«Meine Leser sehen ihre Heimat mit anderen Augen»

Die Burgen im Rheintal haben Doris Röckles Neugier für die Geschichte ihrer Heimat geweckt, ein achselzuckender Vorschlag ihres Mannes hat sie zum Schreiben animiert. Das Ergebnis sind mittlerweile vier erfolgreiche Romane und ein Krimi, die alle im Mittelalter der Region spielen. «Was jetzt noch fehlt, ist ein richtiger Bestseller», sagt die Autorin und lacht.

«Spätsommer 1243 im Tal des Rhyns. Dunkel ballten sich die Wolkentürme am fernen Horizont. Es war die letzten Stunden merklich kühler geworden. Mariana stand am Fenster ihrer kleinen Kammer, den Umhang fest um ihre Schultern geschlungen, und blickte nachdenklich auf den langsam schwindenden Tag. Unten in der Taverne hörte man die Zecher grölen. Bald würden sie nach ihr rufen, wie sie es immer taten, stiegen ihnen Wein und Met zu Kopf.» So lauten die ersten Zeilen in Doris Röckles viertem historischem Roman «Die List der Schanktochter». Mariana ist die Tochter von Hilarius Büchel, dem Wirt des «Goldenen Lamms» in Bendern – und nicht unbedingt vom Glück verfolgt. Das ändert sich, als sie Ritter Heinrich von der Burg Schellenberg kennen- und lieben lernt. Doch Lügen und Intrigen verhindern vorläufig, dass die beiden zusammenkommen. Bevor es soweit ist, muss Mariana eine Reihe von Abenteuern bestehen, die sie bis nach Zypern führen, wo Balian von Ibelin, der Enkel des gleichnamigen Verteidigers von Jerusalem, ihren Weg kreuzt, und die sie in den Besitz eines jahrhundertealten Codex bringen.

Ein schicksalhafter Nachmittag
Balian von Ibelin, Bischof Volkhard von Chur oder Manfred, der König von Sizilien, sind wie viele weitere Figuren und Doris Röckles Buch historische Persönlichkeiten. Ihre Zeitgenossin, Protagonistin Mariana, und ihr Vater sowie ihre Standesgenossen aus dem einfachen Volk sind historisch nicht belegt. «Einfache Menschen wurden in den überlieferten Schriftstücken fast nie erwähnt. Dass ihr hartes Leben aber so war, wie es in meinen Romanen beschrieben, hat sich bei meinen Recherchen immer wieder gezeigt», sagt die Autorin, die mit der «List der Schanktochter» ihren vierten historischen Roman veröffentlicht hat.

Bis ihr Erstlingswerk «Die Spur der Gräfin» erschienen ist, hatte Doris Röckle jedoch «einen beschwerlichen Weg zu gehen», wie sie selbst sagt. Der Auslöser war ein Sonntagnachmittag im Herbst 2005. «Ich bin mit meinem Mann am Schloss Vaduz vorbeigefahren und habe mich beklagt, dass mir langweilig sei, weil ich nichts mehr zum Lesen habe. Mein Mann sagte nur ‹Dann schreib halt selber etwas›. Da Burgen mich schon immer fasziniert haben, fiel mein Blick auf das Schloss, und ich dachte mir, dass ich ja eine Geschichte mit historischem Hintergrund schreiben könnte.» Als Hauptfigur entschied sie sich für Graf Albrecht I. von Werdenberg-Heiligenberg. «Allerdings wollte ich keine historischen Abhandlungen schreiben. Daher enthalten meine Bücher immer auch ein Rätsel, meist um eine Reliquie wie das Grabtuch von Turin oder die Heilige Lanze, deren Geschichte ich mit jener des Rheintals verbinde.»

Abgebrannte Druckereien und andere Lügen
Bevor sie ihren ersten Roman fertiggestellt hatte, hat Doris Röckle bereits bei einem Geschichtenwettbewerb des «Volksblatts» gut abgeschnitten und genug Selbstvertrauen getankt, um bei einem weiteren Wettbewerb, ausgeschrieben vom Kulturverein Schloss Werdenberg, mitzumachen. Dieses wurde folglich auch einer der wichtigsten Handlungsorte in der «Spur der Gräfin». «Ich gewann diesen Wettbewerb und erlebte mein erstes Highlight als Autorin. Als ich aber einen Verlag gesucht habe, bekam ich zunächst Hunderte Absagen und begann an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. Schliesslich fand ich einen Verlag in Zürich und war glücklich.» Die Freude währte jedoch nicht lange, und die Publikation des Buchs verzögerte sich. «Mir wurden abenteuerliche Lügen aufgetischt, beispielsweise dass die Druckerei abgebrannt oder der Lektor plötzlich schwer erkrankt sei. Ich habe das zunächst auch geglaubt, weil man als Neuautorin wohl etwas naiv ist», sagt Doris Röckle. Die Rechte an ihrem Werk lagen inzwischen aber bei besagtem Verlag. Um doch noch eine Chance als Autorin zu haben, schrieb sie zwei neue Manuskripte. «Meine Erfahrungen waren ähnlich wie beim ersten: Absagen über Absagen. 2016 war ich schon soweit, dass ich aus Frust alle meine Texte löschen wollte», sagt Doris Röckle. Per Zufall traf sie in dieser Zeit eine andere Autorin, die ihr einen Agenten in Frankreich empfahl. Er sei spezialisiert auf historische Romane, aber gleichzeitig knallhart. «Ich habe ihm ‹Die Flucht der Magd› geschickt, und er war begeistert. Schon drei Wochen später durfte ich meinen Vertrag bei Droemer Knaur in München unterzeichnen. Das war mein zweites Highlight als Autorin.»

Die hinkende Hanna
Ihr Agent setzte sich auch dafür ein, dass Doris Röckle die Rechte an der «Spur der Gräfin» zurückerhielt. «Das war ein hartes Ringen. Aber es hat geklappt. So ist aber auch die kuriose Situation entstanden, dass mein erstes Buch eigentlich mein drittes ist», sagt Doris Röckle und lacht. Weiter tragisch ist dies nicht. Denn jeder Roman ist eine in sich abgeschlossene Geschichte. «Gemeinsam haben sie, dass sie sich um unser Rheintal und seine Burgen im Spätmittelalter drehen. Meistens ist die Protagonistin ausserdem eine Frau aus dem Volk.»

Gelesen werden Doris Röckles Bücher gerne. «Bei Amazon haben sie in der Regel eine Bewertung zwischen vier und viereinhalb von fünf möglichen Sternen», sagt die Autorin, die ihre Leser in rund einem Jahr mit ihrem fünften Roman erfreuen wird. Er spielt zwischen der Burg Gutenberg in Balzers und der Stadt Feldkirch zur Zeit des Schwabenkrieges 1499. Zusätzlich gibt Doris Röckle seit diesem Jahr auch historische Krimis heraus. Ihr erster ist «Die Wehmutter vom Bodensee», der im Februar bei Emons erschienen ist. Hauptfigur ist wie in «Die Flucht der Magd» die hinkende, pockennarbige Hanna. «Auch der Krimi ist unabhängig vom Roman lesbar, aber ich habe zahlreiche Rückmeldungen zu dieser Figur erhalten. Sie wird offenbar sehr geschätzt. Daher habe ich sie erneut zur Protagonistin gemacht.»

«Es ist chaotisch, aber ich komme zum Ende»
Vom Schreiben leben kann Doris Röckle bisher nicht. «Dafür müsste mir wirklich ein Bestseller gelingen», sagt sie. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. So schreibt die Autorin weiterhin nebem ihrer 70-Prozent-Stelle als MPA an ihren Büchern. «Das heisst aber nicht, dass ich jeden freien Nachmittag und an den Wochenenden vor dem PC sitze. Ein neues Kapitel muss sich zuerst in meinem Kopf formen. Wenn ich weiss, dass alles passt, setze ich mich hin und schreibe bis zu 20 Seiten in wenigen Stunden. Ich folge auch keinem Plot wie andere Autoren. Ich weiss zu Beginn des Schreibprozesses lediglich den Anfang und das Ende der Geschichte. Mittendrin sticht mir zum Beispiel eine Mühle ins Auge, und ich recherchiere dann lange zu diesem Thema. Wenn alles passt, baue ich es ein. Das klingt zwar chaotisch, aber ich komme immer zum Ende», sagt Doris Röckle lachend.

Ein Lieblingsbuch oder eine Lieblingsfigur hat Doris Röckle in ihrer Bibliographie nicht. «Mir ist jede ans Herz gewachsen, da ich mich mindestens ein Jahr mit ihr beschäftigt habe», sagt die Autorin. «So geht es offenbar auch meinen Leserinnen und Lesern. Und das freut mich. Besonders freut mich aber, dass ich oft Rückmeldungen erhalte, dass jemand nach der Lektüre meiner Bücher seine Heimat, unsere Heimat plötzlich mit ganz anderen Augen sieht.»