«Niemand soll in der Schullaufbahn beeinträchtigt sein»

Bildungsministerin Dominique Hasler: «Schulamt, Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern und Schülerinnen und Schüler arbeiten jeden Tag daran, die ausserordentliche Lage zu bewältigen und das Beste aus den Umständen zu machen.»

Liechtensteins Schüler, Eltern und Lehrer sind aufgrund der Schulschliessungen derzeit besonders gefordert. Bildungsministerin Dominique Hasler betont aber, dass der Fernunterricht trotz aller Herausforderungen gut angelaufen ist. Die Umstellung innert weniger als 48 Stunden ist eine historische Teamleistung, wofür insbesondere den Schulen und den Familien grosser Respekt und Dank gebührt. 

Frau Bildungsministerin, die Situation rund um das Coronavirus ist einmalig für Liechtenstein und die Schutzmassnahmen der Regierung sind in vielen Bereichen einschneidend. Gerade auch im Bildungsbereich. Zunächst nahm die Regierung von Schulschliessungen Abstand. Warum hat sie sich schliesslich dennoch dazu durchgerungen?
Regierungsräten Dominique Hasler:
Am 11. März 2020 hat die WHO den Ausbruch des Coronavirus als Pandemie eingestuft. Die sehr dynamische Situation verlangt, dass die Lage laufend neu beurteilt und die Strategie anpasst wird. Die Regierung des Fürstentums Liechtenstein setzt alles daran, eine Ausbreitung des Coronavirus so gut wie möglich zu verlangsamen und damit eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Bei den Massnahmen, welche die Regierung unter dem Kontext des Coronavirus trifft, stehen die Gesundheit und der Schutz der Bevölkerung im Zentrum.

Wie sehen die flankierenden Massnahmen zum Lernen zu Hause – oder Homeschooling – aus?
Seit dem Tag der Schulschliessung am 13. März 2020 wurde ein Grundsatz ins Zentrum gestellt und so im Auftrag an die Schulen kommuniziert: «Kein Kind, kein Jugendlicher soll wegen dieser ausserordentlichen Situation in der Schullaufbahn beeinträchtigt sein!» Die Familien sind derzeit ausserordentlich belastet. Fernlernen braucht mehr Zeit als Präsenzlernen. Die Klassenlehrperson hat daher den Auftrag, die Arbeitsaufträge zu koordinieren. Es ist wichtig, dass sich die Lehrpersonen untereinander gut absprechen, damit die Schülerinnen und Schüler nicht zu viele Aufträge bekommen. Es wurden Richtwerte für die Arbeitszeiten der Schülerinnen und Schüler definiert und zudem müssen auch ein Anteil musisch-kreative Aufgaben gestellt und Bewegungsaufträge gegeben werden. Die Lehrpersonen sind ferner auch angehalten, mit den Schülerinnen und Schülern sowie den Eltern in regelmässigem Austausch zu stehen, um ein Feedback zu erhalten und entsprechend den individuellen Bedürfnissen im Rahmen der Möglichkeiten Unterstützung bieten zu können.

Wie reagieren Schüler, Eltern und Lehrer auf die neue Situation?
Trotz der sehr herausfordernden Situation ist der Fernunterricht insgesamt erstaunlich gut angelaufen. An dieser Stelle möchte ich mich auch ausdrücklich bei den Eltern für ihr grosses Verständnis und Engagement bedanken. Selbstverständlich kann nicht schon alles in den ersten zwei oder drei Wochen optimal organisiert sein. Die Kommunikation spielt daher eine zentrale Rolle, um den Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern zu halten und ihre Bedürfnisse und Fragen fortlaufend aufzunehmen. Die Schulen holen laufend Feedbacks ein, um den Fernunterricht, die Kommunikation und die Aufträge zu optimieren. Auch die Eltern müssen regelmässig und direkt informiert werden, damit die Lernziele und Kompetenzen bestmöglich erarbeitet werden können. Umgekehrt ist es jedoch auch wichtig, dass sich die Eltern bei Fragen oder Anliegen jederzeit an Lehrpersonen wenden. Ferner helfen ein Wochenplan und ein strukturierter Tagesablauf dabei, mit der Krise konstruktiv umzugehen. Die Kinder und Jugendlichen sollen nicht überflutet werden mit Aufträgen, sondern koordiniert über die Klassenlehrpersonen im Fernunterricht begleitet werden.

Die momentane ausserordentliche Lage trägt auch dazu bei, die fächerübergreifenden Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu stärken. Gelernt werden in dieser Krisensituation vor allem auch soziale Kompetenzen. Im Lehrplan «LiLe» sprechen wir dabei von überfachlichen Kompetenzen, den sogenannten personalen, sozialen und methodischen Kompetenzen.

Wie ist es in weniger als 24 Stunden gelungen, die Umstellungen zu bewerkstelligen und umzusetzen?
Es gibt einen Pandemieplan und ein Kriseninterventionsmanagement. Mit einer Krise dieser Tragweite hat aber wohl niemand wirklich gerechnet. Schulschliessungen hat es in dieser Form in Liechtenstein in seiner ganzen Geschichte noch nie gegeben. Dennoch ist es gelungen, in nicht einmal 24 Stunden 4‘800 Schülerinnen und Schüler und 760 Lehrpersonen über die aktuelle Situation zu informieren, um dann gemeinsam sicherzustellen, dass ein geordneter Übergang vom Präsenz- zum Fernunterricht erfolgt. Auch die innerhalb von kurzer Zeit erarbeiteten Richtlinien für den Fernunterricht haben sehr geholfen, rasch klare Strukturen und Orientierung zu schaffen. Dabei konnten wir auf eine engagierte Lehrerschaft zählen, welche die Herausforderung angenommen hat und den Fernunterricht nun mit sehr viel Engagement und didaktischem Ideenreichtum gestaltet. Vom Schulamt wurde zudem sofort eine Hotline für Fragen eingerichtet. Schulamt, Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern und Schülerinnen und Schüler arbeiten jeden Tag daran, die ausserordentliche Lage zu bewältigen und das Beste aus den Umständen zu machen. Das ist eine historisch eindrückliche Teamleistung, wofür jedem Einzelnen grösster Respekt und Dank gebührt.

Wie geht es nun weiter, falls auch nach den Osterferien kein Präsenzunterricht möglich ist?
Derzeit wird intensiv an verschiedenen Szenarien gearbeitet, um möglichst vorausschauend auf unterschiedliche Entwicklungen vorbereitet zu sein. Die Lage muss weiterhin laufend neu beurteilt werden. Die genauen Regelungen zur Schullaufbahn hängen daher auch stark von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie ab.

Wie werden Prüfungen und Klassenarbeiten abgehalten?
Dies wird durch die Lehrpersonen geregelt. Sie kann Aufträge benoten und mündliche und schriftliche Beiträge, wo sinnvoll, in die Beurteilung einfliessen lassen. Lernen braucht grundsätzlich immer auch Feedback. Es wird momentan alles daran gesetzt, dass die Coronakrise möglichst keine negativen Auswirkungen auf die Schullaufbahn unserer Schülerinnen und Schüler hat. Um dieses Ziel zu erreichen, werden alle anstehenden Verfahren und Entscheidungen entsprechend angepasst.

Was bedeutet dies für die Ober- und Realschüler sowie die Maturanten, die in Kürze ihren Abschluss machen sollten?
Derzeit wird von den zuständigen Bildungsbehörden, wo dies nötig ist in Abstimmung mit den schweizerischen Bildungsgremien, geprüft, wie Übertrittsverfahren, Aufnahme-, Schul- und Lehrabschlussprüfungen sowie Maturaprüfungen auf Ende des Schuljahres im Sommer 2020 organisiert und durchgeführt werden können. Diese Fragestellungen werden mit hoher Priorität bearbeitet, und sobald sie geklärt sind, werden die Betroffenen selbstverständlich umgehend informiert.

Wie werden die Lehrabschlussprüfungen in dieser Zeit sichergestellt?
Ziel ist es, allen Lernenden im letzten Ausbildungsjahr der beruflichen Grundbildung im Sommer 2020 die Möglichkeit eines Lehrabschlusses zu gewähren. Jedoch sind die Modalitäten und die Organisation der Qualifikationsverfahren in dieser ausserordentlichen Lage unter Einbezug der zuständigen Trägerschaften anzupassen. Die zuständigen Verbundpartner in der Schweiz suchen derzeit nach entsprechenden Lösungen, die auch für Liechtenstein Gültigkeit haben werden. Da die einzelnen Branchen von der gegenwärtigen Krise unterschiedlich betroffen sind, wird davon ausgegangen, dass teilweise branchenbezogene Lösungen gefunden werden müssen. Das Amt für Berufsbildung und Berufsberatung wird die heimischen Lehrbetriebe in dieser besonderen und herausfordernden Ausnahmesituation direkt, laufend und aktuell über die weiteren Vorgehensschritte informieren.

Die ganze Krise ist – hoffentlich – eines Tages überstanden. Wie geht es dann weiter mit dem Unterricht? Wird von einen auf den anderen Tag wieder angefangen oder ist eine gewisse Zeit des Repetierens eingeplant?
Gerade auch im Bereich des Förderunterrichts ist derzeit sehr viel Engagement festzustellen. Ergänzungslehrpersonen sind mittels Telekommunikation im Austausch mit ihren Schülerinnen und Schülern, um diese zu unterstützen und sie sind auch für die Eltern erreichbar. Damit alle Schülerinnen und Schüler auch in dieser schwierigen Zeit entsprechend ihren Bedürfnissen individuell begleitet werden können, muss auch beim Fernunterricht eine Differenzierung stattfinden. Die Lehrer sind darauf vorbereitet, denn die Bedürfnisse der Familien nach Unterstützung sind schon im regulären Schulalltag unterschiedlich. Es ist zentral, dass auch beim Fernunterricht die Beziehung zur Lehrperson aufrechterhalten bleibt. Damit wird sichergestellt, dass möglichst keine Lücken entstehen. Natürlich wird trotz allem bei der Umstellung vom Fern- zum Präsenzunterricht wiederum jeder Schulstandort und jede Lehrperson gefordert sein, zu eruieren, wo jede Schülerin und jeder Schüler steht. Unser Schulsystem kennt auf Primarschul- und Sekundarstufe Fördermassnahmen wie beispielsweise den Ergänzungsunterricht oder Stütz- und Förderkurse, um Schülerinnen und Schüler im Lernen zu unterstützen. Die Lehrpersonen sind Fachleute für das Lernen und können für ihre Klassen einschätzen, wie die Fördergefässe, aber auch eine Zeit des Repetierens im Übergang zu nutzen ist.

Haben die Corona-Schutzmassnahmen Einfluss auf die bereits länger laufenden Digitalisierungsmassnahmen im Liechtensteiner Bildungswesen?
Ja, die Corona-Schutzmassnahmen haben den Digitalisierungsprozess verstärkt. Viele Lehrpersonen übermitteln Lerninhalte, Aufgaben und Erklärungen für den jetzigen Fernunterricht auf elektronischem Weg. Auf der Sekundarstufe haben viele Schulen begonnen, intensiv mit Applikationen zu arbeiten. Sie halten beispielsweise Videokonferenzen mit den Schülerinnen und Schülern ab, geben Hilfestellung über den Chat und nutzen digitale Austauschplattformen, um Ergebnisse zu präsentieren etc. Aus Sicht des Projekts im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, des ICT-Projekts also, hat die Krise daher auch positive Seiten. Viele Lehrpersonen sind mit grossem Engagement dabei, den Unterricht, soweit dies sinnvoll und möglich ist, zu digitalisieren. Zum Glück arbeiten die Schulen und Lehrpersonen schon seit längerem am Thema Digitalisierung. Das hilft bei der Bewältigung dieser Krise.

 

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An der formatio Privatschule verbinden sich digitales, analoges und virtuelles Lernen.

Formatio: «Von der digitalen zur virtuellen Schule»

Auch für die formatio Privatschule ist die Schulschliessung eine grosse Herausforderung. Eva Meirer, die Leiterin der Sekundarschule und des Oberstufengymnasiums, verweist aber darauf, dass sowohl das Schulkonzept als auch die bereits bisher praktizierte Arbeitsweise der Lehrer und Schüler die Umstellung erleichtern.

Der Bildungsbereich steht in Liechtenstein und weiten Teilen Europas vor einer nichtgekannten Herausforderung. Welche Massnahmen hat die formatio Privatschule ergriffen, um den Unterricht trotz Schulschliessung sicherzustellen?
Eva Meirer:
Im Wesentlichen wurde die formatio Privatschule in wenigen Stunden von einer digitalen zu einer virtuellen Schule. Das heisst: Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen folgen weiterhin ihrem Stundenplan, aber von zu Hause aus. Alle notwendigen Präsenzphasen werden als virtuelles Klassenzimmer abgehalten. Da unser Unterrichtsalltag ohnehin digital geprägt ist, sind alle das Arbeiten mit diversen Lernmanagement-Applikationen bereits gewöhnt. Es ist uns ausserordentlich wichtig, in dieser Situation einen geordneten und ritualisierten Lernalltag zu gewährleisten.

Wie reagieren Schüler, Eltern und Lehrer auf die neue Situation?
Der virtuelle Lernalltag hat sich sehr schnell bestens eingespielt. Wichtig für den Erfolg der virtuellen Schule ist die Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen, Schülerinnen und Schülern sowie Eltern. Wir haben zum Beispiel auch unseren Elternsprechtag virtuell abgehalten, das sichert den Austausch und die Kommunikation. Ein weiterer Gelingensfaktor ist sicherlich, dass unser Schulkonzept ohnehin Eigenverantwortung in das Zentrum rückt. Das heisst, die Kinder und Jugendlichen sind es gewohnt, Aufgaben selbständig zu bewältigen und bei der Verfolgung eines Lernziels eigeninitiativ Unterstützung bei Lehrpersonen zu suchen. Diese individuelle Unterstützung erhalten sie natürlich auch weiterhin per Chat oder Videokonferenz.

Eva Meirer

Ist die Herausforderung Schulschliessung für eine Privatschule schwieriger zu meistern als für staatliche Schulen oder hat die formatio Privatschule sogar Vorteile?
Eine Schulschliessung mit dem Anspruch, den Unterricht dezentral aufrechtzuerhalten, ist eine grosse Herausforderung für jede Schule. Unsere konkreten Vorteile würde ich darin sehen, dass wir generell sehr viele Ressourcen in unsere Schulentwicklung stecken. Daher sind wir Veränderungen gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen und haben Erfahrung damit, Neues umzusetzen. Ein weiterer Pluspunkt ist natürlich, dass wir bereits seit 2012 mit Tablets im Unterricht arbeiten und daher versiert im Umgang mit digitalen Medien sind.

Sollte die Schliessung über die Osterferien hinaus andauern, sind sicher auch Prüfungen ein Thema. Haben Sie einen Plan, wie diese abgehalten werden könnten?
Es werden auch derzeit Prüfungen durchgeführt. Bei diesen Lernzielkontrollen fokussieren wir uns auf die Anwendung von Wissen und testen nicht unbedingt Fakten, die auch auswendig gelernt werden könnten. Ein Beispiel dafür sind sogenannte «open book exams», bei denen alle Unterlagen verwendet werden dürfen und auch googeln erlaubt ist. Es ist auch wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler zeigen können, wie sie sich Informationen beschaffen, diese einordnen und das Wissen anschliessend in einer Situation anwenden.

In den staatlichen Schulen ist die Digitalisierung momentan ein grosses Thema. Wie steht es diesbezüglich in der formatio Privatschule?
Wir haben bereits vor acht Jahren damit begonnen, unseren Unterricht mit digitalen Medien zu unterstützen und diese für das Lernen zu nutzen. Digitalisierung bedeutet aber wesentlich mehr als den Umgang mit digitalen Technologien. Gerade jetzt erleben wir, wie dynamisch und komplex die Welt des 21. Jahrhunderts ist. Diese Zusammenhänge der digitalen und globalen Welt zu erforschen und zu reflektieren, wo man selbst innerhalb dieser Welt seinen Platz findet, ist wohl der zentrale Bildungsauftrag in der Digitalisierung. 

Hat die formatio Privatschule spezielle Pläne für das kommende Schuljahr? Werden Neuerungen eingeführt?
Das kommende Schuljahr markiert bereits das vierte Jahr intensiver und innovativer Schulentwicklung, für die wir von der Europäischen Kommission ausgezeichnet wurden. Das bedeutet, dass wir unsere vier Kernbereiche Persönlichkeit, Plurilingualität, Digitalität und Vernetzung ständig weiterentwickeln. Besonders freue ich mich darauf, dass wir im Oberstufengymnasium mit der Einführung des Unterrichtsfachs Entrepreneurship einen zusätzlichen Schwerpunkt anbieten werden, der unser Profil erweitert. Auch in der Sekundarschule stehen vor dem Hintergrund des neuen Liechtensteiner Lehrplans einige Neuerungen an, welche die Entwicklung der Persönlichkeit und das Stärken der individuellen Talente noch weiter in den Mittelpunkt rücken werden.

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