Frauenerwerbstätigkeit – Entscheidung mit volkswirtschaftlicher Bedeutung

Die Frauenerwerbsquote ist in Liechtenstein deutlich tiefer als in der Schweiz. Gleichzeitig klagen die Unternehmen über Fachkräftemangel, und der Grenzgängeranteil steigt von Jahr zu Jahr an. In der neusten Publikation gehtZukunft.li der Frage nach, ob es objektive Gründe für das stärkere Fernbleiben der Frauen vom Arbeitsmarkt gibt undwelche volkswirtschaftlichen Konsequenzen daraus resultieren.

Mehr Arbeitsplätze als Einwohnerinnen und Einwohner – das ist keine Neuigkeit, aber eine Besonderheit der Volkswirtschaft des Kleinstaats Liechtenstein. Das Arbeits- platzwachstum setzt sich seit Jahren fast ungebremst fort. Obund wie stark die Co- vid-19-Krise diese Entwicklung beeinflussen wird, ist heute nicht abzuschätzen. Je- denfalls übersteigt bis anhin die Nachfrage nach Arbeitskräften das inländische An- gebot bei Weitem. Viele Unternehmen und Branchen sind mit einem Fachkräfteman- gel konfrontiert. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre es daher sinnvoll, dasinländi- sche Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen.

Denn eine höhere Erwerbsquote bei gleicher Gesamtbeschäftigung führt zu einem hö- heren Bruttonationaleinkommen (BNE), welches als Mass für den inländischen Wohl- stand gilt. Damit steigt auch das Steuersubstrat an. Ein weitererAspekt ist der gerin- gere Arbeitswegverkehr, wenn Arbeitsplätze durch inländische Arbeitskräfte anstelle von Zupendlerinnen und Zupendlern besetzt werden. Und schliesslich werden die Bil- dungsinvestitionen der öffentlichen Hand besser genutzt und unterstützen so die wirtschaftliche Entwicklung.

Spätestens wenn die geburtenstarken 1960er-Jahrgänge in Pension gehen, wird sich das Arbeitskräfteangebot weiterreduzieren. Eine höhere Erwerbsbeteiligung – insbe- sondere auch der Frauen – könnte helfen, diese Herausforderung für die Wirtschaft zumindest etwas abschwächen.

Direkter Vergleich mit der Schweiz überrascht
Aufgrund der starken Ähnlichkeiten würde man vermuten, dass sich die Erwerbsbetei- ligungsquoten in Liechtenstein und der Schweiz nicht wesentlich unterscheiden. Sie tun es aber doch. Ende 2019 waren in Liechtenstein 76 Prozent der 20- bis 64-Jähri- gen erwerbstätig, während die Quote in der Schweiz bei deutlich höheren 83 Prozent lag. Besonders auffällig ist der Unterschied bei den Frauen. 69 Prozent der Liechtensteinerinnen gingen 2019 einerErwerbstätigkeit nach, in der Schweiz hingegen lag der Wert zehn Prozentpunkte höher.

Die unterschiedlichen Erwerbsverläufe zwischen den Geschlechtern zeigen sich in Liechtenstein ab Alter 30, dies auch unabhängig vom Ausbildungsniveau. Während die Erwerbstätigkeit der Männer auch dann noch ansteigt, knickt die Verlaufskurve bei den Frauen ab und bleibt bis zum Pensionsalter deutlich unter derjenigen der Män- ner. Frauen steigenentweder aus dem Erwerbsleben aus oder reduzieren ihr Pensum. Zukunft.li hat eine Potenzialschätzung angestellt,nach der rund 600 bis 700 Voll- zeitstellen in Liechtenstein besetzt werden könnten, wenn die Frauen in Liechtenstein imgleichen Ausmass erwerbstätig wären wie jene in der Schweiz.

Betreuungswunsch dominiert
Fremdbetreuungskosten und zusätzliche Steuerbelastung reduzieren den ökonomi- schen Anreiz für Erwerbstätigkeit.Dieser Aspekt dürfte in Liechtenstein allerdings eine untergeordnete Rolle spielen. Stärker wiegt der Wunsch, die Kinder möglichst selbst betreuen zu können. Aus liberaler Perspektive muss es auch eine individuelle Entscheidung bleiben, wiesich Eltern in Bezug auf Arbeit und Kinderbetreuung organi- sieren.

Familienpolitik liberal umsetzen
Es ist Aufgabe einer zukunftsgerichteten Familienpolitik, erkannte Hindernisse für die Frauenerwerbsbeteiligung aus dem Weg zu räumen und für optimale Voraussetzun- gen von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen. Die Politikwird sich in dieser Legislatur mit der Umsetzung der Work-Life-Balance-Richtlinie der EU ausei- nandersetzen, dieLiechtenstein als EWR-Mitglied umzusetzen hat. Den positiven As- pekten von ausgewogenen Arbeitsmarktchancen der Geschlechter stehen potenziell zu starke Arbeitsmarkteingriffe gegenüber. Die Politik ist gefordert, das Optimum zu finden,bei dem möglichst hoher volkswirtschaftlicher Nutzen resultiert.