«Mehrheitswechsel sind nicht aussergewöhnlich»

Wilfried Marxer, Forschungsleiter Politik am Liechtenstein-Institut.

Der Schlagabtausch um die besseren Argumente und für die besseren Resultate bei Landtagswahlen vom kommenden Februar ist nach dem vergangenen Abstimmungssonntag endgültig eröffnet. Wilfried Marxer, Forschungsleiter Politik am Liechtenstein-Institut, äussert sich im Interview zu den möglichen Auswirkungen der Abstimmungen, den Chancen der Oppositionsparteien, zum Duell der beiden Koalitionspartner und zu weiteren Themen.

Was werden Ihrer Einschätzung nach die bestimmenden Themen im Wahlkampf für die Landtagswahlen vom 7. Februar sein?
Wilfried Marxer: Jede Partei wird sicher versuchen, ihre bevorzugten Themen und ihre spezifische Kompetenz in den Vordergrund zu rücken. Dabei kommt es in der Regel jedoch nicht zu einer Zuspitzung auf wenige Schlüsselthemen und es wird mitunter sogar versucht, kontroverse Themen zu umschiffen, um keine Wählerinnen und Wähler zu vergraulen. Die kleineren Parteien treten meist etwas akzentuierter auf, es ist aber fraglich, ob sie es schaffen, ihre Anliegen zu den bestimmenden Themen in der öffentlichen Debatte werden zu lassen. Neben den Wahlkampfthemen spielen die Kandidatinnen und Kandidaten im liechtensteinischen Wahlkampf eine grosse Rolle, seien dies die Landtagskandidaten auf den Stimmzetteln oder die Personen, die für Regierungsaufgaben vorgeschlagen werden.  

Welchen Einfluss haben die drei Abstimmungen vom 30. August beziehungsweise haben sie überhaupt einen?
Erfahrungsgemäss haben Volksabstimmungen keinen sehr grossen Einfluss auf Landtagswahlen. Viele stimmen in einer Volksabstimmung anders ab, als es die Partei empfiehlt, und wählen danach trotzdem wieder diese Partei. Die traditionellen Parteibindungen nehmen zwar auch in Liechtenstein tendenziell ab, sind aber nach wie vor recht ausgeprägt. Wegen der direktdemokratischen Rechte kann man ja seinen Willen in Volksabstimmungen äussern, sodass die Wahlen nicht unbedingt für eine  Abrechnung oder eine Richtungsentscheidung in einer Sachfrage genutzt werden müssen. 

Grüne Parteien mit ökologischen Themen sind fast überall in Europa auf dem Vormarsch. Kann die Freie Liste davon profitieren und welche ihrer Themen sind es, die besonders anziehend wirken könnten?
Die Corona-Pandemie hat ökologische Fragen – zum Beispiel den Klimaschutz – in den vergangenen Monaten etwas aus der öffentlichen Debatte verdrängt. Man sieht allerdings, dass vielerorts staatliche Krisenausgaben an ökologische Bedingungen geknüpft werden. Und trotz Corona sind die Natur- und Umweltprobleme natürlich nicht verschwunden und könnten in den nächsten Monaten wieder stärker in den Fokus rücken.

Auf dem Vormarsch waren auch die Unabhängigen (DU) bei den letzten Landtagswahlen. Bis vor zwei Jahren der grosse Knall mit der Parteispaltung kam. Welchen Einfluss haben diese und die fortdauernden Grabenkämpfe auf den Wahlkampf von DU und DpL?
Zunächst müssen beide Parteien, wie die anderen Parteien auch, Kandidatinnen und Kandidaten in den beiden Wahlkreisen rekrutieren. Da treten DU und DpL bereits als Konkurrenten auf. Vor der Spaltung erreichte DU bei den Wahlen 2017 18,4 Prozent der Stimmen. Um überhaupt in die Mandatsverteilung zu gelangen, muss eine Partei landesweit mindestens acht Prozent der Stimmen gewinnen. Wegen der Parteispaltung kann diese Sperrklausel mitunter relevant werden, da die beiden Parteien in etwa die gleiche Wählerklientel ansprechen. Die S-Bahn-Abstimmung kann diesen beiden Parteien allerdings auch Auftrieb geben.

Denken Sie, dass beide Parteien bei den anstehenden Landtagswahlen antreten werden?
Momentan ist davon auszugehen, dass beide Parteien antreten werden. Aber bis zur Einreichung der Wahlvorschläge vergeht ja noch einige Zeit.

«Erfahrungsgemäss haben Volksabstimmungen keinen sehr grossen Einfluss auf Landtagswahlen.»

Welche Ergebnisse trauen Sie den beiden Parteien DU und DpL zu?
Das Potenzial wurde 2017 eindrücklich aufgezeigt. Wenn dies wieder ausgeschöpft oder sogar vergrössert wird und sich gleichmässig auf beide Parteien aufteilt, wären beide wieder im Landtag vertreten. Neben den programmatischen Positionen wird es sicher von grosser Bedeutung sein, mit welchen Kandidatinnen und Kandidaten DU und DpL bei den Landtagswahlen antreten – und welche Wählergruppen überhaupt zu den Wahlen antreten. 

Wo verorten Sie die beiden Parteien im Spektrum und wie unterscheiden sie sich oder werden sie versuchen, sich zu unterscheiden?
Wie sich die beiden Parteien in ihren Wahlprogrammen präsentieren werden, wissen wir heute noch nicht. Aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit wie auch der Positionen in diversen Sachfragen – nicht zuletzt auch bei den Volksabstimmungen vom vergangenen Sonntag – zeigt sich eine grosse programmatische Schnittmenge zwischen diesen beiden Parteien. Abstimmungsumfragen zeigen zudem, dass sich die Anhängerschaft von DU und DpL nicht wesentlich unterscheidet. Die Wählerschaft dieser  beiden Gruppierungen verortet sich auf dem Links-Rechts-Spektrum im Durchschnitt moderat rechts von der Mitte mit klar elite- und regierungskritischer Grundhaltung.

Profilieren müssen sich sicher auch die beiden grossen Volksparteien VU und FBP, denen zuweilen vorgeworfen wird, sich nur durch die Köpfe zu unterscheiden. Was werden deren bestimmende Wahlkampfthemen sein?
In der Regel findet sich in den Wahlprogrammen ein breiter Themenmix, um eine möglichst grosse Wählerschaft anzusprechen – Wirtschaft, Soziales, Umwelt, Bildung, Kultur, Verkehr, Gesundheit, Alter, Jugend und anderes. Ob dabei einige Themen besondere Aufmerksamkeit finden, bleibt abzuwarten. Jede Partei wird natürlich versuchen, Themen in den Vordergrund zu schieben, in denen sie als besonders kompetent wahrgenommen wird. FBP und VU zehren natürlich auch von der Tradition als staatstragende Parteien mit Regierungsverantwortung, was auch mit Kontinuität und Stabilität assoziiert wird.

Wie haben sich die Koalition beziehungsweise die Regierungsräte der Koalitionsparteien VU und FBP Ihrer Ansicht nach in der Corona-Krise geschlagen und hat deren Arbeit die beiden Parteien eher gestärkt?
Krisen gelten ja als Chance für die Exekutive, um Stärke und Entschlossenheit zu zeigen. Umfrageergebnisse zeigen, dass die liechtensteinische Regierung bezüglich des Verhaltens in der Corona-Krise relativ positiv bewertet wird und die getroffenen Massnahmen weitgehend akzeptiert und begrüsst werden. Dabei haben sich die beiden Regierungsparteien auch nicht auseinanderdividiert, sondern sind geschlossen aufgetreten. Das Verhalten in der Corona-Krise ist aber noch keine Garantie für einen Wahlerfolg.

Inwiefern könnte das parteiinterne Vorgehen um die Absetzung von Regierungsrätin Aurelia Frick im Juli 2019 einen Einfluss auf das Ergebnis der FBP haben?
Es ist kaum möglich, das Wahlergebnis von Parteien auf einen einzelnen Faktor zurückzuführen, zumal es sich im Falle der FBP um ein weitgehend neues Regierungsteam handelt. Der Blick in die Vergangenheit zeigt zudem, dass seit 1970 nur die VU in der Zeit von 1978 bis 1993 mit Regierungschef Hans Brunhart länger als zwei Mandatsperioden den Regierungschef und die Mehrheit in der Regierung stellte. Mehrheitswechsel sind somit in Liechtenstein nicht aussergewöhnlich. Das Ergebnis der FBP, egal wie es ausfällt, wird viele Ursachen haben. Mit der Regierungschefkandidatin Sabine Monauni kontert die FBP zudem aktiv den Vorwurf, frauenfeindlich zu sein. 

Gegen die Newcomerin Sabine Monauni wird Daniel Risch als Chefkandidat antreten. Sehen Sie dies als Vorteil für Risch und die VU?
Das ist nicht zwingend so. 1993 löste beispielsweise der Newcomer Markus Büchel (FBP) Regierungschef Hans Brunhart nach dessen 15-jähriger Amtszeit als Regierungschef ab. Es zeigt sich allerdings, dass der Sprung vom Vizeregierungschef zum Regierungschef häufig gelingt. Dies war bei Alfred Hilbe (VU) 1970 der Fall, bei Walter Kieber (FBP) 1974, bei Hans Brunhart (VU) 1978, bei Mario Frick (VU) im Herbst 1993 und bei Klaus Tschütscher (VU) 2009. Teilweise wurde dabei der amtierende Regierungschef aus dem Rennen geworfen, teilweise trat der amtierende Regierungschef nicht mehr an, wie dies aktuell auch bei Adrian Hasler der Fall ist. Der Sprung vom Vize zum Regierungschef gelingt allerdings nicht immer.

Wagen Sie eine Prognose in Bezug auf die Mandatsverteilung der Legislaturperiode 2021 bis 2025?
Nein. Wir wissen ja noch nicht einmal, welche Wählergruppen überhaupt antreten werden.

«Krisen gelten als Chance für die Exekutive, um Stärke und  Entschlossenheit zu zeigen. Umfrageergebnisse zeigen, dass die liechtensteinische Regierung bezüglich des Verhaltens in der Corona-Krise relativ positiv bewertet wird.»