Die alte Landesnot Rhein

Bruch des Rheindamms bei Schaan 1927: Der Fluss überschwemmte und verwüstete die Talebene auf einer Länge von 15 Kilometern.

Die ersten Berichte über Rheinnöte im Alpenrheintal gehen zurück auf das 11. Jahrhundert. Erste Gegenmassnahmen bestanden darin, gefährdete Stellen am mäandrierenden Flusslauf durch schief zur Strömungsrichtung gebaute Wuhre aus Steinen und Flechtwerk zu schützen. Durch diese Ablenkung griff der Fluss aber häufig das Gegenufer an.

Für Liechtenstein selbst sind als früheste Rheinüberschwemmungen jene vom Jahr 1343 und vom November 1374 überliefert, als das ganze Talgebiet unter Wasser stand. Zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert lassen sich dann am gesamten Alpenrhein 48 Überschwemmungen nachweisen. Der Raubbau an den Wäldern im Quellgebiet führte wegen vermehrter Rüfenbildung, Bergstürzen und Erdrutschungen dem Rhein grössere Mengen Gestein zu, was zu einer allmählichen Erhöhung des Flussbetts führte. Damit wurde die Aufgabe, den Rhein in sein bestehendes Bett zu zwingen, schwieriger, die Gefahr von Wassereinbrüchen und Überschwemmungen grösser. 

Teils blutige Streitigkeiten
Oftmals war es auch eher eine Konkurrenz als eine Zusammenarbeit der Bewohner beidseits des Rheins. Das Interesse lag vielfach darin, den Fluss vom eigenen Ufer abzulenken und dem Nachbarn auf der anderen Seite die Probleme zu überlassen. Wuhrstreitigkeiten, teils sogar gewaltsam ausgetragen, zwischen den Bewohnern gegenüberliegender Gemeinden waren die logische Konsequenz. Als Lösung der Konflikte entschieden die politisch Verantwortlichen sich für die Begradigung und Einengung des Flusslaufs mit durchgehenden Wuhren auf beiden Seiten. Nach ersten Ansätzen im Jahr 1790 schlossen die Schweiz und Liechtenstein im Oktober 1837 einen Vertrag, der den Grundstein für die heutigen Schutzbauten am oberen Rhein legte und die Auseinandersetzungen beendete. 

Dennoch blieben Überschwemmungen nicht aus, welche die arme, auf den bäuerlichen Erwerb angewiesene Liechtensteiner Bevölkerung mehrfach in arge Nöte brachten. Die Einwohner mussten Fronarbeit leisten, um die Wuhre zu erhalten, und dennoch waren die finanziellen Aufwendungen beträchtlich. Die wirtschaftlich schwächeren Liechtensteiner Gemeinden konnten daher nie ganz mit ihren Schweizer Nachbarn mithalten. So blieben die Verbauungen am rechten Rheinufer schwächer, die Gefahr einer Überschwemmung grösser und die Angst vor der Landesnot Rhein stets latent vorhanden.

Riesige Flurschäden und zwei Todesopfer
Zum bislang letzten Mal demonstrierte der Rhein im September 1927 seine zerstörerische Kraft. Der Fluss brach knapp oberhalb der Eisenbahnbrücke Schaan – Buchs durch und ergoss sich ins Riet. Die ganze Talebene nördlich von Schaan wurde überflutet, was riesige Flurschäden verursachte, zwei Menschen kamen ums Leben, und die Fluten konnten erst rund 15 Kilometer unterhalb der Bruchstelle wieder in das Flussbett zurückgedrängt werden. Es vergingen Jahre, bis alle Schäden beseitigt waren. Nach diesem einschneidenden Erlebnis investierte Liechtenstein in einen verbesserten Hochwasserschutz und blieb aufgrund der erhöhten Dämme und der Absenkung der Rheinsohle um etwa fünf Meter von weiteren Überschwemmungen bis heute verschont.
Quelle: Historisches Lexikon des Fürstentums

Sanierung als 20-jähriges «Mammutprojekt»

Einem 100-jährigen Hochwasser wie bei der Überschwemmung von 1927 halten die heutigen Rheindämme problemlos stand. Ein Ereignis wie ein 500-jähriges Hochwasser könnte aber verheerende Folgen haben, weshalb sich die Regierung zum Handeln und zur Sanierung des Damms entschieden hat.

«Ein Dammbruch, der bei einem grossen und sehr selten auftretenden Hochwasser aufgrund vorhandener Instabilitäten nicht ausgeschlossen werden kann, hätte für Liechtenstein existenzbedrohende Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund misst die Regierung dem Sanierungsprojekt eine elementare Bedeutung bei», sagt Emanuel Banzer, der Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz (ABS). «Oberste Priorität bei der Sanierung der Rheindämme hat die Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus für die Bevölkerung.»

Kombination der besten Massnahmen
In einem ersten Schritt hat die Regierung unter Federführung von Innenministerin Dominique Hasler das ABS mit einem Vorprojekt beauftragt. Die dafür zuständigen amtsinternen und externen Experten klären bis Ende des kommenden Jahres die möglichen technischen Sanierungsvarianten ab. Auf Grundlage dieses Variantenstudiums wird im Rahmen von eigenständigen Bauprojekten gemeinsam mit der zuständigen Rheingemeinde und den tangierten Grundeigentümern  für jeden Dammabschnitt zwischen Balzers und Ruggell die zweckmässigste Sanierungsmassnahme ausgewählt. Dabei werden die geotechnischen, eigentumsrechtlichen, raumplanerischen und ökologischen Rahmenbedingungen vor Ort berücksichtigt.

Abgeklärt wird derzeit beispielsweise der raumsparende Bau von Schmaldichtwänden, der Bodenbesitzer in Rheinnähe kaum betreffen würde. Nahe an Grundwasserspeichern kann diese Massnahme aber zu Beeinträchtigungen und nicht tolerierbaren Problemen führen. Deshalb wird diese Sanierungsvariante voraussichtlich nicht überall umgesetzt werden können. Demgegenüber ist eine landseitige Aufschüttung eine konservative und sichere, aber platzintensive Massnahme. Noch raumfordernder wäre eine stellenweise Rheinaufweitung, wie sie im Rahmen des Sanierungskonzeptes ebenfalls untersucht wird.

15 Etappen für 25 Kilometer
Erste Sanierungsmassnahmen werden aller Voraussicht nach bereits in zwei Jahren realisiert, um die ersten instabilsten Stellen abzusichern. Nach und nach soll der 25 Kilometer lange Damm dann in etwa 15 einzelnen Bauprojekten saniert werden, wobei die Sanierung des Rheindammes auf dem Abschnitt Triesen-Vaduz zeitliche Priorität hat. Das «Mammutprojekt», wie Emanuel Banzer die Dammsanierung nennt, ist auf rund 20 Jahre veranschlagt. «Vielleicht geht es auch schneller.» Nach Fertigstellung der Sanierungsarbeiten wird der Rheindamm auch Hochwasserereignissen, wie sie alle 500 Jahre und seltener im Rhein auftreten, sicher standhalten.

Umfassende Sanierung: Der Rheindamm wird von Balzers bis Ruggell für ein 500-jähriges Hochwasser fitgemacht.

Internationale Zusammenarbeit
Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten arbeiten die Behörden der Anrainerstaaten des Alpenrheins bei den Sanierungsmassnahmen eng zusammen. So sind nicht nur die Gemeinden Liechtensteins und das Land, sondern auch die Schweizer Nachbargemeinden, der Kanton St. Gallen, das Bundesland Vorarlberg und der Kanton Graubünden in das Projekt involviert. Daniel Dietsche, Rheinbauleiter des Kantons St. Gallen, betonte in diesem Zusammenhang bereits vergangenes Jahr: «Wir sitzen alle im selben Boot.» 

«Das nicht tragbare Restrisiko beseitigen»
Interview mit Emanuel Banzer, Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz

«Der Rheindamm ist heute so sicher wie nie zuvor», sagt Emanuel Banzer. Warum dennoch Handlungsbedarf besteht und wie es um eine mögliche Aufweitung des Flusslaufs steht, schildert der Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz im Interview.

Die Planungen für die Sanierung der Rheindämme sind in vollem Gang. Wann beginnen die Arbeiten und wann sind die ersten Ergebnisse sichtbar?
Emanuel Banzer: Gemäss dem aktuellen Fahrplan sollte bis Ende 2020 ein erstes Bauprojekt zur Sanierung eines besonders instabilen, etwa einen Kilometer umfassenden Dammabschnitts vorliegen. Wir setzen uns nach wie vor zum Ziel, im Jahr 2021 mit den ersten Dammsanierungsarbeiten vor Ort zu starten. Dies unter der Voraussetzung, dass das aufgelegte Sanierungsprojekt die Zustimmung der jeweiligen Rheingemeinde sowie der tangierten Grundeigentümer findet und das anschliessende Genehmigungsverfahren speditiv abgewickelt werden kann. 

Warum ist eine solch umfassende Ertüchtigung des Damms notwendig? Ist der Hochwasserschutz derzeit noch gewährleistet?
Der Rheindamm ist heute dank des in den vergangenen Jahren am landseitigen Dammfuss erstellten Kontroll- und Interventionsweges so sicher wie nie zuvor. Diese Bauwerkserschliessung erlaubt es den zwischenzeitlich professionell organisierten Wasserwehren der Gemeinden, den Damm während eines Hochwassers zu kontrollieren und die gegebenenfalls vereinzelt auftretenden Schwachstellen situativ zu sanieren. Vor einem mit der Rheinkatastrophe von 1927 vergleichbaren Hochwasser müssen wir uns heute daher nicht mehr fürchten. Und dennoch: Bei einem sehr seltenen Hochwasser, wie es laut Statistik alle 300 bis 500 Jahre auftritt, kann ein Versagen der bald einmal 150 Jahre alten Dämme nicht ausgeschlossen werden. Dieses für unser Land nicht tragbare Restrisiko soll mit dem geplanten Dammsanierungsprojekt beseitigt werden. 

Den Damm auf rund 25 Kilometern Länge von Balzers bis Ruggell zu sanieren, ist sicherlich ein Mammutprojekt. Worin liegen die Herausforderungen, und wie bewältigen Sie diese?
Die eigentliche Herausforderung liegt in der Vielzahl der zu berücksichtigenden Stakeholder und der damit verbundenen vielschichtigen und zum Teil heterogenen Interessenlagen, mit denen wir uns im Rahmen dieses Vorhabens konfrontiert sehen. 

Die Fragen rund um den Rhein müssen einerseits in einem internationalen Kontext angegangen werden. Dabei gilt es die in Staatsverträgen festgehaltenen Interessen der Schweiz und Österreichs ebenso zu berücksichtigen wie die im Zuge des EWR mit sämtlichen Rheinunterliegern getroffenen Vereinbarungen. Dass dabei der Koordination mit unserem direkten Nachbarn, dem Kanton St. Gallen, eine besondere Bedeutung zukommt, ist selbstredend. Wir dürfen uns deshalb glücklich schätzen, dass sich auch St. Gallen zum Ziel gesetzt hat, seine Dämme auf dem liechtensteinisch-st.-gallischen Rheinabschnitt zu ertüchtigen. Die Grundlagen hierfür werden derzeit in einem gemeinsam beauftragten und finanzierten Strategiebericht aufgearbeitet. 

Andererseits teilen sich aus innerstaatlicher Sicht gemäss Rheingesetz Land und Gemeinden die Verantwortung am Rhein. Das von der Regierung initiierte Sanierungsprojekt kann deshalb nur mit einer konsequenten Einbindung der Rheingemeinden erfolgversprechend abgewickelt werden. Als Teil der Gemeinden sind ebenso die unmittelbar vom Sanierungsprojekt betroffenen Grundeigentümer zu verstehen, allen voran die Bürgergenossenschaften, welche am Rhein in Balzers, Triesen, Vaduz und Eschen über ein ausgedehntes Grundeigentum verfügen. 

Und letztlich ist sich die breite Bevölkerung noch nicht einig, welches Format dem Rhein künftig zugestanden wird: Ist der heutige Verlauf des Rheins grundsätzlich beizubehalten, indem sich die Sanierung auf die Ertüchtigung der bestehenden Dämme beschränkt, oder sollen die vieldiskutierten Flussaufweitungen Teil der Lösung sein. 

Lassen sich die ungefähren Kosten bereits abschätzen?
Bei der Sanierung der bestehenden Dämme gehen wir von approximativen Kosten von 50 Millionen Franken aus. Nicht berücksichtigt sind in diesem Kostenrahmen allfällige Rheinaufweitungen. Die gemeinsam mit dem Kanton St. Gallen im Rahmen des geplanten Strategieberichtes «Dammsanierung» in Auftrag gegebenen Untersuchungen sollen auch hinsichtlich der Kostenfrage zusätzliche Erkenntnisse mit sich bringen. 

Wird sich das Erscheinungsbild des Rheindamms als beliebtes Naherholungs- und Sportgebiet ändern?
Dort, wo sich die Sanierung auf die Ertüchtigung des bestehenden Dammes beschränkt – dies betrifft den überwiegenden Teil des Rheindammes –, wird sich das Erscheinungsbildes je nach angewandter Sanierungsmethode kaum oder überhaupt nicht verändern. Unberührt bleibt auf diesen Abschnitten in jedem Fall die Dammkrone respektive der darauf verlaufende Weg. Selbstverständlich führen aber die eigentlichen Bauarbeiten zu einer vorübergehenden Beeinträchtigung des Rheindamms als wichtigstem Erholungsraum des Landes.

Neu erfunden wird der Raum im Falle einer Rheinaufweitung. Ein breiterer Rhein mit landeinwärts verschobenen Dämmen bereichert die Landschaft mit zusätzlichen, bisher unbekannten Strukturen. Die Gewinner einer Aufweitung dürften daher neben der Landschaft auch die Erholungssuchenden am Rhein sein. 

Sie sprechen die Aufweitung an: Was sind die Hintergründe dieser Massnahme, und was erhoffen Sie sich neben landschaftlichen Aspekten von dieser Massnahme?
Wie der Regierung und den Gemeinden ist es auch uns als dem mit der Projektleitung beauftragten Amt ein Anliegen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Hochwassersicherheit und damit die Dammsanierung im Vordergrund dieses Projektes stehen. Aufweitungen werden in diesem Zusammenhang am Beispiel des Projektperimeters Schaan-Buchs-Eschen als eine mögliche Sanierungsmöglichkeit geprüft. Denn die zur Begrenzung allfälliger Aufweitungen neu gebauten Dämme wären noch stabiler als die einmal sanierten, bald 150-jährigen Dämme. Die Hochwasserschutzverantwortlichen verbinden mit den Aufweitungen zwischenzeitlich noch eine weitere Hoffnung, welche im Rahmen der erwähnten Untersuchungen derzeit geprüft wird: Flussabwärts der Rheinbrücke Schaan-Buchs beobachten wir seit den 80er-Jahren eine stetige Auflandung der Rheinsohle. Setzt sich dieser Trend fort, was gemäss der uns vorliegenden Modellrechnungen angenommen werden muss, wird das Abflussprofil sukzessive kleiner. Mittels einer Aufweitung kann dieser Auflandungsprozess möglicherweise im Sinne des Hochwasserschutzes beeinflusst werden.

Rechnen Sie mit Widerstand, beispielsweise von Bodenbesitzern?
Dass es einem Bodenbesitzer nicht leichtfällt, sein Grundeigentum einer alternativen Nutzung respektive dem Rhein zu widmen, ist nur schon aus wirtschaftlichen Überlegungen nachvollziehbar. Berechtigte, auf sachtechnisch legitimen Argumenten beruhende Kritik muss bei einer Aufweitungsdiskussion unbedingt ernst genommen werden. Und letztlich sind Aufweitungen angesichts der damit verbundenen Kosten auch einer seriösen Kosten-Nutzen-Abwägung zu unterziehen. All diese Fragen gilt es in einer breit angelegten, ergebnisoffenen gesellschaftspolitischen Diskussion zu erörtern und letztlich einer mehrheitsfähigen Entscheidung zuzuführen. Ziel der gegenwärtig laufenden Abklärungen ist es unter anderem, Grundlagen für einen faktenbasierten Diskurs bereitzustellen. 

Welchen Einfluss haben alle diese Sanierungs- und Aufweitungsmassnahmen auf den Grundwasserspiegel?
Dies ist Gegenstand der derzeit laufenden Untersuchungen. Die entsprechenden Vorgaben sind aber unbestritten: Das Grundwasser darf als Folge der Dammsanierung weder in Qualität noch Quantität substantiell beeinträchtigt werden. Sanierungsmassnahmen mit nachweislich abträglichem Einfluss auf das Grundwasser sind daher keine Option. 

Die Bevölkerung wurde bereits Ende des vergangenen Jahres umfassend informiert. Sind weitere Veranstaltungen geplant?
Der Einbezug der breiten Bevölkerung ist uns ein dringendes Anliegen. Nur so wird es gelingen, alsbald ein mehrheitsfähiges Sanierungskonzept zu präsentieren, auf Grundlage dessen die Sanierung der instabilsten Dammabschnitte zeitnah in Angriff genommen werden kann. Deshalb möchten wir im Spätherbst dieses Jahres der interessierten Bevölkerung wiederum eine Plattform bieten, um sich in geeigneter Weise einbringen zu können.