten, Brustleiden und bei schweren Geburten. Deswegen trägt sie auch den griechischen Ehrentitel Pharmakolytria, „Befreierin durch Arznei“. Man darf von ihr durchaus auch Wunder erwarten.

Das Kochelsee-oder Anastasiawunder
vom Kloster Benediktbeuren

Als der bayerische Kurfürst Max Emanuel 1703 Tirol eroberte, führten Tiroler seine Kämpfe weiter und plünderten im gesamten bayerischen Alpenvorland. Schliesslich näherten sie sich dem Kloster Benediktbeuren. Dieses war zwar nach drei Seiten gerüstet, im Süden bildeten der Kochelsee und die Kochelseemoore eine natürliche Barriere. Nun war gerade ein strenger Winter und Wasser und Moore waren zugefroren, so dass sie von den heranstürmenden Soldaten überquert werden konnten. Da baten die Mönche der Anastasia Bruderschaft die Heilige um Schutz. Ihre Reliquien wurden ja schon lange im Kloster verehrt. Am Tage des Angriffs setzte nun ein starker Föhn ein und die Eisdecken brachen. Viele Soldaten sahen himmlische Kräfte wirken und weigerten sich weiter zu kämpfen. Schliesslich wurde der Angriff abgeblasen und das Ereignis wurde als das Kochelsee- oder Anastasiawunder überliefert. Eine reich ausgestattete Rokokokapelle auf dem Klostergelände mit dem kostbaren silbernen, mit Gold und Edelsteinen eingefassten Reliquar der Heiligen hält die Anastasiaverehrung in Benediktbeuren lebendig.

Die Heiligen werden durch die um sie herum entstandenen Legenden zwar greifbar, aber ihre wahre Bedeutung ist die erstaunliche Hartnäckigkeit, mit der die Erinnerung an sie lebendig durch die Jahrhunderte erhalten bleibt. Der Zeitfaktor ist aufgehoben, im Langzeitgedächtnis der Kirche geht kein Mitglied der himmlischen Familie verloren. Sie fordern uns auf, sich nicht nur auf historische Fakten zu verlassen, sondern sich wieder in mystisches Denken einzulassen. So gesehen können die Namenstagsfeste der heiligen Anastasia vor und nach Weihnachten – wie sie einmal im orthodoxen Osten und vier Tage später im westlichen, katholischen Europa gefeiert werden, wie zwei Brückenpfeiler wirken, über die der weihnächtliche Bogen zwischen den christlichen Religionen geschlagen wird.  Anastasia kann,  Kriegswunden heilend, auch um Frieden und eine neue, lichtvolle Zeit angefleht werden, die sich so viele jetzt ersehnen.

Schere als Hilfsmittel der Zensur 

Eines ihrer Attribute ist die Schere, nicht weil sie Patronin der Schneider wäre, sondern weil sie die Patronin der Pressezensur ist. Sie hat den Päpsten geholfen, Schriften zu zensieren, welche den wahren Glauben untergraben. Ihr Bild findet man kaum in den Zeitungsredaktionen, in den Stuben der Historiker oder den Fernseh- und Radiostudios. Und doch hat niemand, der sich mit Geschichte und Presseveröffentlichungen beschäftigt, Zweifel daran, dass hinter den preisgegebenen Meldungen sich noch schichtweise andere Wahrheiten verbergen – eine Herausforderung für die Forschenden und für die Leser ein Aufruf, sich dem verborgenen Gesicht des Weltgeschehens und seiner Bedeutung zuzuwenden. Die Schere, das Hilfsmittel der Zensur, sollte bei den Medien den Anspruch wecken, alles zu prüfen, das Gute aber zu behalten und in der Erkenntnis der Wahrheit fortzuschreiten. Loretta Federspiel

Quellen: Ökumenisches Heiligenlexikon, Legenda aurea, Wikipedia, Erzbischof Wolfgang Haas