Pflegeengpass: Auch Liechtensteiner Politik gefordert

Nach dem deutlichen Ja zur Pflegeinitiative in der Schweiz im letzten November muss der Bundesrat Massnahmen vorantreiben, um dem drohenden Fachkräftemangel im Pflegebereich entgegenzuwirken. Auch in Liechtenstein ist das Thema akut, wie ein Podcast der Stiftung Zukunft.li zeigt. 

Bereits im Jahr 2019 hat Zukunft.li die Studie «Fachkräfte und Freiwillige: Wer pflegt und betreut uns im Alter?» veröffentlicht und aufgezeigt, dass sich durch die absehbare Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung ein Personalengpass im Betreuungs- und Pflegebereich anbahnt. Dieser wird immer spürbarer, wie Barbara Frommelt, Geschäftsführerin der Familienhilfe Liechtenstein und Thomas Riegger, Geschäftsführer der Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe (LAK), betonen. Zehn von 130 Vollzeitstellen seien in den fünf Pflegeheimen der LAK derzeit vakant, beziffert Riegger im Podcast. Das Problem werde sich in den nächsten Jahren deutlich verschärfen: «Nicht nur wegen der demografischen Entwicklung steuern wir auf einen Engpass zu, sondern auch weil wir viele Mitarbeitende mit Babyboomer-Jahrgängen haben und diese in den nächsten Jahren in Pension gehen. Wir rechnen in den kommenden fünf Jahren mit 60 Vollzeitstellen, die wir neu besetzen müssen. Aufgrund des hohen Teilzeitanteils in unserer Branche entspricht das rund 80 bis 90 Personen, die wir neu rekrutieren müssen.» Seine Hoffnung ist, dass die Massnahmen im Bereich der Ausbildung – wie sie im Rahmen der Pflegeinitiative vorgesehen sind – einiges bewirken können. Eine besondere Herausforderung ist die Rekrutierung von Kaderpersonal der mittleren Führungsstufe, also Team- oder Stationsleitende, die sowohl fachlich als auch menschlich bestens qualifiziert sind. «Gute Führungskräfte helfen wesentlich mit, die Fluktuation möglichst tief zu halten. Neben der Rekrutierung von gutem Nachwuchs ist das ein sehr wichtiger Faktor», ist Riegger überzeugt.

Weiterbildung derzeit finanziell unattraktiv
Mit ähnlichen Herausforderungen sieht sich Barbara Frommelt bei der Familienhilfe konfrontiert. Auch sie stellt fest, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft hat. Um konkurrenzfähig zu bleiben, seien gute Arbeitsbedingungen zentral, so spielten beim Stellenwechsel Lohn, Betriebskultur und auch Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Schwierig sei die Personalsuche ausserdem deshalb, weil ein breites Spektrum an Fachwissen gefordert sei, um Akut- und Langzeitpflege, psychiatrische Unterstützung sowie Betreuung anbieten zu können. «Besonders schwer zu besetzen sind Stellen, die einen Bachelor- oder Masterabschluss erfordern», betont Frommelt. Oft scheitere es an finanziellen Gründen, Personen mit abgeschlossener Lehre oder Matura für eine Aus- oder Weiterbildung an einer höheren Fachschule oder Hochschule zu motivieren. «Die Löhne während der Ausbildung zur Diplomierten Pflegefachfrau bzw. zum Diplomierten Pflegefachmann sind tief. Vielen reicht das nicht, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Daher sind wir als Betrieb stark gefordert, Lösungen zu finden», erklärt Barbara Frommelt. Diesbezüglich hofft auch sie auf die rasche Umsetzung der Pflegeinitiative in der Schweiz. Der Bundesrat will das darin enthaltene Ausbildungspaket rasch vorantreiben, wie er Mitte Januar bekannt gab. Dieses sieht unter anderem vor, die Betriebe für ihre Ausbildungstätigkeiten besser zu entschädigen und die Löhne für Studierende anzuheben. Da sich Liechtenstein am Kanton St. Gallen orientiert, dürfte diese Massnahme auch hierzulande zum Tragen kommen. 

Mehr Geld für Pflege nötig
Damit Liechtenstein nach der Umsetzung der Pflegeinitiative bezüglich Arbeitsplatzattraktivität nicht ins Hintertreffen gerät, gilt es, die Entwicklungen in der Schweiz genau zu verfolgen. Schliesslich pendelt rund jede zweite Betreuungs- und Pflegefachkraft aus dem benachbarten Ausland nach Liechtenstein. «Wir brauchen die Unterstützung der Politik, damit wir unsere Attraktivität halten können. Für die Umsetzung all dieser Massnahmen werden wir auch in Liechtenstein Geld benötigen», stellt Barbara Frommelt klar. Neben Investitionen in die Ausbildung verlangt die Initiative unter anderem anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen inklusive Lohnanpassungen und eine angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen. Punkte, die laut Barbara Frommelt auch im Spitalbereich eine wichtige Rolle spielen: «Bei der Spitalfinanzierung wird die Pflege deutlich zu wenig berücksichtigt. Dort stimmen die Stellenpläne häufig nicht und ich glaube, das verursacht diesen grossen Druck mit. Viele verlieren die Freude an ihrem Beruf, weil sie diesen nicht optimal ausüben können. Verschiedene Untersuchungen zeigen deutlich, dass die Ausstiegsquote bei Pflegekräften sehr hoch ist.» 

Worte in die Tat umsetzen
Die Tatsache, dass sich die Regierung in ihrem Legislaturprogramm zum Ziel gesetzt hat, Versorgungslücken im Bereich der Pflege und Betreuung zu schliessen, zeigt, dass der Handlungsbedarf erkannt ist. Auch die Voten anlässlich einer Aktuellen Stunde im Novemberlandtag 2021 zum Thema Pflegenotstand lassen darauf schliessen, dass der Landtag Vorstösse in diese Richtung unterstützen würde. Thomas Riegger ist auf jeden Fall zuversichtlich, dass sich die Politik der Lage bewusst ist, aus dem Paket die richtigen Schlüsse zieht und entsprechend investiert. Den Worten müssen jetzt also Taten folgen.


Studie von Zukunft.li zeigt Handlungsbedarf
Der Bedarf an Fachpersonal wird in Zukunft massiv ansteigen, davon ist Thomas Lorenz von Zukunft.li überzeugt. Mit der Publikation «Fachkräfte und Freiwillige: Wer pflegt und betreut uns im Alter?» wies der Think Tank bereits 2019 auf die Brisanz des Themas hin. Die wichtigsten Zahlen: 

Der Anteil der Menschen ab 65 wird wegen der Babyboomer bis 2050 auf fast 30 Prozent der Bevölkerung ansteigen. Das Verhältnis zwischen hochaltrigen Menschen ab 80 Jahren und der aktiven Bevölkerung (20 bis 64 Jahre) sinkt bis dahin vom Verhältnis 1 zu 18 (2015) auf 1 zu 4,5 (2050). 

Rund 40 Prozent des Personals in der ambulanten und stationären Alterspflege erreicht in den nächsten 15 Jahren das Pensionsalter und muss zusätzlich zum steigenden Bedarf ersetzt werden. 

Das Potenzial innerfamiliärer Pflege- und Betreuung wird in den nächsten Jahren aus verschiedenen Gründen deutlich sinken. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass künftig Hochaltrige schon wegen kleineren Familiengrössen deutlich weniger auf eigene Kinder zurückgreifen können (Anzahl Kinder nach Altersgruppe). 

Mehr Infos unter www.stiftungzukunft.li