100 Jahre Zollvertrag: Ein Jubiläum mit einem Schönheitsfehler

Guido Eberle am historischen Grenzübergang zwischen Ruggell und Bangs. Der Gedenkstein, dessen Umgebung er pflegt, erinnert an Grenzwachtmeister Andreas Flütsch, der 1999 an dieser Stelle in Ausübung seines Dienstes erschossen wurde.

Das Zollvertragsjubiläum ist derzeit in aller Munde und in allen Medien. Freundschaft sowie
wirtschaftliche und politische Beziehungen werden zurecht gefeiert. Guido Eberle, von 1977 bis 2000 als Grenzwächter in Ruggell stationiert und noch heute im alten Zollgebäude wohnhaft, vermisst dabei aber ein entscheidendes Detail: «Wir, die 100 Jahre lang bei Wind und Wetter, 24 Stunden am Tag, an der Grenze standen, zoll- und grenzpolizeiliche Aufgaben erfüllt und zwei Kollegen, einen durch Blitzschlag und einen durch Waffeneinsatz, verloren haben, werden mit keinem Wort erwähnt.»

Auf Guido Eberles Wohnzimmertisch im 100-jährigen Zollgebäude neben dem Grenzübergang Ruggell-Nofels stapeln sich Gesetzesmaterie und Akten. In rechtlichen Belangen wie dem Inhalt des Zollanschlussvertrags von 1923 und dem Zivilrecht kennt er sich inzwischen bestens aus. Davon zeugen die Ordner voller Korrespondenz, die er über die Jahrzehnte mit den Schweizer Behörden, mit Gerichten, National-, Stände- und Bundesrat geführt hat. Ausgangspunkt der gesamten Angelegenheit ist Artikel 23 des Zollvertrags. Er besagt: «Die im Fürstentum Liechtenstein stationierten schweizerischen Beamten und Angestellten und ihre mit ihnen in gemeinsamem Haushalte lebenden Angehörigen, soweit sie schweizerische Staatsangehörige sind, haben ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in Buchs.» Dies klingt harmlos, hatte für Guido Eberle und all seine aktiven sowie pensionierten Kollegen aber unangenehme Auswirkungen.

Die Sache mit dem Schulweg …
«Als ich mich auf die Stelle in Ruggell beworben habe, wurde mir gesagt, dass ich im Zollhaus Wohnsitz nehmen muss», sagt Guido Eberle. Das ging für ihn damals in Ordnung, und 1977 trat er seinen Dienst an. Doch bald zeigten sich erste Schwierigkeiten. Dass gleich nebenan im Riet ein Schweinestall stand, der nicht nur den Dienst, sondern auch das Öffnen der Wohnungsfenster wenig angenehm gestaltete, liess sich nach einigen Jahren ändern. Gravierender war das Problem mit dem Schulweg seiner Kinder und dem von Kindern anderer Grenzwächter. «Der Pendlerverkehr war noch nicht so dicht wie heute, aber schon damals passierten jeden Morgen Hunderte Fahrzeuge den Grenzübergang. Auf der Strecke Richtung Ruggell gab es keinen Radweg, und die Geschwindigkeitsbegrenzung liegt bei 80 Stundenkilometern. Das ist kein Schulweg für ein Kind, schon gar nicht in der Dämmerung», sagt Guido Eberle. Darin gab ihm auch die Landespolizei recht. «Generell hatte ich mit den Liechtensteiner und Ruggeller Behörden immer ein gutes Einvernehmen», betont er. Doch weder das Schulamt in Vaduz noch die Gemeindeverwaltung von Ruggell waren rechtlich zuständig für das Anliegen der Schulwegsicherung. Schliesslich hatten Eberle und seine Familie Buchs als offiziellen Wohnsitz. An die dortigen Behörden wandte er sich auch. «Immerhin haben Steuerzahler nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte.» Die Kontaktaufnahme mit der Steuergemeinde Buchs gestaltete sich schwierig. Die ersten Briefe wurden gar nicht beantwortet. «Ich schaltete einen Anwalt in dieser Angelegenheit ein. Erst dann kam Bewegung in die Sache. Nach einigen Monaten harter Verhandlungen konnte eine Lösung gefunden werden: eine Kilometerentschädigung für die Schülertransporte, die wir selbst organisiert und durchgeführt haben», sagt der pensionierte Grenzwächter.

«Auch unsere Familien mussten aufgrund der unregelmässigen Arbeitszeiten und Sonntagsdienste Nachteile in Kauf nehmen.»

Guido Eberle,
pensionierter Grenzwächter

 

… und jene mit den Steuern
Ähnliche Probleme gab es noch in grösserer Zahl. Steuerlich war der Wohnsitz Buchs für die in Liechtenstein stationierten Grenzwächter und ihre Angehörigen selbstverständlich ebenfalls nachteilig. «Mein mittlerweile leider verstorbener Arbeitskollege Walter Calörtscher und ich waren in diesem Zusammenhang zehn oder zwölf Mal in Bern und haben bei verschiedenen Behörden vorgesprochen. Ohne Erfolg. Wir suchten daher Kontakt mit Bundespolitikern. Schliesslich nahmen sich dankeswerterweise die Nationalrätinnen Hildegard Fässler und Susanne Leutenegger-Oberholzer unserer Sache mittels zweier Motionen an», sagt Guido Eberle.

Das Ziel des politischen Vorstosses von Leutenegger-Oberholzer war die Entlassung der Familienangehörigen aus Artikel 23 des Zollvertrags. Die Motion wurde im Nationalrat jedoch abgelehnt. Mehr Erfolg hatte zunächst Hildegard Fässler mit dem Ansinnen, die Domizilbesteuerung für pensionierte Grenzwächter mit Wohnsitz in Liechtenstein anzupassen. Sie wurde mit 116 zu 41 Stimmen angenommen. In der Finanzkommission des Ständerats wurde das Anliegen jedoch abgelehnt. «Mit der Begründung, dass es ja nur ein paar ganz wenige betreffe», sagt Guido Eberle und schüttelt verständnislos den Kopf. «Das ist eine klare Diskriminierung. Hält doch schon die Bundesverfassung fest, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.» Komplettiert wurde Eberles Enttäuschung über seine politischen Vertreter in Bern vom damaligen Finanzminister Merz. «Er sagte: ‹Ich bin nicht bereit zu einer Gesetzesänderung, die zum Verlust von Steuergeldern führt›.» 

Man merkt Guido Eberle an, dass er gerne noch mehr zu Merz‘ Finanzpolitik sagen würde, aber der langjährige Staatsdiener in ihm sträubt sich trotz aller Ernüchterung dagegen. Dennoch verweist er auf konkrete Zahlen: «Der Zollvertrag wurde Dutzende Male angepasst, aber die Artikel, die das Personal betreffen, stammen noch von 1923. Dass sie keine Anpassungen erfuhren, geschah eben aus der Angst, Steuergelder zu verlieren. Lediglich einige Zehntausend Franken sind das pro Jahr, die dem Bund, dem Kanton und der Stadt Buchs insgesamt entgangen wären.» Dabei sei der Wohnsitz Buchs 1923 mit dem Argument eingeführt worden, dass die steuerliche Belastung in Liechtenstein höher sei. «Ich weiss es nicht genau, kann es mir aber nicht vorstellen. Was ich weiss, ist, dass damals in Buchs die Angst vorherrschte, die Steuerfranken der Grenzwächter zu verlieren, die bis zum Inkrafttreten des Zollvertrags die Grenze am Rhein bewacht haben.» 

Auch das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Liechtenstein und der Schweiz brachte für Eberle und seine Mitstreiter keine Besserung – trotz zunächst gegebener Versprechen. «Bundesrätin und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte erklärt, dass bei nächster Gelegenheit im Rahmen der Verhandlung über das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Liechtenstein eine Lösung angestrebt werde. Passiert ist gar nichts.» Inzwischen besteht das Problem zwar nicht mehr. Es wurde aber auch nicht auf Vertragsebene geregelt, sondern sozusagen ausgesessen. «Heute wird darauf geachtet, dass für Liechtenstein zuständige Grenzwächter nicht mehr im Land wohnen.»

Jubiläumsprogramm reisst alte Wunden auf
Auch Guido Eberle hatte mit der ganzen Angelegenheit abgeschlossen. Schliesslich hat er seit seiner Pensionierung im Jahr 2000 seinen ordentlichen Wohnsitz in Schellenberg. «Meine Frau und ich fühlen uns dort zu Hause. Wir wohnen seit 45 Jahren im Zollgebäude, haben einen schönen Garten, viele Kontakte in Liechtenstein und der Region und geniessen unsere Pension. Dafür sind wir dankbar.» Den Liechtensteiner Behörden macht Eberle keinen Vorwurf. «Ich verstehe es, dass sie wegen einer inneren Angelegenheit der Schweiz nicht für Verstimmungen mit dem Vertragspartner sorgen wollten.» 

Doch dann kamen die Feierlichkeiten zum Zollvertragsjubiläum. «Liechtenstein hat ein grossartiges Programm auf die Beine gestellt. Dass der Schweizer Beitrag gering ausfällt, wäre für mich noch zu verschmerzen gewesen. Aber dass die Eidgenossenschaft die Leistung von uns Grenzwächtern im Rahmen des Jubiläums mit keinem Anlass und keinem Wort würdigt, enttäuscht mich sehr. Auch unsere Familien mussten aufgrund der unregelmässigen Arbeitszeiten und Sonntagsdienste Nachteile in Kauf nehmen. Einige von uns haben ihr Leben verloren, die Behörden haben uns im Stich gelassen, und nicht einmal im Rahmen eines so grossen Jubiläums sind wir ein Wort des Dankes wert», lautet Guido Eberles ernüchterndes Fazit.