Casinos: «Die Lösung liegt in der Regulierung»

Krankhaftes Spielverhalten ist gemäss Regine Rust ein komplexes Themenfeld. Die Leiterin der Stiftung Suchthilfe in St. Gallen ist seit 30 Jahren in diesem Bereich tätig und arbeitet in ihrer derzeitigen Funktion auch eng mit dem Casino St. Gallen zusammen. Für sie liegt der wirksamste Ansatz zur Lösung des Suchtproblems weder in einem totalen Verbot noch in einer totalen Öffnung, sondern vor allem in einem wirksamen Spielerschutz. 

Lässt es sich sagen, welcher Prozentsatz der Bevölkerung spielsuchtgefährdet ist?
Regine Rust: Auf die Bevölkerung lässt sich das nicht exakt umrechnen, da viele Menschen überhaupt nie spielen und auch die Dunkelziffer der Spielenden hoch ist. Man geht aber davon aus, dass von denjenigen, die Glücksspielen nachgehen, fünf bis zehn Prozent ein problematisches Verhalten an den Tag legen und ein Prozent süchtig ist.

Wie kann man das problematische vom süchtigen Spielen abgrenzen?
Ein problematisches Spielverhalten kann bedeuten, dass jemand das ganze Geld, das ihm für die Freizeit zur Verfügung steht, verspielt. Diese Person hat oft keine Schulden, kann ihren finanziellen und beruflichen Verpflichtungen nachkommen, aber kaum je etwas zur Seite legen, und ihre Gedanken drehen sich oft zu einem grossen Teil um das Spielen. Bei süchtigen Spielern geht häufig der komplette Lohn für das Glücksspiel drauf, das Leben dreht sich nur noch darum, anderen Verpflichtungen wird nicht nachgekommen, die finanzielle Existenz ist massiv gefährdet, zum Teil kommt es auch zum Griff in die Firmenkasse, und der Kühlschrank zu Hause bleibt leer.

Welche Personengruppen sind besonders gefährdet?
Theoretisch kann jeder süchtig werden. Wie generell im Leben neigen Männer aber eher zu einem kompetitiven, risikoreichen Verhalten. Es hängt jedoch auch von der Art des Spiels ab. Sportwetten schliessen vor allem junge Männer ab, für die Rubbellose weniger Reiz haben. In den Casinos ist der Anteil der Frauen höher als generell unter den Spielern. Doch auch dort sind es mehrheitlich Männer.

Wie wird aus einem Gelegenheitsspieler ein problematischer und, im Extremfall, schliesslich ein süchtiger Spieler?
Es gibt nicht den einen Faktor. Früher herrschte teilweise die Meinung vor, süchtiges Spielen sei genetisch veranlagt. Heute weiss man, dass eine Kombination aus verschiedenen Aspekten zusammenkommen muss. Das fängt bei den Persönlichkeitsmerkmalen an. Ein extrem sparsamer, vorsichtiger Mensch ist naturgemäss weitaus weniger gefährdet als eine impulsive, risikofreudige Persönlichkeit, der Geld nicht besonders wichtig ist. Dann hängt es davon ab, wie jemand mit Frustration umgeht, wie die Lebensumstände sind, wie akzeptiert das Spielen in einer Gesellschaft oder einem direkten Umfeld ist und welches Angebot zur Verfügung steht. Das Thema ist komplex.

Wenn Sie das Angebot ansprechen: Wäre ein Casinoverbot eine Lösung, um der Spielsucht Einhalt zu gebieten?
Das wäre für mich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Denn ein Verbot bedeutet nicht, dass das Verbotene nicht stattfindet. Ein Beispiel dafür ist die ehemalige DDR. Dort war Drogenkonsum verboten, und seine Existenz wurde von staatlichen Stellen geleugnet. Süchtige haben sich ihren Stoff dennoch besorgt oder sogar selbst hergestellt. Da das Problem offiziell aber nicht existierte, fanden sie keine professionelle Hilfe.

Die Lösung ist auch im Glücksspielbereich meines Erachtens weder eine totale Öffnung noch ein totales Verbot. Dass Verbote die Zahl der Süchtigen auf null reduzieren, ist eine Illusion. Die Lösung liegt in der Regulierung und damit Risikominimierung, in einem guten Schutz und einer guten Prävention und in der Konsumkompetenz, also im richtigen Umgang mit einem Angebot. Unbestritten ist, dass ein grosses Angebot den Konsum einfacher macht. Das gilt auch für das Wechseln zwischen Casinos und über Ländergrenzen hinweg. Doch damit ein national begrenztes Verbot eine Auswirkung hätte, ist das Netz in der Region zu eng. 

Welchen Einfluss hat die Verfügbarkeit von Online-Glücksspielen?
Nicht den gleichen auf alle problematischen oder süchtigen Spieler. Wer die Atmosphäre im Casino liebt und braucht, weicht kaum auf den Handybildschirm aus. Wer schlicht den Reiz des Spiels und das Nachjagen nach dem Geld sucht, hat im internetbasierten Glücksspiel aber eine unkontrollierte Alternative.

Regine Rust

«Die Lösung ist im Glücksspielbereich meines Erachtens weder eine totale Öffnung noch ein totales Verbot. Dass Verbote die Zahl der Süchtigen auf null reduzieren, ist eine Illusion. Die Lösung liegt in der Regulierung und damit Risikominimierung.»

Regine Rust,
Leiterin der Stiftung Suchthilfe St. Gallen

 

Da ein Casino-Verbot offenbar nicht die alleinseligmachende Lösung ist: Wie lässt sich problematischen Spielern und Süchtigen helfen?
Wichtig ist, dass sofort interveniert wird, wenn jemand auffällt. Sobald ein Casino feststellt, dass jemand regelmässig hohe Summen verspielt, muss der Spielerschutz greifen. Der Spieler weiss zwar meist selbst über sein problematisches Verhalten Bescheid. Von grosser Bedeutung ist es aber, dass ihn jemand von aussen darauf anspricht und ihn auffordert, seine finanzielle Situation offenzulegen, aufzuzeigen, ob er sich das Spielen in diesem Umfang leisten kann. Ein Millionär kann naturgemäss andere Summen verspielen als jemand, der einen Durchschnittslohn empfängt. Daher müssen die Casinos die finanzielle Gesamtsituation beurteilen, wenn es darum geht, eine Sperre auszusprechen oder nicht. Auf das Spielverhalten angesprochen zu werden, ist in der Regel nicht angenehm für Betroffene. Es ist aber wichtig für den problematischen oder süchtigen Spieler, um den Teufelskreis zu durchbrechen oder sich sogar selbst sperren zu können. Mit einer Sperre ist dann zwar noch keine 100-prozentige Lösung gefunden. Aber sie ist ein Baustein, der zum Erfolg beitragen kann. Eine Sperre ist ein Signal, die einen Prozess der Auseinandersetzung mit der Sucht in Gang bringt oder fördert. Natürlich führt das aber nicht von heute auf morgen zum Ziel. Denn, wie man in eine Sucht über zwei bis drei oder mehr Jahre hineinrutscht, braucht man in der Regel ebenfalls zwei bis drei Jahre, um sie wirklich in den Griff zu bekommen. Irgendwann in diesem Prozess ist meistens auch der Punkt erreicht, an dem der Spieler selbst sagt «Die Sperre war richtig und wichtig». Zusammengefasst sollte das Glücksspielangebot nicht zu gross sein, der Spielerschutz aber umfassend. 

Wie setzen die Casinos den Spielerschutz um?
Konkret kann ich nur für das Casino St. Gallen sprechen, das sehr gut mit uns als Stiftung Suchthilfe zusammenarbeitet. Dort wird der Spielerschutz vorbildlich gelebt. Ich denke, dass dies auch jenseits der Kantonsgrenzen der Fall ist. Denn Casinos sind natürlich gewinnorientiert, heute kann sich aber niemand mehr den Ruf leisten, mit Suchtkranken Geld zu verdienen. Daher ist das Interesse an einem wirksamen Spielerschutz bei allen Betreibern sehr gross. Das hilft ausserdem, Klagen zu vermeiden oder abzuwehren. Auf der anderen Seite ist es auch kaum im gesellschaftlichen Interesse, den unproblematischen Spielern die Freude am Casinobesuch zu nehmen. Eine Gesellschaft muss Suchtkranke selbstverständlich schützen, aber nicht all ihre Mitglieder in Sippenhaft nehmen.