«Ein Staat hat keine Religion»!

Dr.Norbert Obermayr

Forum/ Leserbrief von Norbert Obermayr, Mauren

Eine ignorante Feststellung? Wer oder was ist der «Staat»? Der Staat ist ein lebendiger Organismus, bestehend aus Menschen, die darin wohnen. Jeder Mensch glaubt an «irgendetwas»! Ein Staat ohne Religion ist wie ein Mensch ohne Seele. Aber hat man nicht dem Menschen auch zuerst den Geist und dann die Seele abgesprochen? Wie es in einem Staat ohne Religion zugeht, kann man unschwer am Beispiel China und Nordkorea sehen.

Ein Staat hat viele Religionen. Denn viele Bürger gehören einer Religionsgemeinschaft an, und nur wenige haben kein Bekenntnis. Und selbst da gibt es viele, denen die Religion dennoch wichtig ist, sich aber keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen. – Als Begründung wird ein Theologe namens Diderot aus der Zeit der Aufklärung herangezogen. Eine Zeit, der wir den Beginn der modernen Naturwissenschaft zu verdanken haben, aber auch eine Zeit, nach der alles Immaterielle als unwissenschaftlich verbannt wurde. Zuerst wurde der «Geist» abgeschafft, dann die Seele des Menschen. Beides war der Entwicklung hin zum Materialismus hinderlich. Mit der Zunahme des Materialismus nahmen alle Aspekte der Geistigkeit gleichermassen ab. Der Wohlstand hat zugenommen. Hat damit auch das individuelle Glück zugenommen? Nimmt man nur das Ausmass der Zunahme an psychischen Erkrankungen her, das Ausmass der gesellschaftlichen Spaltung, der Egoismen und der Gier, dann muss dies klar verneint werden. Was ist der Sinn des Lebens, der Sinn unseres Daseins? Lässt sich das mit materiellen Werten erreichen?

Wenn Ignoranz sich mit Ideologie verbindet wird es problematisch. «Ein Frosch, der im tiefen Brunnen sitzt, erkennt das Ausmass des Himmels am Brunnenrand»! Jede Ideologie, und ist sie noch so gut gemeint, verengt den Blickwinkel, macht kurzsichtig. Und macht blind für die Erkenntnisse der modernen Quantenphysik, die im Grunde eine Wiedervereinigung der Natur- und der Geisteswissenschaft verlangt und das den Materialismus durch den Holismus ablösen wird. – Die Erkenntnisse eines Alan Aspect und eines Anton Zeilinger, die beide den Physiknobelpreis bekommen haben, werden nicht wahrgenommen, tw. sogar bewusst ignoriert, weil sie nicht zur Ideologie passen. Aspect hat seinen Nobelpreis für die Verifizierung des Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon bekommen. Franz Moser (+) beschreibt dies sehr verständlich in seinem Buch «Bewusstsein in Raum und Zeit). Er führt dazu – um es verstehen zu können – die 2-Welten Theorie ein: Die «Biologische Realität» und die «Energie-Bewusstseins-Realität». Im Grunde beschreibt die eine Welt das Diesseits, und die andere Welt das Jenseits. Kein Physiker nimmt dabei das Wort «Jenseits» in den Mund; wenn man aber die Raum- und Zeitlosigkeit in der EB-Welt mit der Beschreibung des Jenseits vergleicht, dann ist kein Unterschied erkennbar.

Leider versagen alle Kirchen (Kirche ¹ Religion) in Bezug auf die Deutung und Verbreitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die eine zwingende Verbindung zwischen der Geistes- und der Naturwissenschaft herstellen. Diese Tatsache steht der sog. «Aufklärung» diametral gegenüber, die diese Trennung vor einigen hundert Jahren bewirkte. Die Kirchen begnügen sich mit der «Form», anstatt sich mit der «Funktion» zu befassen, und erreichen deshalb immer weniger Menschen. Die Menschen merken, dass die Form sie nicht weiterbringt, ihnen keine Orientierung gibt, und auch den Lebenssinn nicht vermitteln kann. Dagegen wirken die Versprechungen und Verführungen des Ahriman (Anm.: Verkörperung des Materiellen, der Lüste und Begierden) u.a. in Gestalt einiger Medien (Hochglanzbroschüren); die Natur des jungen Menschen ist «Haben» und weniger «Sein» (Erich Fromm: Haben oder Sein 1976). Und weil das «Sein» gerade in jungen Jahren nicht mehr vermittelt wird, kann es sich auch später nicht oder zumindest schwerer entwickeln. Es liegt wie ein nicht entwicklungsunfähiger Fötus im Uterus. Alle Bildung wird dem Mammon untergeordnet, und so werden die Menschen zu «Maschinen» für die Wirtschaft. In diesem Zusammenhang kann Religion nur hinderlich sein, denn man könnte ja das eine oder andere hinterfragen.

Ideologien aller Couleurs machten keinen Menschen in der Vergangenheit nachhaltig glücklich. Aber sehr viele Menschen unglücklich. Wie man gerade an den aktuellen Entwicklungen sehen kann, treten Intoleranz, Ignoranz und gegenseitiges Misstrauen auf und spalten die Gesellschaft. Daher erlauben Sie mir ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, es gibt einen «Schöpferfunken», eine «universelle oder kosmische Intelligenz» – viele nennen das Gott. Was würde sich auf der Welt ändern, wenn alle Menschen nach «Religio» (Anm.: Lat. «Rückbindung, gewissenhafte Berücksichtigung, Sorgfalt»; Intelligent Design als Vorstufe zu Darwins Evolutionstheorie), also nach der gemeinsamen Ethik aller Religionen (wenn es mehrere geben sollte), leben würden? Was würde sich zum Guten ändern, was zum Schlechten? Bei Ersterem fällt mir viel ein, sehr viel; beim zweiten gar nichts. Dazu würde ich Nachhilfe benötigen. Wenn es also eine klare Veränderung zum Guten geben würde, was hindert uns dann, danach zu leben? Der Lohn wäre Menschlichkeit, Gemeinschaft, und letztlich Glück.