Im Gespräch mit Jugendlichen

«Die Stimme der Jugendlichen»: Johannes Kaiser, Landtagsabgeordneter, im Gespräch mit dem Maturanden Simon Risch (rechts) aus Triesen.

«Ich wollte mit meiner Botschaft die Mitmaturanden und Gäste aufrütteln»

Entgegen der Auffassung vieler Erwachsenen sind die jungen Leute sehr wohl über gesellschaftspolitische Themen informiert und auch interessiert – natürlich nicht über jede lokalpolitisches «Ding».  Sie lassen sich nicht in die bekannten Couleur-Kaskaden einordnen und genau deshalb ist die «Stimme der Jugendlichen» von höchstem Interesse.  Johannes Kaiser führte das erste Gespräch mit dem Maturanden Simon Risch (18) aus Triesen. 

Simon, du hast soeben die Matura am Liechtensteinischen Gymnasium erfolgreich bestanden und hieltest im Namen der Abschluss-Gymnasiasten eine beeindruckende Matura-Rede. Was war deine Hauptbotschaft als junger Erwachsener, der demnächst als Student startet?
Simon Risch: Danke, Johannes! Meine Rede war Ausdruck eines Gefühls, das mich meine letzten Schuljahre hindurch beschäftigt hatte und noch immer tut. Das Gefühl, dass in den Leben von uns gerade erwachsenen Schülern irgendetwas fehlt. Wir wenige Menschen hier in Liechtenstein und Umgebung leben seit Jahrzehnten in völliger Sicherheit. Niemand muss hier ernsthaft darum kämpfen, um zu überleben. Ein Paradies. Allerdings kostet es uns was: Mut. Diese Umgebung, dieser Luxus, diese Blase, frei von wirklichen Sorgen, macht uns träge und anfällig für Vergnügen nur um des Vergnügens Willen. Ich konnte bei vielen keinen Willen sehen, mehr werden zu wollen und zu tun, als nötig ist als Bürger Liechtensteins. Ein Leben in Kleinbürgertum und Fasnachtseskapaden. Materialistisch und beschränkt, abgestumpft und fantasielos, abgeschaut von anderen. Ohne Träume. Ohne die Lust am Leben selbst, am Ausprobieren und Versuchen. Ich sah viele, dessen Leben aus Schule und Keine-Schule bestand. Klar, wissen viele nicht, was sie nach der Matura wollen. Denn sie begreifen die Freiheit, die echte Freude des Lebens nicht. Also stand die Maturafeier bevor, und ich wollte die Rede halten. 

Ich wollte versuchen, mit dieser Stellungnahme, mit dieser Botschaft meine Mitmaturanten und auch die Gäste aufzurütteln, mit der Hoffnung, dass die Maturafeier am Ende nicht eine Feier werden wird wie jede andere, die einfach vorbeigeht. Nicht ein weiterer Moment, der einen nicht weiterbringt in nichts – ausser paar lustigen Andenken. Ich wollte den Maturanten helfen, einen Punkt zu setzen. Den Anfangspunkt ihrer grossen Reise danach: Ihr Leben.

Der deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht sagt dezidiert, dass die Schule den wichtigsten Auftrag erfüllen müsste, dass Schüler und junge Leute in der Kommunikation sehr gut ausgebildet werden und sich gut ausdrücken können. Erhält die Kommunikation in unserem Bildungssystem diesen Stellenwert?
Ich habe zwar keine Erfahrungen vom Unterricht in Ober- und Realschule, allerdings konnte ich in meiner gesamten Schullaufbahn bis zur Matura feststellen, dass wiederholt grossen Wert auf Gruppenarbeiten und -gespräche, selbstständiges Schreiben und Vortragen bzw. «Lernen durch Lehren» und die Sprachfächer gelegt wurde. Natürlich alles noch lehrerabhängig, insgesamt aber sehr gut. Einzig im effektiven Motivieren sollte man sich – überall in der Bildung – noch üben. Auch zum Widersprechen und selber Hinterfragen muss mehr angespornt werden. Wir sollten als denkende Menschen die Schule verlassen, nicht als gelernte Maschinen. Sonst können wir uns kaum irgendeines Individualismus und Demokratie rühmen.

Du gibst mir das Stichwort «denkende – mitdenkende» Menschen: Werden in unserem Bildungssystem die individuellen Stärken wirklich gefördert und gestärkt?
Individuelle Förderung ist ebenfalls stark lehrerabhängig, allerdings lässt unser Bildungssystem da auch wirklich wenig Spielraum. Das Einzige, was ich in diese Richtung erleben konnte, war ein «Förderkurs» in der Primarschule, der aber mehr in reinem Unterrichtsentzug der stärkeren Schüler endete, damit der Anderen langsames Unterrichtstempo möglichst beibehalten werden konnte. Zur «Eidgenössischen Matura» des Gymnasiums kann ich sagen, dass sie es sinngemäss wirklich versuchen, eine völlig allgemeine Bildung anzubieten, was allerdings mit seiner unterschiedlich starken Wertung einzelner Fächer für die Gesamtnote bestimmte Schüler bevorteilt und andere benachteiligt, und falsche Anreize zum Lernen gibt: Überall gut sein zu müssen, heisst schnell, nicht für sich zu lernen, sondern für die Note. Immerhin bieten die ausserschulzeitlichen Wahlfächer, die Profilwahl ab der 4. Gymnasialstufe und die «Wahlpflichtkurse» ab der 6. eine gewisse Differenzierung. Hochbegabte haben die Möglichkeit, an Wettbewerben wie der Physikolympiade mitzumachen und mit Leistungsauszeichen herauszustechen. Förderung kann man das allerdings nicht nennen. Das Gymnasium erfüllt seine Pflicht als Informationsquelle, aber «Humanismus» ist lediglich noch im Namen Gesetz. Unbedingt muss es nicht das Gymnasium sein, aber irgendwo in unserem Bildungssystem muss eine Stelle zu finden sein, wo aussergewöhnlich Befähigte eine rechtmässige Schulung erhalten. Das haben wir nicht. Und brauchen wir. Es darf nicht erst im Studium der Fall sein, wenn Schüler wirklich merken, worin sie gut sind und worin sie schlecht sind, und was sie doch alles mehr dadurch hätten lernen können. Das ist zu spät.

Die Sparmassnahmen des Landes machten in den letzten Jahren auch vor der Schule und somit bei der Ausbildung der der jungen Menschen nicht Halt. So wurde am Liechtensteinischen Gymnasium der Englisch-Sprachaufenthalt gecancelt. Stattdessen gibt es nur noch das Angebot des Französisch-Sprachaufenthaltes – dies obwohl «Englisch» für die Schüler/innen das A und O wäre?
Ich selbst habe den Englisch-Sprachaufenthalt just auch nicht mehr erleben können. Eine direkte Beurteilung des Nutzens kann ich wohl nicht geben. Doch habe ich den Französisch-Sprachaufenthalt sehr positiv in Erinnerung. Sprechen wir allerdings vom Lernerfolg in der jeweiligen Sprache, fällt der Französisch-Aufenthalt ziemlich durch. Man hört von den meisten Schülern, dass ausserhalb der örtlichen Schulen, die selbst auch nichts wirklich Neues geboten hätten, so gut wie nie frei Französisch angewandt wurde. Ich sehe das Problem darin, dass, auch wenn alle Schüler die Sprache mässig bis sehr gut verstehen und schriftlich anwenden können, man sich im spontanen Sprechen sehr schwer tut. Wohl bedingt durch Fehlen von Gewohnheit und Interesse: Mängel des Sprachunterrichtes. Englisch andererseits ist da für die meisten Schüler um Einiges zugänglicher, was den Englisch-Aufenthalt bestimmt weitaus englischer macht, als der Französische französisch sein kann – wenn sich weiterhin nicht darum bemüht wird, den Schülern die Kultur nahe zu bringen. 

Wenn schon in Kostenfragen über Lernerfolge gestritten wird, sollte darüber diskutiert werden, wie sie verbessert werden können, nicht wie sie abgeschafft werden können. Seien persönlich wertvolle Erlebnisse oder fachliche Weiterbildung betroffen: Kostenschranken haben in der Bildung als Letztes etwas zu suchen. Wenn Liechtenstein in Zukunft irgendwie Bestand behalten will, muss es endlich eingestehen, dass unser Luxus und Müssiggang die Realität lediglich zu verdrängen versuchen: Ohne herausstechende gebildete, innovative, eifrige und standhafte nächste Generationen ist Liechtenstein nichts in der Welt, ausser unsere schöne kleine Heimat, die langsam verglimmt. 

Die jungen Leute werden in ihrer politischen Meinungsbildung oft unterschätzt. Stattdessen setzen sie viel eher andere Prioritäten, sind nicht so lokalpolitisch orientiert und lassen sich nicht engmaschig ins liechtensteinische Parteiensystem pressen. Welche gesellschaftspolitischen Themen bewegen dich – bewegen die jungen Menschen?
Es stimmt schon – vielleicht ernüchternd, vielleicht erleichternd – dass Politik bei den allermeisten Jugendlichen nicht zu den alltäglich besprochenen Themen gehört. Eher wird gerne von politischen Themen Abstand genommen, vor allem lokalpolitischen, weil sie oft als unangenehm empfunden werden. Dennoch sind viele junge Leute über Politisches informiert, jeder auf seine Weise. Diese Informationen betreffen vor allem globalpolitische Themen, die «grossen» Themen, während das Lokalpolitische eher privat innerhalb der Familie diskutiert wird, und meistens doch von den Überzeugungen der Älteren und deren «Parteizugehörigkeit» geprägt ist. Ich meine aber, dass sich dies am ändern ist: Ich kenne ein paar junge Liechtensteiner, die sich politisch betätigen oder wollen, die auch unter Freunden debattieren, und zwar nicht nur zu globalpolitischen Themen, sondern ebenso über die Lage des Landes. 

Am meisten höre ich dabei Äusserungen über die Bildungspolitik, da dies die Jungen am direktesten betrifft, und von der sie sich mehr wünschen würden. Darauffolgend die konkrete Beurteilung der Regierung, Parteien und des Landtags, Legalisierungs- bzw. Entkriminalisierungswünsche verschiedenster Drogen – vor allem Hanfprodukten – und für angehende Mütter und Väter sind Familien- und Ehepolitik bezüglich Homosexualität und Diversgeschlechtlichkeit von Interesse. Ebenfalls aufkommend sind harte Auseinandersetzungen mit den Entscheidungen der Gesundheitspolitik und der Krankenkassen. Zudem waren Aufforderungen an die Klima- und Umweltschutzpolitik noch nie so aktuell wie jetzt. Letzteres sowohl globalpolitisch als auch lokalpolitisch. Diesen sich erneuernden jungen Aktivismus in der Politik begrüsse ich sehr und diesem muss Gehör geschenkt werden. Allerdings auch Achtsamkeit, denn wie die Erwachsenen sind auch junge Menschen anfällig für emotional motivierte «Debatten» und oft weicht Sachlichkeit und echte Information naivem Wunschdenken und Mitläufertum. Das muss aber niemanden wundern bei unserem Mangel an echter politischer und aufklärerischer Bildung. So oder so: Mehr Politik wird uns gut tun, vor allem wenn sie neu ist.