3’400 Jahre Geschichte auf 220 m2

Das Freilegen der teilweise zerbrechlichen Skelette erfordert viel Fingerspitzengefühl. Fachkundige Unterstützung vor Ort bietet die Anthropologin Christine Cooper

Im Sommer 2020 führte ein Team der Archäologie am neu entstehenden St. Peterplatz eine Notgrabung durch. Dabei gelang es, dem geschichtsträchtigen Ort weitere Kapitel hinzuzufügen. Mehr als 170 Jahre ist es her, dass im Zentrum von Schaan erste archäologische Spuren entdeckt wurden. In den 1950er Jahren dokumentierten David Beck und sein Team Teile des 57 x 60 Meter grossen römischen Kastells, der frühmittelalterlichen Kirche St. Peter und des zugehörigen Friedhofs.

Mit Bagger und Schaufel
Die Gemeinde Schaan initiierte die komplette Umgestaltung des Bereichs zwischen St. Peter, Obergass und Landstrasse. Durch die rechtzeitige Kontaktaufnahme mit der Archäologie und durch die gute Koordination zwischen Bauherrschaft, Baufirma und Amt für Kultur ergab sich die Chance, eine Notgrabung auf einem nahezu ungestörten Bereich mitten im römischen und mittelalterlichen Siedlungskern durchzuführen. Auf der rund 220 m2 grossen Fläche wurden von Mitte Mai bis Ende August vom Team der Archäologie Spuren menschlicher Aktivitäten aus den letzten drei Jahrtausenden zutage gefördert. Die letzten Baggerarbeiten wurden von der Archäologie bis Mitte September begleitet. Die Ergebnisse der archäologischen Notgrabung können sich sehen lassen.
Letzte Ruhestätte
Die obersten Erdschichten enthielten Überreste von einem oder mehreren Stallgebäuden, die dem Dorfbrand von 1849 zum Opfer fielen. Bereits unmittelbar nach Start der Notgrabung kamen Bestattungen zum Vorschein. Ihre oberflächennahe Lage lässt darauf schliessen, dass im Laufe der Jahrhunderte beträchtliche Erdabtragungen stattgefunden haben. Insgesamt wurden 28 Gräber und hunderte von Streuknochenfragmente dokumentiert. Die Verstorbenen wurden in einfachen Erdgruben, die teilweise mit einer Steinreihe eingefasst waren, bestattet. Hölzerne Särge sind nicht nachgewiesen. Die gestreckte Rückenlage der Skelette, die parallele Armhaltung neben dem Körper oder die leicht über dem Becken angewinkelten Arme und die Orientierung mit Kopf im Osten ist typisch für das frühe und hohe Mittelalter. Weitere Hinweise auf die Datierung liefern Teile von Gürtelgarnituren, ein Knochenkamm und das Fragment eines Hiebschwerts (Sax).
Zwei für die 14C-Analysen ausgewählte Gräber datieren in das 8. und das 10.
Jahrhundert n. Chr. Die Bestattungen waren Teil eines früh- und hochmittelalterlichen Friedhofs, der möglicherweise bis auf die Gründungszeit des Kirchenbaus zurückreicht. Die Kapelle St. Peter mit dem zugehörigen Baptisterium (Taufbecken) ist vermutlich eine der ältesten Kirchenbauten Liechtensteins. Sie entstand im 5./6. Jh. n. Chr. in der Nordostecke des ehemaligen römischen Kastells, unmittelbar auf dessen Grundmauern.
Römer und älter
Zahlreiche Pfostengruben, Scherben von Terra Sigillata (Feinkeramik), Fragmente von Dachziegeln und ein spätantiker Bleisenker eines Fischernetzes sind Zeugen der römischen Besiedelung in der Zeit vom 1. bis 3. Jahrhundert. Lange bevor sich aber die Römer an diesem Ort ansiedelten, liessen sich hier rund ein Jahrtausend vor ihnen Menschen in der Bronzezeit und in der frühen Eisenzeit nieder. Erhalten aus dieser Zeit sind einige Brand- und Abfallgruben, Keramikscherben und einige wenige Metallobjekte. Ein Highlight ist der Fund einer spätbronzezeitlichen Sichel – die erste dieser Art, die aus Liechtenstein bekannt ist. Eine fast ebenso alte, bronzezeitliche Grube unbekannter Funktion enthielt Holzkohle aus dem 14./13. Jahrhundert v.Chr. In einer weiteren flachen Mulde wurden im 6./5. Jahrhundert v.Chr. zwei junge Ziegen deponiert – die Reste eines kleinen Festmahls? Insgesamt spannen somit die Funde und Befunde einen Bogen von über 3400 Jahren faszinierender Kultur- und Siedlungsgeschichte und Schaan ist um weiteren Mosaikstein der Geschichte reicher.