Die Demokratie demokratisieren

Politologe Christian Frommelt, Direktor des Liechtenstein-Instituts

Polarisierung. Fehlendes Vertrauen. Handlungsohnmacht. Politikverdrossenheit. An Diagnosen zur Krise der Demokratie mangelt es derzeit wahrlich nicht. Obwohl solche Einschätzungen oft überzogen sind, können sie nicht ignoriert werden. Doch wie lässt sich Demokratie verbessern? 

Bürgerräte und ihre Funktionen
Wenn in unseren Nachbarstaaten von demokratischen Innovationen die Rede ist, dann wird immer wieder auf Bürgerräte verwiesen. Bürgerräte sind eine Sonderform von sogenannten «Mini Publics». In einem Zufallsverfahren wird eine bestimmte Anzahl Personen ausgewählt, welche sich in einem festgelegten Zeitrahmen zu einem politischen Thema beraten und danach öffentlich Stellung beziehen. Obwohl ein solcher Bürgerrat konkrete Politikempfehlungen ausarbeitet, bleibt die Funktion eine beratende und damit die Entscheidungskompetenz der etablierten demokratischen Institutionen unberührt. 

Bürgerräte können auf allen Ebenen stattfinden – also lokal, national oder sogar international. Eine besondere Häufung von Bürgerräten gibt es in Vorarlberg, wo die Institution des Bürgerrats auch in der Landesverfassung verankert ist. Da es sich bei Bürgerräten um ein relativ junges Phänomen handelt und die einzelnen Bürgerräte sich hinsichtlich Anzahl Teilnehmender, Beratungsdauer, Zielsetzung sowie der behandelten Themen unterscheiden, fällt es schwer, die demokratische Qualität von Bürgerräten einzuordnen. 

Für eine hohe Repräsentativität reicht eine reine Zufallsauswahl oftmals nicht aus, da die Teilnahmebereitschaft nach bestimmten Merkmalen wie Alter und Bildung variieren kann. Dennoch stellt die Forschung Bürgerräten hinsichtlich ihrer Zusammensetzung meist ein gutes Zeugnis aus. Mit oftmals über 100 Teilnehmenden sind Bürgerräte auch deutlich grösser als andere Formen von Mini Publics. Allerdings macht es dies schwierig, dass sich alle Teilnehmenden gleich einbringen können. Es braucht klare Verfahren und eine gute Moderation. Die grösste Herausforderung liegt aber im Erwartungsmanagement. Bei den Teilnehmenden besteht naturgemäss die Erwartung, dass die ausgearbeiteten Empfehlungen auch tatsächlich in den politischen Prozess einfliessen. Damit treten die Bürgerräte aber in eine Art Legitimationskonkurrenz zu den etablierten Institutionen. Umgekehrt entsteht erst recht ein Vertrauensverlust in die Politik, wenn die Empfehlungen nicht befolgt werden. 

Bedarf in Liechtenstein?
Könnten Bürgerräte auch für Liechtenstein eine Bereicherung darstellen? Liechtenstein verfügt über eine Vielzahl direktdemokratischer Instrumente und kann eine hohe Beteiligung bei Abstimmungen und Wahlen verzeichnen. Auch gibt es neben Landtag und Gemeinderäten diverse weitere Gremien zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe wie zum Beispiel die Gemeindekommissionen. Das Milizsystem wirkt zudem einer Kluft zwischen Volk und Politik entgegen. Hinsichtlich Repräsentation und Beteiligung steht es also nicht schlecht um die Demokratie in Liechtenstein. Ferner zeichnet sich das politische System durch eine hohe Entscheidungseffizienz aus. Besondere Herausforderungen bestehen allerdings bei den Themen Verkehr und Raumplanung. Doch ob Bürgerräte dort angesichts der vielen bereits vorliegenden Konzepte tatsächlich einen Gewinn brächten, ist fraglich. 

Natürlich lohnt es sich auch in Liechtenstein, über demokratische Innovationen nachzudenken. Eine grosse Herausforderung ist dabei der Mangel an personellen Ressourcen. Geschickt eingesetzt, können kommunale Mitbestimmungsformate und Mini Publics durchaus entlasten. Zudem stehen Teilnehmende dieser partizipativen Formate später allenfalls für andere politische Aufgaben bereit. Bei einer Konkurrenz der verschiedenen Institutionen könnte das Mandat im Landtag und im
Gemeinderat aber auch an Attraktivität verlieren. Genau dies gilt es tunlichst zu vermeiden. Denn bei aller Innovation: Die traditionellen Institutionen sollten nicht geschwächt werden. Sie sind schlicht unverzichtbar.