DJ-Kurse statt Lottomatches – Bedürfnisse ändern sich

Zentraler Ansprechpartner für verschiedenste Arten von altersbedingten Fragen: Jakob Gstöhl.

Seit rund drei Jahren führt Jakob Gstöhl die Informations- und Beratungsstelle Alter (IBA) des Seniorenbunds. Trotz seines jungen Alters hat er sich während des Studiums in Sozialer Arbeit für die Gerontologie, also die Alterskunde, als Schwerpunkt entschieden. Bis heute ist er glücklich über diese Wahl und Liechtensteins Senioren profitieren von seinen innovativen Ideen. 

Herr Gstöhl, Sie sind erst 31 Jahre alt. Auf den ersten Blick überraschend für einen IBA-Leiter. Warum haben Sie sich für diese Stelle beworben?
Jakob Gstöhl:
Mein Interesse an der Gerontologie hat sich in den vergangenen rund zehn Jahren stetig verfestigt. Ich bin damals aus Eschen nach Berlin gezogen, um Soziale Arbeit zu studieren. Fast gleichzeitig musste meine Grossmutter altersbedingt ins LAK-Haus St. Martin in Eschen ziehen. Für sie war dies ein längerfristiger Prozess und mit einigen gerade emotionalen Herausforderungen verbunden. Ich denke, keinem älteren Mitbürger fällt es leicht, sein Heim aufzugeben, in dem er während Jahrzehnten gelebt und seine Kinder aufgezogen hat. Gleichzeitig stellt sich die Frage, was man aus einem grossen Haus in ein Zimmer im Altersheim mitnehmen kann und was man zurücklassen muss. Solche Fragen beschäftigten auch meine Grossmutter. Das hat mein ohnehin vorhandenes Interesse an sozialen Arbeitsbereichen auf den Schwerpunkt der Gerontologie gelenkt. Der allergrösste Teil meiner Kommilitonen entschied sich für andere sozialwissenschaftliche Bereiche wie die Jugend- oder Familienarbeit oder die therapeutische Unterstützung von Suchtkranken. Endgültig das Feuer in mir entfacht hat ein Feldforschungsprojekt während des Studiums in einem interkulturellen Seniorentreff. Ich habe die sozialen Begegnungen untersucht, den Gästen sehr viel zugehört. Dabei habe ich erlebt, wie die Interaktion sie auch bei bedrückenden Themen entlastet und erleichtert hat. Nach dem Studium habe ich noch drei Jahre in Berlin in einem Pflegeheim und in einem Krankenhaus im Sozialdienst gearbeitet. Dann wurde aber der Wunsch immer stärker, nach Hause zurückzukehren, wo ich die Strukturen und die Mentalität der Leute bestens kenne und wo meine Eltern hoffentlich auch einmal glücklich alt werden dürfen. Lange Rede kurzer Sinn: Ich wollte in Liechtenstein ebenfalls in der Gerontologie arbeiten. Die IBA kannte ich natürlich bereits, die Stelle hat mich interessiert und ein Jahr später war deren Leitung ausgeschrieben. Ich habe mich beworben, bin seit November 2017 dort tätig und sehr glücklich über die damalige Zusage durch den Seniorenbund.

Welche Schwerpunkte setzen Sie seither in Ihrer Arbeit?
Natürlich habe ich die laufende und erfolgreiche Arbeit meines Vorgängers weitergeführt. Ich wollte aber auch eigene Akzente setzen. In Absprache mit dem Vorstand des Seniorenbunds habe ich den Fokus daher noch stärker auf die Informations- und Beratungstätigkeit gelegt und weniger auf das Organisieren von Ausflügen und anderen Anlässen. Ein grosses Thema war und ist beispielsweise die Digitalisierung für Senioren. Das fängt im Kleinen an, dass beispielsweise ein Pensionist bei mir anruft und mich fragt, welches Smartphone seniorentauglich ist. Ich habe aber zusammen mit Freiwilligen auch Treffs organisiert, an welchen die älteren Mitbürger ihre Fragen stellen konnten und im Oktober haben wir, natürlich unter Einhaltung eines umfassenden Schutzkonzepts, einen Anlass im Technopark in Vaduz, an welchem auch Experten der Telecom Liechtenstein beteiligt sind und Ratschläge geben. Das Interesse der Senioren an der Nutzung moderner Medien ist gross und manche haben keine Angehörigen, die sie fragen können oder ihre Kinder leben weiter weg. Daher werden solche Angebote sehr geschätzt. Ganz allgemein richte ich die Schwerpunkte der Beratungstätigkeit an den Bedürfnissen der Senioren aus, die ich in vielen Gesprächen erfahre.

Ich möchte aber noch betonen, dass die IBA weiterhin Ausflüge und Reisen, auch für weniger mobile Senioren, organisiert. Das ist ein zentraler Aspekt des sozialen Lebens vieler älterer Mitmenschen. Wir haben das Angebot einfach ein wenig zurückgefahren, da ja auch noch andere Organisationen in diesem Bereich tätig sind.

Können Sie ein paar weitere Bereiche nennen, in denen Sie sich für die Anliegen der Senioren einsetzen oder ihnen beratend zur Seite stehen?
Diese hängen wirklich oft mit dem technologischen Fortschritt zusammen. So setze ich mich dafür ein, dass die Verwaltungen neben allen Vorteilen, welche Online-Services bieten, die Schalterdienste nicht abschaffen. Gerade Senioren schätzen diese Angebote. Die Gemeinden und das Land sehen das aber zum Glück genauso. Unterstützung bieten wir beispielsweise auch beim Lösen der Spartickets von ÖBB und SBB. Das geht heutzutage fast nur noch im Netz. Dies zeigt wiederum, wie wichtig Kenntnisse der neuen Medien auch zum Sparen von Geld sein können. Auf der Informationsebene wiederum habe ich die corona-bedingt ruhigere Zeit genutzt, das Seniorenhandbuch, einen Ordner, in dem thematisch geordnet viele Anliegen der Liechtensteiner Senioren behandelt werden, komplett neu zu gestalten. Dieses Handbuch ist übrigens in Bälde in unserer Geschäftsstelle an der Austrasse 13 in Vaduz erhältlich.

Das Interesse der Senioren an der Nutzung moderner Medien ist gross und manche haben keine Angehörigen, die sie fragen können oder ihre Kinder leben weiter weg. Daher werden solche Angebote sehr geschätzt. 

Jakob Gstöhl, IBA-Leiter

Dass die geburtenstarken Jahrgänge in absehbarer Zeit ins Rentenalter kommen und der Betreuungsbedarf in einigen Jahren deutlich zunehmen wird, ist bekannt. Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Gesellschaft in Zusammenhang mit dem demographischen Wandel zukommen und wie begegnet die IBA diesen?
Seit einiger Zeit führen wir beispielsweise einmal pro Jahr einen Kurs zur Vorbereitung auf die Pension durch. Diese Kurse möchten wir ab dem ersten Halbjahr 2022 bekannter und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Erste Gespräche mit bisherigen sowie potenziellen neuen Referenten habe ich bereits geführt und Überlegungen zur Methodik angestellt. Ausserdem arbeite ich an einer Ratgeberbroschüre, die sich dem gleichen Thema widmet. Der Übertritt in die Pension ist idealerweise ein geplanter Prozess und diesen Prozess begleiten wir in der IBA gerne. Unter anderem, aber lange nicht ausschliesslich, geht es darum, Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung aufzuzeigen. Zum Beispiel werden wir neu Boccia und je nach Nachfrage auch Tennis für Senioren anbieten. Natürlich machen das Vereine auch. Aber die Hemmschwelle ist für manche geringer, wenn die Teilnahme nicht mit einer Clubmitgliedschaft verbunden ist. Ich betone auch immer wieder, dass sich die Ansprüche der Senioren ändern. Dabei geht es nicht um Trendsportarten, aber mit Lottomatches beispielsweise können die wenigsten der jüngeren Senioren noch etwas anfangen. Stattdessen könnte ich mir einen DJ-Workshop vorstellen, bei dem die Teilnehmer auch ihre alten Schallplatten mitbringen. Ich denke, solche oder ähnliche Angebote sind bei der IBA genau richtig angesiedelt.

Was waren überhaupt die Beweggründe des Seniorenbunds hinter der Gründung der IBA im Jahr 2008?
Der Vorstand des Seniorenbunds hat damals festgestellt, dass das Bedürfnis nach einer zentralen Anlaufstelle für verschiedenste Arten von altersbedingten Fragen steigt. Es handelte sich beispielsweise um Fragen rund um das Wohnen und den Erhalt der Selbständigkeit im Alter oder um solche finanzieller Natur. Die gleiche Erfahrung haben das damalige Regierungsressort Soziales und heutige Gesellschaftsministerium sowie das Amt für Soziale Dienste gemacht. Der Seniorenbund hat den Ball aufgenommen und die IBA gegründet. Wir werden daher auch von der öffentlichen Hand finanziell unterstützt, sodass wir unsere Beratungen unentgeltlich anbieten können. Für Ausflüge und Reisen müssen wir aber natürlich einen Beitrag von den Teilnehmern verlangen.

Wenn Sie das Wohnen und Leben im Alter ansprechen: Wie ist es darum bestellt?
Der Bedarf an barrierefreien, seniorengerechten Wohnungen ist ganz klar vorhanden. Einige Gemeinden bieten solche Wohnungen an und müssen vielfach Wartelisten führen. Ich freue mich aber auch über andere Ansätze wie die LEA-Förderung der Gemeinden Ruggell, Gamprin und Schellenberg. LEA steht für «living every age» und unterstützt Bauherren beim barrierefreien Bau oder Umbau von Immobilien finanziell. Solche Angebote sollten Schule machen, vor allem aber auch bekannter werden. Einen Teil meiner Aufgabe sehe ich daher in der Medienarbeit. Das Problem dabei ist, dass ich natürlich einen Artikel über das Leben im Alter und eingeschränkte Mobilität schreiben kann und dies auch mache. Junge, aktive Senioren lesen aber nur «Alter» oder «eingeschränkte Mobilität» und blättern weiter. Schliesslich fühlen sie sich nicht alt oder sind nicht eingeschränkt. Wenn es dann aber plötzlich soweit ist und eine barrierefreie Wohnung nötig wird, haben viele keine Vorbereitungen getroffen, und es muss schnell gehen mit dem Organisieren. Vorsorgen wäre da selbstverständlich der bessere Weg. Die Gemeindeverantwortlichen, Vorsteher wie Liegenschaftsverwalter, sehen dies auch und haben ein gutes Gespür. Ich bin daher gespannt, wie die weitere Entwicklung im Bereich des Wohnens aussehen wird. Ich muss aber auch sagen, dass immer mehr Einwohnerinnen und Einwohner die Vorteile des barrierefreien Bauens und Umbauens erkennen und entsprechend handeln. Denn dass der Bedarf steigt, steht ausser Frage.

Ein weiterer Aspekt des Wohnens, mit dem ich mich beschäftige, ist das betreute Wohnen für Senioren, die zum Beispiel aufgrund von Einsamkeit einer Depression verfallen sind, die aber körperlich noch gut in der Lage sind, alleine zu leben und für die ein LAK-Haus der falsche Ort wäre. Ich werde diese Idee weiterverfolgen und das Gespräch mit möglichen Anbietern suchen. Die Arbeit wird uns jedenfalls nicht ausgehen. Es reizt mich sehr, den immer neuen Herausforderungen zu begegnen und am besten gemeinsam mit Seniorinnen und Senioren mögliche Antworten zu suchen.