Medien in Liechtenstein

Archivbild. Frau mit eingerollter Zeitung. Foto: Picture Alliance, Frankfurt/Main.

Leserbrief von Reinhard Walser, ehemaliger Chef des Vaduzer Medienhaus

 

„Volksblatt“ – es war einmal

Am 4. März 2023 hat das „Liechtensteiner Volksblatt“ den Stecker  gezogen. Das Licht für eine traditionsreiche und beliebte Zeitung wurde gelöscht. Ein trauriger Tag für Liechtenstein. Ein trauriger Tag für die Demokratie in Liechtenstein. Es liegt nicht an mir, die Gründe für diesen Niedergang zu analysieren. Eine der «Volksblatt»-Totengräberin ist leider auch die Politik. Zuerst wurden die Publikationen der „Amtlichen Kundmachungen“ gestrichen: Ein jährlicher Millionenverlust für die beiden Tageszeitungen. Ebenso: eine demokratische Ausgrenzung der Einwohnerinnen und Einwohner. Ihnen wurden interessante und wichtige Landes-Informationen vorenthalten.

Das „Vaterland“ in der Kritik

Wenn man die Diskussion im Landtag verfolgt hat, ist das „Vaterland“ der Bösewicht und das Übel von allem. Dass man innovativ und risikofreudig gewesen war, wird fast als eine Bestrafung gesehen. Ohne das erfolgreiche Engagement des Vaduzer Medienhauses hätten wir heute unter Umständen gar keine Tageszeitung mehr. Denn es gab auch fürs „Vaterland“ über Jahrzehnte mehr Gründe, um zu scheitern als zu reüssieren.

In den achtziger Jahren hatte das „Volksblatt“ noch die doppelte Auflage des „Vaterlands“. Dieses, das „Vaterland“, taumelte seit Jahren. Es erschien nur dreimal in der Woche und die Aktualität war gleich null. Man produzierte Seiten auf Vorrat. Also nicht aktuell, nein für übermorgen, überübermorgen oder nächste Woche. So dass man dann am Erscheinungstag stets ohne Stress genügend Seiten fix-fertig parat hatte. Wirtschaftlich nagte der Presseverein am Hungertuch. Er war von Gönnern abhängig.

Passend zu dieser bettelarmen Situation wurden die Zeitungsspalten über Jahre von einer Feierabend-Redaktion gefüllt. Sepp Sprenger, Ingenieur aus Triesen, war der heimliche Chefredaktor. Er und ein Dutzend Hobby-Schreiberlinge füllten mehrheitlich die „Vaterland“-Seiten. Sie alle hatten dabei nur eine Motivation: Sie wollten mit diesem Frondienst die Interessen der VU unterstützen und das «Vaterland» nicht sterben lassen.

Die ehemaligen Granden der Partei, Dr. Otto Hasler und Dr. Karlheinz Ritter, hatten Angst, dass das „Vaterland“ Konkurs gehen könnte. Vorsichtshalber schuf man daher eine Stiftung. Dieser gehört das heutige Vaduzer Medienhaus.

Qualitätsjournalismus wagen

Parallel zum Abbremsen des «Volksblatt» erstarkte das „Vaterland“.  Aus dem behäbigen Feierabend-Presseverein entstand nach und nach ein modernes Medienhaus.

Mit dem neuen Chefredaktor Günther Fritz wurde die redaktionelle Leistung auf eine neue Ebene gehievt. Man wagte den Qualitätsjournalismus. Es wurde getrennt zwischen Meinung und Fakten. Aktualität war wieder vorranging. Günther war der erste Liechtensteiner, der das MAZ (Schweizer Journalistenschule) besuchte. Weiterbildung und Qualität wurden fortan für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktion zum Credo. Getreu dem VU-Motto „metanand“ suchte auch die Redaktion die Nähe zu den verschiedenen Interessensgruppen und politischen Parteien. Das „Vaterland“ öffnete sich.

Miteinander schafft Wettbewerbsvorteil fürs «Vaterland»

Ergänzend zur redaktionellen Neuausrichtung wurde massiv in den Inseraten-Verkauf und die regionale Zusammenarbeit investiert. Im Land waren Alois Ospelt und später Patrick Flammer die treibenden Kräfte. Zusammen mit Jörg Räber von der Publicitas initiierte das Medienhaus sieben Regiopools von Chur bis St. Gallen, konzipiert für regionale Werbe-Auftraggeber. Das „Vaterland“ ist als einzige Zeitung in allen Anzeigenkombinationen vertreten. Für die Rekrutierung der nationalen Inserate (wie Coop, Migros etc.) spannte das Vaduzer Medienhaus mit der “Südostschweiz“, später mit dem „St. Galler Tagblatt“ zusammen. Diese regionalen Kooperationen waren für den wirtschaftlichen Erfolg des «Vaterlands» ausschlaggebend: Ohne Wenn und Aber der entscheidende Wettbewerbsvorteil gegenüber dem «Volksblatt».

Im logistischen Bereich war das Medienhaus zusammen mit Peter Zehnder von der BuchsDruck AG Initiant für die Gründung einer eigenen Zeitungsdruckerei in Haag. An dieser ist das Medienhaus heute mit einem Drittel beteiligt. Auch schaffte man mit der Frühzustellung neues Leseverhalten. Hinzu kam die Erweiterung des Produkteportfolios mit der Sonntagszeitung „Liewo“, der Wirtschaftszeitung „Wirtschaft regional“, den themenbezogenen Magazinen und dem Plakatangebot.

Team als Erfolgsfaktor

Die positive Entwicklung des Medienhauses war das Ergebnis einer leidenschaftlichen Teamarbeit. Journalisten und Management erbrachten tagtäglich sehr gute Leistungen, redaktionell und wirtschaftlich. Gemeinsam schaffte man Sicherheit und Zuversicht. In der Zeitspanne rund um die Jahrtausendwende generierte das Medienhaus ein 2-stelliges Millionen-Polster von dem das Medienhaus und die Partei heute noch profitieren. Die VU bekam als Dank für ihre Geduld mit ihrer hin und wieder aufmüpfigen, nicht immer pflegeleichten, von den eigenen Politikern oft kritisierten, schlussendlich aber sehr erfolgreichen Tochter ein Büro/Wohnhaus. Das heutige «Wilhelm Beck»-Haus.

Meine ganz persönliche Meinung: Den Träumereien Kante zeigen

Von einigen Abgeordneten wird im Landtag gefordert, dass sie bestimmen möchten, wer im Verwaltungsrat des Medienhauses sitze und wie dieser zu funktionieren habe. Für mich gehören solche Forderung ins Reich der Träume. Der Verwaltungsrat ist – wie bei allen westlichen Medien-Unternehmen – für die wirtschaftliche und die inhaltliche Ausrichtung der Zeitung verantwortlich. Ganz allein. Und nur er. Und um klare Kante zu zeigen: dies gilt selbstverständlich auch für die strategische redaktionelle Ausrichtung. Denn diese ist hauptverantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg beim Aboverkauf. Inzwischen – nach dem Rückgang der Werbegelder – ein wichtiger gewordener Faktor für die Wirtschaftlichkeit eines Medienunternehmens.

Meine ganz persönliche Meinung: Das Erbe nach
dem „Volksblatt“-Aus enttäuscht

Nun ist das „Volksblatt“ mehr als drei Monate Geschichte. Seit dem 4. März gab es im „Vaterland“ keinen einzigen Kommentar und keine einzige politische Stellungnahme. Offenbar möchte man nicht provozieren und verzichtet bewusst darauf, seine Meinung zu sagen. Auch die politischen Gegner werden vornehm geschont. „Ja niemandem weh tun“ heisst wohl die Devise. In dieser Form wird das „Vaterland“ zu einem Ankündigungs- und Berichterstattungs-Medium. Für ein solches „Vaterland“ – das wage ich zu sagen – werden immer weniger Abonnenten bereit sein, für ein Jahres-Abo fünfhundert Franken auf den Tisch zu blättern

Meine ganz persönliche Meinung: Jedes Medium
muss eine Meinung haben

Der Leser will wissen, was die Redaktion und der Verleger zu politischen und gesellschaftlich Themen zu sagen haben. Er kann diese goutieren oder verteufeln. Der Bürger will die verschiedenen Meinungen und Ideen seines Umfelds «einatmen», damit er dann für sich selbst eine eigene Meinung bilden kann. Das heisst für mich: Das „Vaterland“ sollte die Grundvisionen seines politischen Gründervaters Wilhelm Beck und die Interessen der VU nach aussen aktiv vertreten. Mit Begeisterung und Leidenschaft. Allerdings: Nun kommt das entscheidende „Aber“. Dieses „Aber“ ist meiner Meinung nach für die Zukunft des „Vaterlands“ wegweisend und eine Frage des Überlebens.

Gleichwertig wie die eigenen Ideen müssten die Redakteure – nach dem Aus des «Volkblatts» – die politischen Vorstellungen der Mitbewerber und Stakeholder unterstützen und redaktionell entsprechend recherchieren und aufbereiten. Das „Vaterland“ sollte der aktive Moderator der Meinungsvielfalt im Land sein und die kontradiktatorische Auseinandersetzung unter den Parteien begünstigen. Und wichtig: uneingeschränkt akzeptieren, dass Meinungen auch gegen seine eigenen, einen festen Platz in der Zeitung haben dürfen. Konkret müssten die Meinungen aller aktiv eingeholt und verarbeitet werden. Ein solches „Vaterland“ als Forumszeitung verdiente seinen festen Platz in der liechtensteinischen Medienlandschaft und dürfte eine gute Zukunft haben. Es würde einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Demokratie leisten. Als Krönung: Das „Vaterland“ würde Kult-Status erlangen.

Wichtig: Dieser redaktionelle Mehraufwand, der gezwungenermassen durch die Integration der verschiedenen Interessen und Stakeholder anfallen wird, sollte von der Politik grosszügig honoriert werden.

So soll es ein

Als Beispiel sollen die «NZZ» und der «Tagesanzeiger «dienen. Die «NZZ» ist mit Chefredaktor Eric Gujer wieder stramm freisinnig, aber bearbeitet redaktionell trotzdem alle Themen, alle Meinungen und alle Aktivitäten der anderen Parteien. Der «Tagesanzeiger» ist links und ebenfalls offen nach allen Richtungen, von ganz links bis ganz rechts. Beide haben eine gemischte parteiübergreifende Leserschaft. So sollte es sein.

Reinhard Walser, Bartlegrosch 38,9490 Vaduz