Eine gute Freundschaft – auch mit Ecken und Kanten

Unter dem Titel «Liechtenstein und die Schweiz: Eine gute Freundschaft, auch mit Ecken und Kanten» – hat die Stiftung Zukunft.li ihre neueste Studie verfasst, welche einerseits die engen wirtschaftlichen Beziehungen und die langjährige freundschaftliche Verbundenheit der beiden Staaten hervorhebt und andererseits aber auch die gelegentlich auftauchenden Misstöne in einigen Bereichen durchaus in den Raum stellt. Die Studie entstand in Zusammenarbeit mit verschiedenen Experten der behandelten Fachbereiche. Die Verfasser der Publikation sind Thomas Lorenz, Peter Beck und Peter Eisenhut. 

Die Beziehungen zwischen Liechtenstein und der Schweiz – seit bald 100 Jahren über den Zollvertrag gefestigt – sind gut, aber auch kompliziert. Dies, weil die beiden Länder über diverse weitere Verträge eng verflochten sind. So schreiben die Autoren, dass dieses Naheverhältnis durch unterschiedliche Ansätze in der europäischen Integration herausgefordert werde. Denn die gemeinsame EFTA-Mitgliedschaft, die EWR-Mitgliedschaft Liechtensteins und die bilateralen Abkommen EU-Schweiz hätten unterschiedliche Rechte und Pflichten geschaffen. Das spezielle Verhältnis zwischen den beiden Ländern, zeigt sich an vier von den Autoren ausgewählten Bereichen. Darin wird die Komplexität sichtbar. Es werden Chancen und Risiken beleuchtet sowie Lösungsansätze zu einer Verbesserung in einzelnen Bereichen aufgezeigt.

Grenzüberschreitende Dienstleistungen (GDL)
Ein Bereich, der im Verlauf der letzten Jahre besonders hitzig diskutiert wurde, ist das Feld der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Über Jahrzehnte konnten Firmen aus Liechtenstein und der Schweiz uneingeschränkt im jeweils anderen Staat tätig sein, Bewilligungs- und Meldepflichten existierten nicht. Das änderte sich sozusagen von einem Tag auf den anderen, als die Schweiz im Jahre 2002 mit der Europäischen Union das Personenverkehrsabkommen abschloss und die nationale Umsetzung mit flankierenden Massnahmen begleitete. Plötzlich herrschten strikte Bedingungen, die zumindest auf Schweizer Seite engmaschig kontrolliert wurden, wie die Autoren festhalten. Die Liechtensteiner Gewerbetreibenden wehrten sich gegen die nach ihrer Meinung nachteiligen Schweizer Regelungen. Der Protest gipfelte im April 2016 in einer Kundgebung auf dem Peter-Kaiser-Platz in Vaduz für «gleich lange Spiesse». Die Regierungsverhandlungen mit Bern und St. Gallen brachten keine Fortschritte, worauf die Regierung ein Massnahmenpaket verabschiedete, mit dem auch hierzulande die Hürden für Dienstleister aus der Schweiz erhöht wurden. Obwohl man weder in der Schweiz noch in Liechtenstein zufrieden mit der Lösung war, begründete die Schweiz ihre rigorose Haltung mit dem Argument, «dass für alle EWR- und EU-Staaten dieselben Regeln zu gelten hätten». Zukunft.li ging nun diesem Sachverhalt auf den Grund. Und das Ergebnis lässt aufhorchen. Denn das für die Studie in Auftrag gegebene fundierte Rechtsgutachten der Schweizer Europarechtsexpertin Christa Tobler kommt zum Schluss: «Wenn auf beiden Seiten politischer Wille vorhanden ist, besteht Spielraum für Lösungen, die den ursprünglichen, marktoffenen Zustand wiederherstellen und mit den staatsvertraglichen Regelungen der Schweiz mit der EU konform sind.» 

Sektor Gesundheit
Der nächste Bereich widmet sich dem Sektor Gesundheit. Auch dort sind in den letzten Jahren Hürden aufgebaut worden, die für diverse Berufsgruppen zu einem echten Ärgernis geworden sind. Die Gesundheitssysteme der beiden Länder sind sehr ähnlich. Liechtenstein hat Tarifsysteme und Medikamentenpreise aus der Schweiz übernommen und die Schweizer Spitäler erbringen einen wesentlichen Teil der Spitalbehandlungen liechtensteinischer Patienten, halten die Autoren fest. Man könnte also davon ausgehen, dass auch im ambulanten Bereich ein enger Austausch herrsche. Dem ist aber nicht so. Aus Angst vor einer Mengenausweitung führte Liechtenstein 2004 eine Bedarfsplanung ein und beschränkte damit den Zugang für Liechtensteiner Patienten zu Schweizer Ärzten deutlich. Das wiederum führte dazu, dass Schweizer Krankenkassen nur noch die Leistungen von Liechtensteiner OKP-Ärzten vergüten, den Zugang zu anderen Leistungserbringern wie Physiotherapeuten, Apotheken oder Labordienstleistern jedoch erschweren. Die Studie kommt zum Schluss, dass eine gemeinsame, grenzüberschreitende Bedarfsplanung im ambulanten Bereich dann möglich wird, wenn die Kantone die ambulanten Gesundheitskosten mitfinanzieren und dadurch auch stärker bei der ambulanten Bedarfsplanung mitbestimmen können. Entsprechende Diskussionen würden derzeit auf politischer Ebene in der Schweiz stattfinden. Da bereits heute auf Schweizer Seite gewisse Fachärzte und andere Gesundheitsdienstleistungen Mangelware sind, könnte sich dann das Fenster für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Liechtenstein und seinen Nachbarkantonen wieder öffnen.

Sektor: Währung und Finanzmarktinfrastruktur
Der Währungsvertrag mit der Schweiz ist neben dem Zollvertrag ebenfalls von grosser Bedeutung. Die Einführung des Schweizer Frankens im Mai 1924 hat die wirtschaftliche Entwicklung Liechtensteins ohne Zweifel begünstigt. Dass der Schweizer Franken in Liechtenstein die Landeswährung ist, hinterfragt kaum jemand. Allerdings sind Liechtensteins Banken zwingend auf den Zugang zur Schweizer Finanzmarktinfrastruktur angewiesen. Das ist alles andere als gewöhnlich, denn Liechtenstein ist als EWR-Mitglied der Finanzmarktregulierung der EU unterstellt, während die Schweiz für die EU als Drittland gilt. Wie die Studienautoren festhalten, gelingt Liechtenstein ein Spagat, der in Europa einzigartig ist. Doch kann dies langfristig gut gehen? Es muss, denn es gibt es keine realistische Alternative, wie die Studie zeigt. Zwar sei der Zugang zur Schweizer Finanzmarktinfrastruktur nicht gratis zu haben und mit gewissen Risiken verbunden, doch eine eigene Geld- und Währungspolitik zu betreiben, wäre schlicht nicht grössenverträglich. 

Steuern: Eingeschränkte finanzpolitische Souveränität
Ebenfalls nicht gratis zu haben ist die Integration Liechtensteins ins schweizerische Zollgebiet. Damit gibt unser Land einen erheblichen Teil seiner Hoheitsrechte – nämlich die Einhebung von Zöllen – an die Schweiz ab. Auch andere Steuern und Abgaben kommen durch diese Verflechtung in Liechtenstein zum Tragen. Wie die Studie zeigt, hängen rund 40 Prozent der Steuereinnahmen des Landes von Schweizer Regelungen ab und können damit nicht direkt von der Liechtensteiner Politik beeinflusst werden. Der Zollvertrag ist damit ein massiver Einschnitt in die Souveränität des Landes – aber, wie die erfolgreiche Entwicklung zeigt, am Ende ein absolut lohnenswerter, für beide Seiten.