«Das Malen mit Ölfarben ist wie eine Form von Alchemie»

«Schon in einer kleinen Nische der Malerei allein gibt es lebenslang etwas zu lernen.» Jess de Zilva, Künstlerin

Den Namen «Things we do» trägt die Ausstellung der Werke von Jess de Zilva, welche zwischen dem 5. und dem 22. Mai im Pfrundhaus in Eschen gezeigt wird. Wie viel Tiefgang in ihren Gemälden steckt, was sie neben der Ausstellung sonst noch plant und vieles mehr, lesen Sie im spannenden Gespräch mit der Künstlerin mit Wurzeln in der Gemeinde Mauren.

Jess de Zilva erinnert sich noch ganz genau an ihre erste Berührung mit kreativem Schaffen. «Meine erste bewusste Erinnerung an Kunst ist, dass ich einem Künstler bei der Arbeit zuschaute. Er machte Grafiken für ein Musikfestival, bei dem mein Vater arbeitete, und ich war sofort hin und weg! Er malte auch das Hintergrundbild für die Bühne und auf seinem Auto hatte er einen Elvis mit der Spritzpistole gesprayt.» Heute kann man sich das schwer vorstellen, aber der Künstler, von dem Jess de Zilva damals so begeistert gewesen ist, arbeitete nur mit seinen Händen und seiner Fantasie und hatte keine Grafikprogramme als Unterstützung. Das habe sie schon schwer beeindruckt. «Dieses Old Style-Handwerk wirft mich heute noch um.»

«Ich wollte mich nicht einschränken»
«Mein erstes Gemälde, an das ich mich konkret erinnere, malte ich mit sieben Jahren am Küchentisch mit meiner Gotta», sagt die heute 44-Jährige. «Sie hatte das Aquarellmalen im Griff wie sonst niemand. ‹Grischetta die Maus› habe ich in Aquarell gemalt und mit schwarzer Tusche und Feder fertiggestellt. Die Maus sass im Gras und schaute in den Himmel hinauf.» Diese Freude an ihrem ersten Wurf in der Kunstwelt hält immer noch an. «Wenn jemand ‹Grischetta› in unserer Familie erwähnt, zaubert das uns bis heute ein Lächeln auf die Gesichter.» Für Jess war auch klar, dass sie irgendwann Kunst studieren wollte. Sie fand sich dann aber vor einer Wahl, die sie so nicht erwartet hätte. So kam sie eigentlich eher zufällig zur Malerei im professionellen Bereich «Ich musste eine Disziplin auswählen und fand das damals doof, weil ich mich nicht einschränken wollte und gerne von einer Disziplin zur anderen wanderte. Ich entschied mich dann für die Malerei, weil ich mich in den anderen Gebieten mehr Zuhause fühlte. Das Malen war für mich die grösste Herausforderung, dort hatte ich am meisten zu lernen.» Lustigerweise habe ihr sogar ein Lehrer am Vorkurs davon abgeraten, weil sie damit im grossen Format Mühe hatte. Das habe sie aber bloss noch verbissener gemacht. «Das gepaart mit einer guten Menge Selbstkritik hält mich bis heute da fest. Schon in einer kleinen Nische der Malerei allein gibt es lebenslang etwas zu lernen.» 

«Wieso tun wir, was wir tun?»
Zu diesem ewigen Lernprozess gehört auch der Umgang mit verschiedenen Maltechniken und Materialien. Wenn Jess de Zilva sich nur auf eine beschränken müsste, wäre dies ohne Zweifel die Ölmalerei. «Ich liebe alles, was sie mit sich bringt. Die Materialien, die vielen Zutaten und ihre Kombinationen, die Gerüche, die unglaubliche Flexibilität und Tiefe dieses Mediums und auch wie sie mich zeitlich ‹versetzt›. Das Malen mit Ölfarben ist wie eine Form von Alchemie. Es ist auch, als ob ich ein bisschen Vergangenheit weiterführen darf. Die Art, in der ich male und die Technik, die ich anwende, zwingen zur Geduld und dazu, mich im Moment zu konzentrieren. Ich schätze mich glücklich, dies tun zu dürfen.» Die Inspiration für ihre Bilder zieht de Zilva vor allem aus dem Alltag. «Es geht darum, verstehen zu wollen, was hinter unseren Handlungen schlummert. Das treibt mich an, diese Geschichten zu malen. Wieso tun wir, was wir tun? Meine Gemälde sind als psychologische Allegorien zu verstehen. Ich versuche in den Bildern unseren inneren Zwiespalt und unsere Dilemmata zu erfassen. Diese Verlagerung nach Aussen gibt uns eine neue Perspektive, aufgrund welcher wir vielleicht Verständnis und Mitgefühl bilden können sowie die Wahrnehmung gewinnen, dass wir mit diesen Gefühlen nicht alleine sind.» Ihre Bilder versuchen aus einer chaotischen Welt Sinn zu ergeben, wie sie lächelnd erklärt. Zudem sollen sie Gegensätze zusammenbringen und gewissermassen «Ordnung» schaffen. «Auf einer anderen Ebene geht es mir darum, etwas zu schaffen, das immer wieder Neugier weckt, handwerklich von bester Qualität ist und ästhetisch überzeugt.» Im Fokus ihrer Bilder stehen immer Menschen. An denen fasziniere sie vor allem die Psyche. «Die Unberechenbarkeit und Unvorhersehbarkeit der Menschen und die Tatsache, dass sie Gegensätze in sich tragen, gefällt mir. Die Geschichten sind unerschöpflich und zugleich immer wiederkehrend.» 

Wie eine saure Limone zwischen Avocados
Wie lange die Künstlerin aus Mauren an einem Werk arbeitet, sei sehr schwierig zu beantworten. «Manche Ideen trage ich Jahre mit mir herum, bis sie reif genug sind, Form anzunehmen. Die meisten Ideen verwerfe ich und manche sind stur genug, um nach Jahren wiederaufzutauchen. Ein grosser Teil meines kreativen Prozesses passiert innerlich. Diesen Raum zu finden und diese scheinbare Unproduktivität auszuhalten, ist nicht immer einfach.» Doch wenn es dann irgendwann konkreter werde, mache sie Notizen und entwickle eine rohe Bildidee. «Ich beginne zu formulieren, was das Bild braucht: wer, was, wo, wie? Das Produzieren des Rohmaterials ist der nächste Schritt. Das kann in Form eines Fotoshoots oder Films sein. Erst dann kreiere ich das Design. Das Malen des Gemäldes ist der letzte Teil eines langen Prozesses.» 

Die Mutter von Jess ist Liechtensteinerin (aus der Dökterle-Marxer-Dynastie)ihr Vater stammt aus Sri Lanka, und sie lebt hauptsächlich in London. Dieses Weltenbürgertum habe ihre Kunst wahrscheinlich schon unbewusst beeinflusst. «Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es das Gefühl, dass ich nie zur Ruhe komme, nie hundert Prozent irgendwo hinpasse oder weiss zu welcher ‹Sorte› ich gehöre. Diese Reiberei, dieses ‹weder hier noch dort›, diese Dichotomie spielt in meiner Arbeit auf jeden Fall mit eine Rolle.» Den Begriff Heimat könne sie unmöglich an einen geografischen Punkt festnageln. «Heimat sind Menschen. Heimat ist eine Sicherheit, dass man nicht alleine ist, auch wenn man sich alleine fühlt. Heimat ist, wo man sich selbst sein kann, sich entfalten kann und akzeptiert wird, wenn man auch wie eine saure Limone zwischen Avocados sitzt!» 

Bald in der Region
Aktuell plant die Londonerin eine Ausstellung in der Heimat ihrer Mutter. Doch das sei nicht einmal so einfach, wie man sich das vielleicht vorstelle. «Die Gemälde sind fertig. Ich hatte ein Datum gesetzt, an dem ich einen Schlussstrich ziehe. Nun bin ich mit Transport und Zoll beschäftigt, für das der Brexit stets neue Überraschungen parat hat.» Auch arbeite sie aktuell an der Dokumentation der Werke, am Katalog und am Rahmenprogram etc. und nicht zuletzt gehe es um die Finanzierung des ganzen Unternehmens. 

Neben der Ausstellung, welche vom 5. Mai bis 22. Mai 2022 in den Pfrundbauten Eschen stattfindet, hat de Zilva noch einige weitere Pfeile im Köcher. «Ich habe weitere Gemälde in Vorbereitung, die dort weiterfahren, wo die Ausstellung aufhört. Das ist ein fortführender Prozess. Mein nächster Auftrag ist eine Reproduktion des Gemäldes ‹Matthias und der Engel›, das von Caravaggio 1602 fertiggestellt und dann im Zweiten Weltkrieg bei einem Brand zerstört wurde. Im kleinen Format werde ich ausserdem an Illustrationen für ein Buch mit Kurzgeschichten arbeiten.» 

Doch ihr Kalender habe durchaus auch noch Platz für weitere Geschichten. «Ich habe im Moment noch Kapazität für Aufträge in der zweiten Jahreshälfte. Falls jemand beispielsweise ein Familienportrait in Auftrag geben möchte, ist jetzt der perfekte Zeitpunkt, um sich bei mir zu melden.» Mehr Informationen zu Jess de Zilva gibt es unter www.jessdezilva.co.uk.