Arztberuf als Lebensaufgabe

In diesem Gebäude an der Landstrasse in Triesen befindet sich die Arztpraxis von Dr. Ruth Kranz-Candrian.

Der Arztberuf zählt heute zu den angesehensten Berufen in unserer Gesellschaft. Für unsere heutige Interviewpartnerin Frau Dr. Ruth Kranz–Candrian bedeutet der Arztberuf persönlich eine «Lebensaufgabe» und kein blosser Job. Sie ist Tag und Nacht für ihre Patienten da und kümmert sich neben der Krankheit um viele andere Dinge, die den Patienten täglich berühren. Interview: Herbert Oehri

 

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Dr. Ruth Kranz-Candrian

Als bekannte Ärztin hat sie sich an vorderster Front in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der Liechtensteiner Ärztekammer für das Wohl der vielen kranken Menschen im Lande und für ihren Berufsstand gegen alle Widerstände ein-und weitestgehend durchgesetzt. Dafür gebührt ihr hohe Anerkennung und der Dank. Sie hat der lie-zeit nachfolgendes Interview gegeben:
In einer Arztpraxis herrscht in der Regel viel Betrieb. Können Sie unseren Lesern kurz einen Tagesablauf in Ihrer Praxis schildern?
Unser Tagesablauf ist tatsächlich in der Regel sehr betriebsam. Die Praxisöffnungszeiten (8.00 bis 12.00 Uhr und 14.00 bis 18.00 Uhr) können praktisch nie eingehalten werden. Mittags dauert die Sprechstunde meist bis 13.00 und abends verlasse ich die Praxis selten vor 20.00h wobei ich anschliessend oft noch Hausbesuche mache. Auch nachts oder an den Wochenenden klingelt oft das Telefon, weil einer meiner Patienten Hilfe braucht oder Rat sucht. Der Alltag ist in unserer Gemeinschaftspraxis sehr bunt. Von leichten Infekten bis hin zu schwer kranken Patienten behandeln wir täglich alle möglichen Erkrankungen. Der Schwerpunkt der täglichen Arbeit liegt aber wie bei einer internistischen Praxis üblich bei chronisch und oft schwer kranken Patienten, die einer intensiven Behandlung bedürfen.

«Für mich ist der Arztberuf eine Lebensaufgabe und kein blosser Job…»

Es kommen sicher auch Patienten in Ihre Praxis, die schwer krank sind. Wie gehen Sie mit solchen Menschen um?
Der Umgang mit schwer kranken oder auch sterbenden Menschen ist immer eine grosse Herausforderung. Man braucht einerseits viel medizinisches Fachwissen und Erfahrung, um diese Leute korrekt und bestmöglich zu behandeln. Andererseits ist auch der menschliche Aspekt äusserst wichtig. Wirkliches Mitgefühl und Verständnis erfahren, auf Verlässlichkeit bauen können, Vertrauen aufbauen können, jemanden zum Zuhören haben, Ehrlichkeit voraussetzen können– das sind die zentralen Bedürfnisse von Menschen in ernsten oder sogar extremen Lebenslagen. Dann ist nicht nur die Ärztin gefragt, sondern vor allem auch der Mensch. Ich versuche stets, einen Zugang zu meinen Patienten zu finden, der es erlaubt, neben fachlichen Problemen auch ganz private und persönliche Dinge zu besprechen. Die Menschen, die mich als Ärztin wählen sollen wissen, dass ich mich zuständig und verantwortlich fühle und versuche, ihnen in allen Situationen beizustehen und zu helfen und nicht nur den Blutdruck einzustellen oder die Schmerzmittel richtig zu dosieren.
Für mich ist der Arztberuf eine Lebensaufgabe und kein blosser Job, daher haben viele Patienten und gerade auch die Schwerkranken meine Handynummer und wissen, dass sie mich im Notfall jederzeit erreichen können. Ganz zentral ist ausserdem immer auch die Ehrlichkeit gegenüber dem Patienten. Ich finde, dass jeder das Recht hat, über seinen Zustand und die Prognose offen und vollumfänglich aufgeklärt zu werden. Meine Aufgabe als Ärztin ist es, dem Patienten zu sagen, woran er leidet und was für Therapiemöglichkeiten sich bieten. Die Entscheidung, welcher Weg der richtige ist, wird immer nur zusammen mit dem Patienten gefällt.

Thema Sterbehilfe. Wie stehen Sie zu diesem äusserst sensiblen Thema?
Jeder Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben. Dazu gehört für mich auch die bestmögliche Behandlung von Angst und Schmerzen. In der Regel begleitet man die Sterbenden vor ihrem Tod ja schon eine lange Zeit und kennt diese Menschen, ihre Lebenseinstellung und ihre Wünsche und Ängste sehr gut. Wenn der Weg zu Ende geht, dann versuche ich, die Situation möglichst friedlich und schmerzfrei zu gestalten. Ich finde es dann mehr als nur richtig, soviel Schmerz- und Beruhigungsmittel zu verabreichen, dass der Betroffene nicht leiden muss, auch wenn dadurch Nebenwirkungen auftreten können, die potentiell lebensverkürzend sind. Wenn sicher ist, dass ein Mensch nicht mehr gerettet werden kann, dann muss das oberste ärztliche Ziel sein, das Leiden zu mindern, daran halte ich mich konsequent. Die eigentliche Sterbehilfe, die Institutionen wie „Exit“ oder „Dignitas“ ausführen, tangieren den hausärztlichen Beruf jedenfalls in keiner Weise.

«Ich bereue mein Engagement in der Vergangenheit nicht, obwohl ich teuer dafür bezahlen musste.»

Sie sind Präsidentin der Ärztekammer und haben in der Vergangenheit so manchen Strauss im Interesse der Patienten mit der Regierung ausfechten müssen. Es ist anzunehmen, dass die unterschiedlichen Interessen weiterhin bestehen bleiben. Haben Sie schon einmal daran gedacht, diese doch heikle Aufgabe einfach aufzugeben?
Als Präsidentin der Ärztekammer ist es wie Sie sagen nicht nur meine Aufgabe, mich für die Kollegen einzusetzen, sondern auch, für ein gerechtes Gesundheitswesen zu kämpfen, das allen Personen die gleichen Behandlungsmöglichkeiten sicherstellt – jedenfalls habe ich das bislang so gesehen. Nach der KVG Abstimmung bin ich allerdings nicht mehr sicher, dass diese Auffassung von der Mehrheit der Bevölkerung im Land geteilt wird. Das Misstrauen gegenüber uns Ärzten scheint –geschürt von Politik und Kassen und einer unsäglichen polemischen Hetzjagd – sehr gross zu sein. Vielleicht ist es daher wirklich an der Zeit, die Politik und die Kassen das Gesundheitswesen alleine gestalten zu lassen, diesen beiden Mächten dann aber auch die gesamte Verantwortung dafür zu überlassen. Das würde die Kammer und mich als Präsidentin natürlich sehr entlasten.
Allerdings bereue ich mein Engagement in der Vergangenheit nicht, obwohl ich teuer dafür bezahlen musste. Ich werde mir selbst wenigstens nie vorwerfen können, nicht versucht zu haben, unser Gesundheitswesen vor politischem Raubbau und schädlichen Reformen zu bewahren. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass der aktuell eingeschlagene Weg grundfalsch ist, die Solidarität im System aushebelt, die Kranken und sozial Schwachen benachteiligt.