Petition: Elternzeit – die liechtensteinische Lösung

Die IG Elternzeit hat sich bei ihrer Gründung 2020 zum Ziel gesetzt, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit entsprechenden Massnahmen im Fürstentum Liechtenstein zu fördern.

Als erste Massnahme hat sich der Verein vorgenommen, eine liechtensteinische Lösung für eine zeitgemässe bezahlte Elternzeit zu entwickeln. Liechtenstein gehört in dieser Hinsicht zu den Schlusslichtern in Europa, weil der politische Wille bisher mehrheitlich fehlte. Nun wird Liechtenstein aufgrund der Vorgaben der EU-Richtlinie 2019/158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates dazu faktisch gezwungen, einen solche Lösung umzusetzen. Durch die Mitgliedschaft im EWR werden wir bis August 2022 eine bezahlte Elternzeit einführen müssen. Weitere allfällige Verpflichtungen, welche sich aus dieser Richtlinie ergeben, insbesondere im Bereich der Pflege, werden in dieser Petition nicht behandelt.

Die IG Elternzeit hat deshalb einen Vorschlag erarbeitet und bittet den Landtag:
Die Regierung damit zu beauftragen, bis zum Ende des Jahres einen Vorschlag zur Einführung einer flexiblen, bezahlten Elternzeit in Abstimmung mit der
EU-Regelung auf Grundlage der „Elternzeit – eine liechtensteinische Lösung“ auszuarbeiten und in die Vernehmlassung schicken.

Die Zeit ist unterdessen relativ knapp bemessen. Die IG Elternzeit hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, im Vorfeld der Ausarbeitung einen möglichst breiten Diskurs mit allen interessierten Personen zu führen, darunter verschiedenen Vertretern von Elterngruppierungen, Gewerkschaften oder Mitarbeitenden des Gesellschaftsministeriums. Dabei ist der nachfolgende Vorschlag entstanden:

Zentral war für die IG Elternzeit bei all ihren Überlegungen das Interesse der Neugeborenen. Weiters sollte ein wirtschaftlich verträglicher und politisch durchsetzbarer Vorschlag resultieren. Bereits schnell zeigte sich, dass ein starres Modell keine Lösung für Liechtenstein sein kann – flexible Familienmodelle werden durch eine flexibel gestaltbare Lösung möglich gemacht. Aus diesem Grund setzt sich der Vorschlag der IG Elternzeit im Wesentlichen aus zwei Blöcken zusammen:

  • Die 1. Phase der Elternzeit (Kennenlernphase) bestehend aus Mutterschutz, Mutterschaftszeit,Vaterschaftszeit und flexibler Elternzeit für den Zeitraum des ersten Jahres nach der
  • Die Phase der Elternzeit (Bindungsphase), bestehend aus Mutterschaftszeit und Vaterschaftszeit und einer unbezahlten flexiblen Elternzeit für den Zeitraum bis zum vierten Lebensjahr des Kindes.

Die grössten Unterschiede der beiden Phasen finden sich im Zeitraum, in welchem die Elternzeit bezogen werdenkann, sowie in der unterschiedlichen Vergütung. Die Elternzeit steht Personen nach der Geburt ihres Kindes oder nach Aufnahme eines nicht mehr als fünfjährigen Kindes zum Zweck der Adoption oder der Pflege offen.

Die erste Phase der Elternzeit, die sogenannte Kennenlernphase, ist im ersten Lebensjahr des Kindes zu beziehen. Der Mutterschutz muss unmittelbar nach der Geburt des Kindes bezogen werden. Sollte die Mutter vor der Geburt gesundheitsbedingt nicht mehr arbeiten können, wird keine Zeit dem Mutterschutz abgezogen, sondern von der Mutterschaftszeit oder der flexiblen Elternzeit. Somit hat die Mutter in jedem Fall zehn Wochen Mutterschutz nach Niederkunft. Bei Frühgeburten oder Neugeborenen mit Krankheiten wird die Zeit der Hospitalisation weder derKennenlernphase noch der Bindungsphase abgezogen.

Die Vaterschaftszeit von zwei Wochen soll anlässlich der Geburt des Kindes genommen werden.

Zusätzlich soll in Zukunft die Möglichkeit bestehen, eine flexible Elternzeit von acht Wochen zu beziehen. Die beiden Elternteile können sich diese Zeit individuell einteilen, müssen diese jedoch zwingend im ersten Lebensjahr des Kindes beziehen. Dadurch, dass die flexible Elternzeit somit nicht am Stück bezogen werden muss, steht esden Elternteilen frei, einer Arbeit auch Teilzeit nach zu gehen, ohne dass damit (wie heute beim Mutterschaftsurlaub leider Usus) Elternzeit verloren geht. Die Kennenlernphase wird mit 80 Prozent des AHV-pflichtigen Lohnes vergütet.

Zur Berechnung der effektiven Gesamtkosten steht leider nur unzureichendes Datenmaterial zur Verfügung (vgl. Bericht und Antrag der Regierung 2020/121, betreffend Finanzierung einer bezahlten Elternzeit). Sie dürften sich aber zwischen CHF 15 und 25 Millionen pro Jahr bewegen.

Die zweite Phase der Elternzeit, die sogenannte Bindungsphase, ist sowohl für das erste Lebensjahr, als auch für die Zeit bis zur Vollendung des vierten Lebensjahres des Kindes gedacht. In dieser stehen jedem Elternteil je acht Wochen bezahlte Elternzeit zur Verfügung, welche nicht übertragbar ist. Diese wird mit 80 Prozent des AHV-pflichtigen Lohnes vor der Geburt des Kindes bis zu einem maximalen Betrag von brutto CHF 4175 pro Monat vergütet.

Zusätzlich steht es den Eltern frei, weitere frei übertragbare 16 Wochen Elternzeit zu beziehen, die allerdings nicht vergütet werden. Die Bindungsphase kann auch nur zu Teilen oder in Teilzeit bezogen werden.

So resultieren unter dem Strich 56 Wochen Elternzeit, wovon 40 Wochen bezahlt werden.

Auch hier gestaltet sich die Berechnung der Gesamtkosten äusserst schwierig. Das liegt einerseits an der dürftigen Datengrundlage (vgl. Bericht und Antrag der Regierung 2020/121, betreffend Finanzierung einer bezahlten Elternzeit). Andererseits ist nicht vorauszusehen, wie viele der anspruchsberechtigten Personen tatsächlich von der Bindungsphase Gebrauch machen werden. Mehrkosten zwischen 5 und 15 Millionen Franken erscheinen realistisch.

Im Zuge der Erarbeitung von möglichen Finanzierungsmöglichkeiten der Elternzeit wurden nachfolgende Quellen beachtet:

● Direkte Steuern (FAK, Krankentaggeld etc.)
● Staatsanteile jährlich festzulegen
● Mehrwertsteuer
● Mögliche neue Steuer oder Steuererhöhung

Die Wahl des Finanzierungssystems hat mögliche Auswirkungen auf die Wirtschaft und kann das makroökonomische Verhalten der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer verändern. Es muss ebenfalls überlegt werden, was für eine Auswirkung das Finanzierungssystem auf die Verteilungswirkung hat.

Das gewählte System sollte dem Gerechtigkeitsprinzip unterliegen.

Eine Finanzierung der Elternzeit über einen gleich hohen Beitrag von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist aus wirtschaftlicher Sicht im Zuge der Vereinbarung von Familie und Beruf der logische Schritt. Aus diesem Grund befürwortet die IG Elternzeit die Einführung einer separaten, eigens dafür vorgesehenen Kasse. Eine Finanzierung aus einer anderen Quelle (Quellensteuer, Krankentaggeld oder ALV-Beitrag) würde die bestehende Finanzierungslogik hinterfragen.

Das würde bei geschätzten Gesamtkosten von 25 Millionen Franken für die Elternzeit in Liechtenstein eine Erhöhung des Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeitrags von gesamt rund 650 Franken pro Arbeitnehmer nötig machen. Das wären für jeden Arbeitnehmer 0,8 Prozent des Lohnes. Dabei würde allerdings der heute aus dem Krankentaggeld finanzierte Mutterschaftsurlaub wegfallen, was zu einer Senkung der Krankentaggeld-Beiträge führen würde. Mit jeder Form einer Querfinanzierung, z.B. aus der Staatskasse oder der Familienausgleichskasse, könnte die Belastung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber minimiert werden.

Eine ausführliche Argumentation findet sich auf www.elternzeit.li.
Für die IG Elternzeit
Der Vorstand, die Petitionäre

Agnolazza-Hoop Stephan
Nägele Lino
Nägele Sarah
Wanner Orlando