Vom Emigranten zum Sportsmann von Welt

Der grosse Sport- und Tourismuspionier als Fahnenträger an der Olympiade in München

Er zählte zu jenen charismatischen und einzigartigen Persönlichkeiten, von denen es nur wenige gibt: Baron Eduard Alexander von Falz-Fein, geboren am 14. September 1912 in der Ukraine, gestorben am 17. November 2018 auf tragische Weise in seiner Vaduzer Villa im begnadeten Alter von 106 Jahren.

Text: Herbert Oehri · Bilder: Fotoarchiv Baron von Falz-Fein

Väterlicherseits war er der Erbe der reichsten Gutsbesitzer in Südrussland, die bis zu einer halben Million Merinoschafe, einen eigenen Hafen und einen riesigen Tierpark besassen, den 1914 selbst der Zar Nikolaus II. besuchte. Dem Falz-Fein-Clan gehörten Dutzende von Musterlandgütern, deren Gesamtfläche ein Vielfaches des Fürstentums Liechtenstein ausmachte.

Eduard von Falz-Fein wurde am 14. September 1912 in der Ukraine geboren, das damals zu Russland gehörte. Der Nachkomme einer deutsch-russischen Adelsfamilie stammte mütterlicherseits aus einem der ältesten russischen Geschlechter, der Epantschin, die mit der Zarenfamilie Romanow blutsverwandt waren. Die Epantschin brachten in Russland als einzige Adelsfamilie drei Admirale hervor. Sie gehörten zu den einflussreichsten Familien in diesem Riesenreich und zur Classe politique.

Der Baron lebte mehr als 70 Jahre in Liechtenstein, wo er sich als aktiver Sportler, Funktionär, Sponsor, Touristik-Gründer und geschickter Geschäftsmann einen klingenden Namen geschaffen hat. Es ist eigentlich erstaunlich, dass wir über diese Persönlichkeit hierzulande nicht viel wissen. Nur der Name «Quick» dürfte den meisten Landsleuten ein Begriff sein. Wir wollten von ihm mehr wissen und verabredeten uns mit ihm im Jahre 2008 in seiner Vaduzer Villa zu einem Gespräch, das einen Tag lang dauerte. Begleitet hatten mich mein Kompagnon Johannes Kaiser und Fotograf Fabio Corba.

Drei Liter Milch …
Wir vereinbarten mit ihm einen Termin auf den 27. November 2008 in seiner Villa «Askania Nova», riefen ihn an diesem Tage nochmals an, um unseren Besuch anzukündigen. Auf die Frage, was wir ihm als kleines Präsent mitbringen könnten, kam wie aus der Pistole geschossen seine Antwort: «Herbert, bring mir Milch! Ich habe keine Milch mehr!» Wir nahmen ihm einige Liter mit und betraten seine wunderbar gelegene Villa am Hang zur Auffahrt nach Schloss Vaduz. Beim Eintreten in das mondäne Haus durch den Haupteingang mit dem schmiedeeisernen Tor sticht uns sofort die Bilder- und Ahnengalerie ins Auge. Der Baron empfängt uns: Johannes Kaiser, Fabio Corba und Herbert Oehri (von der Medienbuero Oehri & Kaiser AG) im schönen Salon.

«Wie heisst die neue Zeitung?»
Als Erstes fragt der Baron nach dem Namen der neuen Sportzeitung, warum wir sie herausbrächten und ob wir gute Redakteure gefunden hätten. «Wenn dem so ist, so sage ich der Zeitschrift eine gute Zukunft voraus. Denn gute Redakteure sind das Wichtigste für eine Zeitung oder Zeitschrift. Ich war selbst Sportjournalist und weiss, wovon ich rede.»

Dann erzählt uns Baron «Eddy» von Falz-Fein von der Gründerzeit des Liechtensteinischen Olympischen Komitees (NOK) und vom Obersten Sportkomitee des Fürstentums Liechtenstein. «Das nannte man damals so. Ich habe von den Gründerjahren schon so oft erzählt, aber es ist bis jetzt nichts darüber in einer Zeitung erschienen. Ihr müsst wissen, ich freue mich noch heute über die Erfolge der Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner an Olympischen Spielen. Das war in der Gründerzeit anders als heute. Liechtenstein hatte Sportler, die sind Ski gefahren, sind gelaufen oder haben geschossen, aber wir hatten nie die Möglichkeit, diesen Sportlern eine Beteiligung an einem internationalen Wettkampf zu ermöglichen. Die Skimedaillen für Liechtenstein an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen bezeichne ich als ein Weltwunder. So ein kleines Land mit diesem Erfolg, das ist sagenhaft, und ich bin stolz, dass ich damals die Idee gehabt habe, so etwas überhaupt zu gründen.»

Der Baron erlebt die Russische Revolution
Dazu der perfekt Deutsch sprechende und gemessen am Alter von grosser Energie beseelte Baron: «Ich wurde in der heutigen Ukraine im Familienschloss ‹Falz-Feinovo› geboren und erlebte die Russische Revolution als Sechsjähriger und die anschliessende Emigration mit meiner Familie 1918 nach Berlin.» Die Eltern des Barons mussten Russland praktisch über Nacht verlassen, um dem sicheren Tod durch die Revolutionäre zu entgehen. Dennoch spricht Eduard von Falz-Fein von einer «glücklichen Fügung», denn durch die Revolution und die Flucht ins Ausland «bin ich zum glücklichsten Menschen auf dieser Welt geworden. Ich habe mein Leben selbst in die Hand genommen. Ich bin ein ‹Souvenirkönig›, auch ein ‹Sportkönig›, ein Bürger Liechtensteins (Ruggeller, die Red.) und noch mehr, ein Kosmopolit geworden. Nach dem Studium in Nizza 1934 wurde ich Sportjournalist bei der grössten französischen Sportzeitung ‹L’Auto›, welche nach dem Krieg in ‹L’Equipe› umbenannt wurde.» Diese Zeitung, die heute noch existiert, hatte damals eine Auflage von einer halben Million Exemplaren und wurde unter Jaques Goddet zur grössten europäischen Sportzeitung. Sie war es auch, die die später weltberühmte Tour de France ins Leben rief.

Der erste adelige Radrennfahrer
«In dieser Zeit habe ich an allen Sportanlässen des Radsports für Studenten teilgenommen. Ich bin jeden Sonntag Rennen gefahren, von denen ich auch einige gewonnen habe. Der Radsport lag mir besonders am Herzen.» 

Coupe Meg 1938 in Nizza: Baron von Falz-Fein vorne

Der Baron erzählt auch von seiner Begegnung und Anstellung bei der L’Equipe, die Nachfolgezeitung der L’Auto. «Nachdem ich die Pariser Studenten-Meisterschaft gewonnen hatte, brachte die Zeitung auf der ersten Seite die Schlagezeile: ‹Eduard von Falz-Fein gewinnt die Pariser Studenten-Meisterschaft›. Jacques Goddet, der Besitzer der Zeitung, las diese Nachricht und lud mich in derselben Woche ein, um mehr über mich zu erfahren. Er war ob meines Namens überrascht, denn es hatte noch nie einen Adeligen gegeben, der Radrennen bestritt. Goddet, der später zu meinen besten Freunden zählte, bot mir eine Stelle als Generalkorrespondent in Berlin an. ‹In zwei Jahren›, sagte er, ‹finden die Olympischen Sommerspiele in Berlin statt. Wir wissen nicht, wie sich die Deutschen auf die Olympiade vorbereiten werden. Sie bekommen eine Wohnung, ein Auto, einen Presseausweis.› Können Sie sich vorstellen, was dies in einem 20-Jährigen für Gefühle ausgelöst hat? Ich war im Himmelreich! Er hat mich auch gefragt, ob ich schreiben könne. Ich sagte ihm, dass ich Landwirtschaft studierte, aber keine Ahnung von Journalismus hätte. Trotzdem stellte er mich ein. Kaum in Berlin angekommen, stürzte ich mich voller Tatendrang in die Arbeit und begann, jeden Tag einen Bericht zu schreiben. Ich wollte zeigen, was ich kann. Neben meinem Auto hatte ich ein Velo, mit dem ich mich in Berlin schneller und besser bewegen konnte als auf vier Rädern. Monsieur Goddet war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Aber 1939 begann der Krieg. Niemand interessierte sich mehr für Sport. Ich musste als französischer Vertreter (obwohl ich Liechtensteiner war) Berlin verlassen. Ich ging nach Nizza, wo ich meine Mutter bis zu ihrem Tode gepflegt habe.» 

Der Baron liess sich im Lande nieder
Die Familie seiner Mutter Vera von Falz-Fein, geb. Epantschin, unterhielt enge und freundschaftliche Beziehungen zum damaligen Botschafter von Österreich-Ungarn am Zarenhof, dem späteren Fürsten Franz I. von Liechtenstein. Dieser ermöglichte es dem Baron, Liechtensteiner zu werden. So besuchte Baron von Falz-Fein im Jahre 1934 erstmals Liechtenstein. Der Baron erzählt: «1945 habe ich mich in Vaduz niedergelassen und die ‹Quick›-Läden in Vaduz und an der Schaanwälder Grenze eröffnet. Ohne Geld! Aber die Fürstenbank hat mir Geld geliehen, das ich bereits ein Jahr später zurückzahlen konnte. Ich verdiente für damalige Verhältnisse recht gut.» 

Mitbegründer des Liechtensteiner Sportkomitees
An der liechtensteinischen Bevölkerung ging die schwere Zeit der Dreissigerjahre nicht spurlos vorüber. Die Leute hatten wirklich anderes an erster Stelle als den Sport. Sie hatten kaum etwas zu essen. «Mich hat das tief beschäftigt, dass unser Land nicht an den Spielen teilnehmen konnte. So habe ich meine Idee meinem Onkel Waldemar, der in Vaduz wohnte, vorgetragen. Der hatte ein bisschen Geld übrig. Ich sagte ihm, dass ich praktisch alle Grössen des Internationalen Olympischen Komitees kennen würde und es eine tolle Geschichte wäre, wenn Liechtenstein 1936 in Berlin dabei sein könnte. Aber dazu musste man zuerst ein Nationales Olympisches Komitee gründen. Aber wer hatte Interesse, in Liechtenstein mitzumachen? Es waren wenige. Ich habe alsdann in Xaver Frick aus Balzers, dem Weinhändler Ritter aus Schaan und in Alexander Frick, dem späteren Regierungschef aus Schaan, Mitstreiter für die Idee gewinnen können, die mich unterstützt haben. 1935 war es soweit: Wir gründeten das Nationale Olympische Komitee, in dem ich als Vizepräsident Einsitz nahm.» Der Baron nahm später an 16 Olympischen Spielen in allen möglichen Funktionen teil. 

Die grosse Leidenschaft: Der Radsport
Seine zweite grosse Leidenschaft war der Radsport. Als Pariser Studenten-Radsportmeister hat sich der Baron diesem Sport verschrieben. Er war in den Jahren 1951 und 1953 bis 1973 Präsident des Liechtensteinischen Radsportverbandes und unterstützte in dieser Zeit einige Radsporttalente, besonders den Ruggeller Adolf Heeb und später auch Roman Hermann, die grosse Erfolge als Amateure und Profis feiern durften. Durch persönlichen Einsatz und diplomatisches Geschick auf internationaler Ebene schaffte es der Baron immer wieder, die liechtensteinischen Radrennfahrer an die verschiedenen Weltmeisterschaften zu delegieren. Dies, obwohl der Liechtensteinische Radsportverband noch nicht Mitglied des Weltverbandes UCI war. 1973 veranlasste der Baron innert 48 Stunden eine Blitzaufnahme des Liechtensteiner Radsportverbandes in den Weltradsportverband (UCI). Damit ermöglichte er, nebst anderen, auch Roman Hermann den Start an der WM in Mendrisio. 

Winterolympiade 1936 in Garmisch/D: Eduard von Falz-Fein als Journalist von «L’Auto»

Der Baron war ein «grosser Casanova»
«Ich war ein grosser Casanova und habe mit meiner ganz Kraft die Ehre des Mannes vertreten! Nie hatte ich Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht. Die Frauen lagen mir zu Füssen. Mehr noch, ich habe die Welt der Damen in vollen Zügen genossen. Ich war auch ein Mann von Welt und schaute in jungen Jahren nicht schlecht aus.»

So nahm der Baron von Falz-Fein, der in diesen Kreisen nur «Eddy» genannt wurde, an Weihnachtsempfängen im Hotel «Palace» in St. Moritz und dem Weissen Ball im «St. Regis-Sheraton»–Nachtclub in New York teil, feierte das Russische Neujahrsfest im «Hotel de Paris» in Monte Carlo oder ging zu Treffen bei «Maxim’s» in Paris. Der Baron: «Das waren goldene Tage in der Gesellschaft berühmter Schönheiten. Viele von ihnen leben nicht mehr, wie die grossartige Zarah Leander, die schwedische Sängerin mit der dunklen und ungewöhnlich tiefen Stimme.» Sie war Schauspielerin der Berliner «Ufa». Der Baron lernte die charismatische Frau nach dem Krieg in St. Moritz kennen. Auf allen Fotos trägt diese elegante Brünette eine dunkle Brille, sogar im Abendkleid und mit einem Glas Champagner in der Hand. In den 1970er-Jahren wurde ihre Biographie veröffentlicht, und Zarah Leander schenkte dem Baron von Falz-Fein ein von ihr signiertes Buch. Aus dem Buch sind alte Zeitungsausschnitte herausgefallen, die von ihrer Krankheit erzählen (Zarah wurde in der Klinik im Rollstuhl fotografiert), und der Nachruf, in dem steht, dass sie vorzeitig an einer Gehirnblutung gestorben ist.

Baron von Falz-Fein mit Ex-Kaiserin Soraya von Iran 1965

Zarah Leander und Kaiserin Soraya
In St. Moritz, dem mondänen Ort in den Alpen, wo sich noch heute die Crème de la Crème amüsiert, sah der Baron auch zum ersten Mal die unvergleichliche Ex-Kaiserin Soraya. Er zeigt uns das Foto, auf dem sie zwischen zwei Nebenbuhlern sitzt: links der Baron von Falz-Fein, rechts der Baron Thyssen-Bornemisza. «Dieser Thyssen war ein Verrückter», erinnert sich der Baron mit eifrigem Glanz in den Augen. «Thyssen machte vor keinem weiblichen Wesen Halt und versuchte jede zu verführen, ohne zu verstehen, dass dies nicht jeder Dame gefällt, besonders nicht einer ehemaligen Kaiserin wie Soraya. Man musste sie umwerben. Ich habe immer auf Zeichen von den Frauen gewartet, erst dann nahm ich sie mit.»

Der Baron war zweimal verheiratet
Der Baron von Falz-Fein blieb bis zu seinem 38. Geburtstag ledig. Die Frauen liebten ihn, fingen mit ihm gerne Romanzen an. Seine Mutter machte ihm Vorwürfe: «Wann wirst du endlich heiraten?» Bevor er 1950 in die USA reiste, gab ihm seine Mutter drei Visitenkarten und bat ihn, diese Personen zu besuchen, in der geheimen Hoffnung, dass er dort eine Braut finden würde. «Diese Reise veränderte mein Leben», erzählt uns ein nachdenklicher Baron.

Die erste Visitenkarte gehörte Vladimir Nabokov, 1940 in die USA ausgewandert. Er war ein grosser Schriftsteller, besonders sein Roman «Lolita» erregte grosses Aufsehen. In diesem Roman verführt ein reifer Mann ein junges Mädchen. «Meine Mutter fand den Roman obszön, aber er war noch nicht erschienen, als mir meine Mutter die Visitenkarte gegeben hatte.»

Auf der zweiten Visitenkarte stand der Name des Fürsten Sergej Obolenskij, der mit allen grossen Namen des alten Russlands verbunden war, die Zarendynastie der Romanows, Jussupows … Für den Erfolg in Amerika war das von grosser Bedeutung. Er führte seine eigene Firma «Obolenskij Public Relations» zusammen mit seinem Sohn Iwan aus der zweiten Ehe mit Lady Astor, einer Angehörigen eines sehr reichen Familienclans, der die ganze Presse von England, zum Beispiel die «Times», sowie Hotels in Amerika unter Kontrolle hatte. Obolenskij hob die Reputation von Hotels wie «Waldorf-Astoria», «Plaza», «Ambassador» und «St. Regis» auf ein unglaublich hohes Niveau. Der Baron: «Den ersten Menschen, den ich nach meiner Ankunft in Amerika anrief, war Nabokov. ‹Du kommst gerade richtig, Eddy›, sagte er mir. ‹Heute veranstaltet Obolenskij im Waldorf-Astoria ein Dinner. An unserem Tisch fehlt noch ein Herr, und Lilly hat keinen Begleiter. Komm direkt zum Restaurant. Du wirst dort ganz tolle Menschen kennenlernen.› Natürlich war ich einverstanden. Das war 1950, als in Amerika überall das Gesicht der wunderschönen Grace Kelly präsent war, auf der Leinwand war sie gerade in ihrer Rolle als legendäre Geliebte von Abraham Lincoln zu sehen.» Im goldenen Salon des Waldorf-Astoria hatte der Baron zum ersten Mal Grace Kelly persönlich gesehen. 

Eduard von Falz-Fein auf Schloss Vaduz um 194 zwischen Fürst Franz Josef ll. und Fürstin Gina.
Fürst Franz Josef II., Ferdi Kübler Radweltmeister, Baron von Falz Fein Ehrenpräs. LRV, 1980

«Eine unglaubliche Schönheit»
Am Tisch sassen auch Vera Kalman und ihre Tochter Lilly, die damals achtzehn Jahre alt war. Nach den amerikanischen Regeln durfte man mit keiner Dame tanzen, die nicht am selben Tisch sass, ausser mit seiner Begleitung. «Aber diese Lilly gefiel mir nicht. Sie war nicht mein Typ. Und plötzlich sah ich – wie als Kontrast – eine unglaubliche Schönheit am Nachbartisch sitzen. Ich habe mich auf den ersten Blick in sie verliebt! Zum Glück sass neben ihr ein belgischer Sportler, den ich kannte. Ich ging zu ihm, begrüsste ihn und fragte, wer diese schöne Dame sei. ‹Ah, das ist Virginia Curtis-Bennett›, sagte er, ‹kennst du sie wirklich nicht? Ich kann sie dir vorstellen.› Es gelang mir, ihre Visitenkarte zu bekommen, und noch am gleichen Abend rief ich sie an und lud sie für den nächsten Tag zum Abendessen ein. Aber es kam zu keiner Verabredung, denn sie musste sofort nach London zurückfliegen; ihr Vater war unerwartet gestorben. Er war eine sehr bekannte Persönlichkeit in England, er beschäftigte sich nicht nur mit Sport, sondern auch mit Staatsangelegenheiten. Er verwaltete die Finanzen und war ein Ratgeber von König Georg VI. Für mich war zu diesem Zeitpunkt klar: Ich musste zu ihr nach London.»

Der Baron öffnet eine alte Mappe, auf der «Virginia» stand: Darin befanden sich englische Zeitungen, die über das Begräbnis von Sir Noël Curtis-Bennett schrieben, sein Nachruf, die Biographie aus dem Buch «Who’s who» und ein Foto von Virginias ganzer Familie. In England an eine aristokratische Familie heranzukommen, war nicht so leicht. Man musste sich gebührend vorstellen. «In meiner Familie gab es russische Admiräle in St. Petersburg und Gutsherren im Süden Russlands. Und ich war ein französischer Reporter und Liechtensteiner Staatsbürger mit Souvenirgeschäft und russisch-orthodox. Und dazu noch der deutsche Name ‹von Falz-Fein›.» 

«Wir heirateten»
«Wie die Engländer nach dem Krieg die Deutschen hassten! Aber irgendwie schaffte ich es, Virginias Mutter zu gefallen, und damit war die Sache entschieden.» Die Hochzeit fand in London statt. Sie wurden in der königlichen Kirche «Savoy» in Westminster getraut, danach fuhren sie sofort nach Liechtenstein. Nach einem Jahr kam die gemeinsame Tochter Ludmilla zur Welt. «Obwohl ich meine Frau über alles liebte, war ich in der Ehe nicht glücklich. Ich habe nicht eine Frau, sondern ein Land, England, geheiratet. Sie hat alle meine Freunde – Russen, Franzosen, Deutsche und Italiener – ignoriert. Sie hat nur Engländer anerkannt. Alles, was Englisch war, war gut, alles andere taugte nichts. Sie wurde in der Tradition des aristokratischen Englands erzogen. Ich war so verliebt, dass ich ihr in allem nachgab. Ich musste meinen Wagen wechseln. Ich liebte ‹Mercedes› über alles; ‹nein, kaufe einen Jaguar!›, verlangte sie. ‹Was werden meine Verwandten und Freunde sagen, wenn sie mich in einem deutschen Wagen sehen? Wir haben nicht vergessen, wie die Deutschen London bombardiert haben und wie wir uns in Kellern verstecken und uns vor ihnen fürchten mussten.›» 

Gallico, der Amerikaner
«1952 kam ein Mann in mein Geschäft in Vaduz. Er war Amerikaner. Als er auf mich zukam, fragte er mich: ‹Sind Sie der Baron von Falz-Fein?› Er stellte sich als Schriftsteller Paul Gallico vor. ‹Mir gefällt es sehr gut in Liechtenstein. Ich will hier leben. Könnten Sie mir helfen, eine Villa zu finden?›» Der Baron machte sich auf die Suche nach einer Villa und fand sie auf Masescha. Paul Gallico zog dort ein, zusammen mit seiner ungarischen Frau. Er hatte einige Jahre in England verbracht und besass dort ein Haus. Gallico war ein sehr erfolgreicher Schriftsteller. Berühmt wurde er mit seinem Bestseller «Snow Goose». Bekannt war auch sein Film «Lily» mit Leslie Caron in der Hauptrolle. 

«Einmal lud er Virginia und mich zum Abendessen ein. Sie war von dieser Bekanntschaft begeistert. Es war für sie in Vaduz sehr langweilig, sie konnte nur mit wenigen Menschen sprechen, denn sie sprach kein Deutsch und wollte es auch nicht lernen. Wie sich herausstellte, hatten Gallico und meine Frau gemeinsame Bekannte und gemeinsame Gesprächsthemen. Beide waren grosse Gourmets. Virginia besass sein Kochbuch, das er in Amerika und in England veröffentlicht hatte, und sie haben pausenlos über Kochrezepte geredet.

Eines Tages kam er schliesslich mit meiner Frau zu mir ins Vaduzer Geschäft. Er sagte zu mir: ‹Man darf eine junge Frau nicht immer den ganzen Tag alleine lassen. Wir beide verstehen uns sehr gut, und so haben wir uns entschlossen zu heiraten.› Ich sagte ihm: ‹Wenn ihr euch so entschlossen habt, kann ich es nicht ändern. Ich wünsche euch alles Gute.› Ich hatte vorher keine Ahnung, dass die beiden eine Romanze hatten. Alle ausser mir wussten es. Am nächsten Tag fuhren sie nach Antibes, wo Gallico eine Villa in der Nähe des Hafens besass.» Der Baron erzählt uns diese Geschichte mit einem Lächeln. Wir sehen zum ersten Mal einen Mann vor uns, den seine Frau verlassen hat, und der so gutmütig von seinem Rivalen spricht. 

Herbert Oehri und Johannes Kaiser zu Besuch am 27. November 2008 bei Baron von Falz-Fein. Bild: Fabio Corba

Die zweite Frau hiess Christine
Wir wollten wissen, wie er seine zweite Frau kennengelernt hat. «Meine zweite Frau habe ich zusammen mit meinem Haus bekommen.» Wie das?, wollten wir wissen. «Ich habe dieses Grundstück gekauft und beschlossen, hier eine Villa nach eigenem Entwurf zu bauen. Ich machte Skizzen, nahm einen guten Architekten und erklärte ihm, was ich wollte. Grosse Fenster im Salon, um das schöne Panorama geniessen zu können. Eine Mansarde, denn die Kinder haben gerne etwas Besonderes, getrennt von den Erwachsenen. Die Leiter zum Dach muss zusammenklappbar und an der Decke zu verstauen sein, helle schöne Räume mit einem hervorstechenden Salon usw. Wie habe ich mit meinem Architekten gestritten! Er hat alle meine Ideen abgewiesen mit dem Hinweis, dass dies nicht sein Stil sei. Schlussendlich hat er mich so verärgert, dass ich ihn mit scharfer Stimme fragte, wieso ich ihn denn bezahlen müsse, wenn er schon nicht auf mich hören wolle. Danach wurde es ruhig, und er machte alles, was ich wollte. Er hat mir eine wunderschöne Villa gebaut, und sie hat ihm so gut gefallen, dass er gesagt hat: ‹Das ist das beste Projekt meiner Karriere, aber was willst du in einem so riesigen Haus alleine machen? Heirate! Ich bring dir ein Mädchen, du wirst dich wundern.› Und so stellte er mir seine Nichte vor. Ich verliebte mich sofort in sie.»

Christine Schwarz, eine grosse, schlanke Blondine, arbeitete als Model in München. Ihre Eltern – die Mutter Österreicherin, der Vater Deutscher – hatten eine grosse Textilfabrik in Bocholt, am Ufer des Rheins. Zu jener Zeit war ihr Vater schon gestorben. Der Baron von Falz-Fein war 52 Jahre alt, Christine 27. Die Trauung fand am 30. Januar 1964 in München in der russisch-orthodoxen Kirche am Salvatorplatz statt. Das Hochzeitsessen für hundert geladene Gäste wurde im Hotel «Excelsior» abgehalten. Von Seiten des Bräutigams gab es fünf Brautführer, die während der Trauung die goldene Krone hielten: den Fürsten Trubetzkoj, Maurice Goddet, Louis Chiron, Cousin Boris Skadowskij und Louis Vaudable. Es war eine lustige Hochzeit: «Kosaken haben Lieder gesungen, das Balalaika-Orchester von Bobkow hat gespielt. Christine nahm den orthodoxen Glauben an. Erzbischof Alexander traute uns.»

1987 schenkte der Baron dem Landesarchiv sein
persönliches Fotoarchiv. V.l.: Vize-Regierungschef
Dr. Herbert Wille, Baron von Falz-Fein, Regierungschef Hans Brunhart und Regierungsrat Dr. Alois Ospelt.

«Meine Frau starb an Drogen»
Wie ging es mit der Karriere Christines weiter, nachdem sie aus München nach Vaduz übersiedelt war? Der Baron: «Sie erlernte in Lausanne Modedesign und entwarf ihre Kleider selbst. Nach der Hochzeit reisten wir nach Paris und New York. Egal, wo ich mit ihr war, alle waren begeistert von ihrem Aussehen. Man machte ihr Angebote für Werbeaufnahmen für schicke Pelzmäntel und Autos, man bot ihr Filmrollen an. Mir gefiel das gar nicht, denn ich wollte zu Hause eine Familie und Kinder haben. Sie aber schwärmte von ihrer eigenen Karriere, und ich erlaubte es ihr. Ich liess es ihr an nichts fehlen. Sie erhielt eine Rolle im Film ‹Sperrbezirk›. Der Film war eine Riesenpleite. Christine war schön, hatte aber überhaupt kein Talent als Filmschauspielerin. 

Nachdem sie aus New York nach Vaduz zurückgekehrt war, wollte Christine nicht mehr für die Werbung arbeiten. Sie hatte die Leidenschaft entdeckt, neue Kleider- und Hutmodelle zu entwerfen. Ich kaufte ihr Sachen von Cardin, Chanel und Givenchy, aber die waren für sie nicht interessant, sie änderte sie. Sie hatte eine aussergewöhnliche Garderobe. Sie war die eleganteste Dame in Liechtenstein. Ich nahm Christine überall hin mit, auf Geschäftsreisen oder zu Olympiaden. Man durfte sie nicht allein lassen. Jedes Mal, wenn ich das getan hatte, geschah irgendein Unglück. 

Ich weiss nicht mehr, wann unsere Zerwürfnisse begonnen haben; vielleicht mit dem frühen Tod ihres Bruders. Leider habe ich ihr seltsames Benehmen nicht rechtzeitig bemerkt. Ich war von früh bis spät in meinen beiden Geschäften. Als ich eines Abends nach Hause kam, gab es kein Abendessen. Christine lag im Bett, in einem eleganten Kleid und mit Schmuck. Ich fragte sie etwas, sie beantwortete aber die Frage nicht, sondern erzählte irgendeinen Unsinn. ‹Wie wunderbar es auf dem Mond ist. Und du, Narr, gehst auf der Erde, wie alle gewöhnlichen Menschen… Es ist wunderschön, dorthin fliegen zu können.› Ich wusste erst, was los war, als ich unter dem Bett Drogen fand. Sie nahm sie schon lange, und ihr Onkel, der Architekt, wusste natürlich davon, sagte mir aber nichts. Ich holte sofort den Arzt, der vorschlug, sie in eine Klinik einliefern zu lassen, um ihr helfen zu können. Aber Christine lief vor den Ärzten davon und zog nach München in unsere Wohnung. Eines Tages rief mich die Hauswirtin aus München an: ‹Sind Sie der Mann der Baronesse Christine von Falz-Fein?› ‹Ja, was ist passiert?› ‹Wenn Sie Ihre Frau noch lebend sehen wollen, kommen Sie sofort, wir haben sie gerade ins Krankenhaus gebracht.› Ich fuhr sofort nach München; als ich ankam, war Christine bereits gestorben. Sie hatte eine zu hohe Dosis Drogen eingenommen. 

Ich habe sie neben ihrem Bruder Rainer in Feldkirch bestatten lassen. Ich heiratete nie mehr, denn ich wollte nicht noch ein weiteres Mal enttäuscht werden. Der Ball war zu Ende…»