Volksentscheide über eine Ausweitung der Volksrechte: Kein Selbstläufer

Dr. Thomas Milic Forschungsbeauftragter Politik am Liechtenstein-Institut

Die direkte Volkswahl der Liechtensteiner Regierung wird aktuell im DpL-Parteiprogramm gefordert. Ganz neu ist diese Forderung nicht. Im Vorfeld der Wahlen 2009 stand sie auch bei der FL als Wahlprogrammpunkt zur Diskussion, wurde am Ende aber verworfen. In der Schweiz wurde darüber gar schon dreimal an der Urne entschieden. Die Umstände, wie es zu den Volksabstimmungen kam, und deren Ausgang sind auch für die Liechtensteiner Diskussion rund um die Volkswahl der Regierung interessant.

1900 konnte das Schweizer Stimmvolk erstmals über die Einführung der Volkswahl des Bundesrates befinden. Das entsprechende Volksbegehren kam von linker Seite, war an der Urne indes chancenlos. Rund 65 Prozent der Stimmenden verwarfen die Vorlage.
1939 lancierten abermals die Sozialdemokraten, enttäuscht vom Bundesratswahlausgang 1938, eine Volksinitiative zur Volkswahl der Landesregierung. Auch dieses Begehren wurde klar abgelehnt (67,6 Prozent Nein-Stimmen). 75 Jahre später, 2013, stand wieder eine Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates zum Entscheid an. Dieses Mal kam die Forderung von der SVP, die mit dem Ausgang der Bundesratswahlen 2007 – Christoph Blocher wurde nicht mehr wiedergewählt – unzufrieden war. Das Volksverdikt lautete gleich wie 1900 und 1939: nein (76,3 Prozent).

Zwei Dinge sind im Zusammenhang mit diesen drei Volksentscheiden bemerkenswert. Erstens: Das Volk stimmt einer Ausweitung seiner eigenen Rechte längst nicht immer zu. Die Einführung einer Volkswahl der Landesregierung hätte dem Schweizer Stimmvolk mehr Rechte gegeben. Aber es lehnte dieses «Angebot» dreimal deutlich ab. Das ist alles andere als selbstverständlich. Gruppen oder auch einzelne Individuen befürworten meist eine Ausweitung ihrer Rechte.

Zweitens scheint die Forderung nach einer Volkswahl der Regierung nur bedingt an irgendeine politische Ideologie gebunden zu sein. Die ersten beiden Volksinitiativen stammten aus linken Kreisen, die mit der damaligen, parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates nicht zufrieden waren. Die dritte Initiative kam hingegen vom anderen Pol des politischen Spektrums, von der SVP. Auslöser für alle drei Begehren war in erster Linie die Unzufriedenheit mit der jeweils aktuellen Zusammensetzung der Regierung.

Die Abstimmungsanalyse von 2013 zeigt zudem, dass die jeweiligen Parteianhängerschaften der Linie ihrer Parteien ziemlich diszipliniert folgten. Die SP-
Anhängerschaft verwarf 2013 die Volkswahl-Initiative der SVP deutlich, obwohl die exakt gleiche Forderung einstmals eine Idee ihrer eigenen Partei gewesen ist. Die SVP-Anhängerschaft hingegen, deren Partei die früheren Volkswahl-Bestrebungen der SP regelmässig bekämpft hatte, stimmte 2013 dem eigenen Begehren mehrheitlich zu. Die Haltung zur Volkswahl der Regierung scheint demnach für viele Schweizer Bürgerinnen und Bürger keine grundsätzliche, staatspolitisch oder ideologisch geprägte Einstellung zu sein, sondern ist situationsabhängig: Wer mit der aktuellen Bundesratszusammensetzung unzufrieden ist, will eine Veränderung, wer zufrieden ist, will Stabilität. Das gilt für die Parteieliten ebenso wie für die breite Masse der Stimmberechtigten.

Die Schweizer Abstimmungserfahrungen zeigen, dass die Volkswahl-Forderung an der Urne beileibe kein Selbstläufer ist: Das Stimmvolk stimmt einer Erweiterung seiner Rechte nicht notwendigerweise zu. Sodann sind die Haltungen der Bürgerinnen und Bürger zur Volkswahl-Frage selten in Stein gemeisselt. Vielmehr sind sie abhängig davon, wie zufrieden man mit der Funktionsweise der Politik im Generellen und der aktuellen Regierungszusammensetzung im Speziellen ist. Die Art und Weise, wie Mehrparteienregierungen zusammengesetzt werden, macht es aber von vornherein unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Parteien mit der aktuellen Regierungszusammensetzung unzufrieden ist.