«Leitungswasser kann bedenkenlos konsumiert werden»

Die Vorsteherinnen Maria Kaiser-Eberle (WLU-Präsidentin, links) und Daniela Wellenzohn-Erne (GWO-Präsidentin) im neu erstellten Stufenpumpwerk Schaan-Nendeln. Foto: Paul Trummer

Mit neuen Stufenpumpwerken hat die Wasserversorgung Liechtensteiner Unterland (WLU) die Versorgungssicherheit mit Trinkwasser weiter erhöht. Diese ist selbst in Ausnahmesituationen jederzeit gesichert, wie WLU-Präsidentin Maria Kaiser-Eberle sagt. Zusammen mit GWO-Präsidentin Daniela Wellenzohn-Erne informiert sie auch über die Feststellung von Pestizidrückständen im Liechtensteiner Trinkwasser und die erfolgreichen Gegenmassnahmen.

Wie entwickelt sich der Wasserverbrauch im Liechtensteiner Unterland?
Maria Kaiser-Eberle: Der Anstieg des Wasserverbrauchs im Liechtensteiner Unterland ist getrieben durch die prosperierende Industrie und das grosse Bevölkerungswachstum. Der Wasserverbrauch lag im Jahr 2020 bei zirka 2,5 Millionen Kubikmeter. Die Unterländer Bevölkerung hat sich in den vergangenen rund 45 Jahren verdoppelt – das entspricht also einer Zunahme um 100 Prozent. Der Wasserverbrauch hingegen ist im selben Zeitraum um etwa 55 Prozent gestiegen. Der durchschnittliche Tagesverbrauch liegt bei rund 7000 Kubikmetern, der niedrigste Tagesverbrauch liegt unter 3000 Kubikmetern und der Höchstverbrauchstag bei über 10’500 Kubikmetern. Bei der Wasserbeschaffung und -verteilung muss also eine Schwankung um den Faktor 3,5 berücksichtigt werden.

Wie kann diese Wassermenge beschafft werden?
Maria Kaiser-Eberle: Mit dem Neubau der Verbindungsleitung im Jahr 2015, dem jetzigen Bau des Stufenpumpwerks Schaan-Nendeln und dessen Inbetriebnahme im vergangenen Juli hat die WLU die Versorgungssicherheit der Unterländer Bevölkerung mit Trinkwasser weiter erhöht. Die Kosten für das Pumpwerk betragen etwa 750’000 Franken. Seit der Inbetriebnahme dieses zweiten Stufenpumpwerks zwischen der Gemeinde Schaan und der WLU ist es möglich, in enger Abstimmung mit der Gemeinde Schaan und in Rücksprache mit der Gruppenwasserversorgung Liechtensteiner Oberland, der GWO, die Trinkwasserversorgung der Unterländer Bevölkerung in Notlagen und auch an den wenigen Tagen mit extrem hohem Verbrauch sicherzustellen. Dies ist eine allgemeine, auf die Zukunft ausgerichtete Massnahme, welche künftig die Versorgungssicherheit im speziellen der Unterländer Bevölkerung in Ausnahmesituationen sicherstellt.

 Ist das Liechtensteiner Trinkwasser sicher?
Maria Kaiser-Eberle: Absolut! Leitungswasser ist das wichtigste, meistkonsumierte und darum bestkontrollierte Lebensmittel Liechtensteins. Es kann überall im Land bedenkenlos genutzt werden.

Warum treten Sie dennoch mit einem Interview, das auch die Pestizidbelastung thematisiert, an die Öffentlichkeit?
Maria Kaiser-Eberle: Es ist unsere Pflicht, die Bevölkerung über mögliche Belastungen zu informieren – und seien sie noch so gering. Dem kommen wir mit unserem Interview gerne nach.

Wie ist die aktuelle Situation in Liechtenstein?
Daniela Wellenzohn-Erne: In Liechtenstein konnten Pestizide bis 2017 nur in Ausnahmefällen und im Spurenbereich festgestellt werden. Aufgrund besserer Untersuchungsmethoden und einer Schwerpunktuntersuchung in der Schweiz und Liechtenstein wurden in den Jahren 2018 und 2019 erstmals Spuren von Chlorothalonil-Sulfonsäure nachgewiesen. Das ist ein Abbauprodukt, in der Fachsprache Metabolit genannt, des Pestizids Chlorothalonil. In Liechtenstein bewegten sich die Messwerte – wie uns das Amt für Lebensmittelkontrolle und Veterinärwesen (ALKVW) detailliert informierte – jedoch deutlich unter dem Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter (µg/l). Das entspricht einem Zehnmillionstel eines Gramms auf einen Liter Wasser. Die für das Trinkwasser festgelegten Höchstwerte sind im Sinne der Vorsorge tief angesetzt und entsprechen dem damals gerade noch Messbaren. Im Jahr 2020 wurden weitere Chlorothalonil-Metaboliten analysiert. Dabei wurde der Metabolit R471811 im Bereich des Grenzwertes für relevante Metaboliten nachgewiesen. Der Höchstwert für «relevante», also potenziell schädliche Metaboliten beträgt 0,1 µg/l und für «nicht relevante», also für unproblematische, Metaboliten 10 µg/l. Aktuell ist eine Klage der Firma Syngenta Agro AG gegen diese Einstufung als «relevant» beim Schweizer Bundesverwaltungsgericht hängig.

Woher rühren diese Belastungen – abgesehen von den genaueren Messverfahren
Maria Kaiser-Eberle: Vom Einsatz des seit den 1970er-Jahren häufig verwendeten Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil, welches vorwiegend im Acker- und Gemüsebau als wirksames Pilzschutzmittel eingesetzt wurde. Seit Anfang 2020 ist die Verwendung in der Schweiz und Liechtenstein sowie in der EU verboten.

Wie sehen die Messergebnisse im konkreten Einzelfall aus?
Daniela Wellenzohn-Erne: Umfangreiche Messungen in Liechtenstein haben gezeigt, dass bei den Proben in den Trinkwasserverteilnetzen die Werte von Chlorothalonil-Metaboliten fast überall unter dem Höchstwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter lagen. Lediglich in Ruggell und Balzers waren vereinzelte Grenzwertüberschreitungen des Metaboliten R471811 nachweisbar. Primär bezogen sich diese Grenzwertüberschreitungen auf die Wasseranalyse im Pumpwerk Oberau der WLU (Maximalwert: 0,28 µg/l) sowie in den Pumpwerken Rheinau, Balzers (Maximalwert: 0,17 µg/l), und Heilos, Balzers/Triesen (Maximalwert: 0,13 µg/l). Im Trinkwasserverteilnetz von Ruggell wurden Überschreitungen des aktuell gültigen Grenzwertes festgestellt (Maximalwert: 0,25 µg/l). In Balzers konnte ausschliesslich bei einer Netzwasserprobe eine Überschreitung festgestellt werden (0,128 µg/l). Bei den gemessenen Werten gilt es anzumerken, dass die methodische Messunsicherheit in diesen kleinen Konzentrationsbereichen bis in den Frühling 2021 bei 30 Prozent lag und seither bei 20 Prozent liegt. Die gemessenen Rückstandswerte liegen teils so nahe am Grenzwert, dass aufgrund der Messunsicherheit abschliessende Beurteilungen sehr schwierig sind. Bei allen weiteren Proben lagen die höchsten gemessenen Werte jeweils unter den Grenzwerten. Wir nehmen die Überschreitungen aber selbstverständlich sehr ernst und haben entsprechende Gegenmassnahmen ergriffen.

Wie sehen diese aus?
Maria Kaiser-Eberle: Nach dem Bekanntwerden der Grenzwertüberschreitungen haben die Wasserversorgungen mit dem ALKVW umfangreiche Massnahmen besprochen, um die Rückstandsgehalte im Netz, also bei den Kunden, möglichst tief zu halten, um möglichst unbelastetes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Anschliessend haben die betroffenen Wasserversorgungen Massnahmen ergriffen, um die Konzentration der Rückstände im Netz zu senken. Vereinfacht ausgedrückt, lässt sich der Chlorothalonil-Wert senken, indem dem Grundwasser Quellwasser beigemischt wird. So hat die WLU zum Beispiel umgehend die Möglichkeit geschaffen, beim Reservoir Ruggell Quellwasser beizumischen. Leider verfügt die WLU nicht über ausreichend Quellwasser, und die Gegebenheit im Netz lässt zudem ein wirksames Mischen nicht zu. In einem weiteren Schritt wurde der grösste Kunde der WLU vom Netz Schaan versorgt, womit die Mischung im restlichen Netz erneut eine andere Zusammensetzung erfuhr. Das Ergebnis war aus dem Blickwinkel der Versorgersicht jedoch nach wie vor nicht zufriedenstellend. So wurde kurzerhand beschlossen, das Pumpwerk Oberau vom Netz zu nehmen und den gesamten Grundwasserbezug der WLU mit Wasser von Schaan zu ersetzen. Dem Vorsichtsprinzip gehorchend, hat die WLU also umgehend alle erforderlichen Massnahmen getroffen und umgesetzt. Dies alles zur Sicherstellung eines einwandfreien Trinkwassers für unsere Kunden. Dabei haben die Wasserversorger einmal mehr auf die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen der WLU und der GWO gesetzt, die sich seit Jahren beim Ausgleich von Engpässen oder in Havariefällen zwischen den Netzen bewährt.

Hat sich die Massnahme der Beimischung ebenfalls bewährt?
Daniela Wellenzohn-Erne: Ja. Rein rechnerisch kann der Grenzwert mit dem Mischwasser oder durch die Verschiebung der Pumpzeiten durchschnittlich eingehalten werden. Faktisch hingegen konnte im Netz von Ruggell nicht lückenlos und flächendeckend bei allen Kunden zu 100 Prozent garantiert werden, dass die Grenzwerte durch die Beimischung eingehalten werden können. Deshalb ist das Pumpwerk Oberau auch bis heute abgeschaltet. In Balzers hat die Beimischung einwandfrei funktioniert. Der Erfolg der Massnahmen hängt ab vom Betriebszustand, der Quellschüttung, dem Verbrauch und damit vom Wochentag und der Uhrzeit, von der Druckzone, von der Netzstruktur und von der Örtlichkeit.

Bei den Pumpwerken in Balzers und Balzers/Triesen wurde beispielsweise 2021 keine Grenzwertüberschreitung mehr gemessen. Auch bei der WLU zeigen beim Pumpwerk Oberau die Resultate seit Anfang August 2021 gute Werte. Die Ursache hierfür ist allenfalls in den grossen Niederschlagsmengen im Sommer 2021 zu suchen. Diese positive Veränderung hat sich bei der WLU Ende August bestätigt. Es ist nun als nächster Schritt vorgesehen, das Pumpwerk Oberau wieder in Betrieb zu nehmen und am Netz zu lassen, bis allenfalls erneut erhöhte Konzentrationen ein Abschalten erforderlich machen. Die Kontrollen dafür sind sehr engmaschig. Aber nochmals: Das Liechtensteiner Trinkwasser kann überall im Land bedenkenlos konsumiert werden.

Was sagt das zuständige Amt dazu?
Daniela Wellenzohn-Erne: Eine unmittelbare Gesundheitsgefährdung war und ist auch laut dem ALKVW nicht gegeben. Verbraucherinnen und Verbraucher können das Trinkwasser weiterhin unbesorgt konsumieren. Es muss strengsten Qualitätsanforderungen genügen, deren Einhaltung durch die Trinkwasserversorger im Rahmen der Selbstkontrolle regelmässig überwacht wird. Die korrekte Durchführung dieser Selbstkontrolle wird vom ALKVW geprüft und durch amtliche Probenahmen abgesichert. Sind die Anforderungen nicht erfüllt, werden Massnahmen getroffen und, falls nötig, die Bevölkerung informiert – wie wir es hiermit machen. Die zuständigen Personen beim ALKVW stehen auch stets für detaillierte Auskünfte zur Verfügung – genau wie wir Verantwortlichen bei den Liechtensteiner Wasserversorgungen.

Was bedeutet das Ganze für die Zukunft?
Maria Kaiser-Eberle: Da die Ausbringung von Chlorothalonil seit dem 1. Januar 2020 verboten ist, ist davon auszugehen, dass sich die Konzentration der Metaboliten im Grundwasser im Laufe der Zeit weiter reduziert. Ungeachtet dessen wird die Konzentrationsentwicklung aller aktuell analysierbaren Metaboliten von Chlorothalonil weiterhin engmaschig überwacht und in Zusammenarbeit mit den Wasserversorgungen dafür Sorge getragen, dass das Netzwasser auch in Zukunft bedenkenlos konsumiert werden kann. Erfreulich ist, dass die Proben bei den Pumpwerken in Balzers/Triesen seit Jahresbeginn und beim Pumpwerk Oberau seit August 2021 wieder einwandfreie Werte zeigen.

Daniela Wellenzohn-Erne: Die Lösung des Problems war auf jeden Fall anspruchsvoll, und wir sind froh, dass wir sie zeitnah und zufriedenstellend realisieren konnten. Trotzdem gilt: Es werden auch künftig weitere, bislang unbekannte respektive noch nicht nachweisbare Substanzen die Wasserversorger vor grosse Herausforderungen stellen. Ziel der Liechtensteiner Trinkwasserpolitik ist es, die Grundwasserressourcen auch in Zukunft ohne kostenintensive und technisch aufwendige Aufbereitung für die Trinkwassergewinnung nutzbar zu halten.

Maria Kaiser-Eberle: Ein wichtiger Schritt in diese Richtung konnte am 23. Februar 2021 mit der von der WLU bei der Regierung eingeforderten Anpassung der Schutzzonenverordnung für das Pumpwerk Oberau und das projektierte Pumpwerk Spetzau in Ruggell erreicht werden. Künftig dürfen die landwirtschaftlichen Flächen in den von dieser Verordnung umfassten Schutzgebieten nur noch als Naturwiesen genutzt werden. Künstliche Düngemittel, Mist, Gülle und insbesondere Pflanzenschutzmittel dürfen auf diesen Flächen nicht mehr ausgebracht werden. In der Schutzzone für das projektierte Pumpwerk Spetzau ist ausschliesslich biologische Bewirtschaftung zulässig. Auch das engmaschige Monitoring läuft weiter.

Daniela Wellenzohn-Erne: Die generelle Senkung der negativen Folgen zivilisatorischer Umwelteinflüsse muss als gesamtgesellschaftliche Herausforderung angegangen werden. Dies insbesondere auch deshalb, weil im Zuströmbereich der Grundwasserfassungen nach wie vor Pestizide eingesetzt werden dürfen, welche bei einer zukünftigen toxikologischen Neubeurteilung unter Umständen als «relevant» und damit als potenziell gesundheitsschädlich eingestuft werden könnten. Wichtig erscheint mir ebenfalls, zu erwähnen, dass Grundwasserschutz nicht einzig die Pestizidthematik umfasst, sondern auch den Eintrag anderer unerwünschter Substanzen berücksichtigen muss, wie beispielsweise Rückstände aus der Industrie, Medikamentenrückstände oder weitere Rückstände aus Privathaushalten.