Fast jedes zweite Liechtensteiner Unternehmen hat in der Corona-Krise von den Hilfsmassnahmen des Staats profitiert. Für das Amt für Volkswirtschaft (AVW), das für die Behandlung der meisten Anträge auf finanzielle Unterstützung und für die Auszahlung der Gelder verantwortlich ist, waren die vergangenen Monate eine herausfordernde Zeit. Amtsleiterin Katja Gey ist äusserst zufrieden mit dem Einsatz ihrer Mitarbeiter und sie blickt optimistisch in die Zukunft.
Frau Gey, Corona hat fast alle und fast jeden in irgendeiner Weise getroffen. Aus unternehmerischer Sicht setzten viele Betroffene ihre Hoffnungen in die Hilfsmassnahmen des Staats und damit in zweiter Linie ins AVW. Wie haben Sie als dessen Leiterin diese Zeit bisher erlebt?
Katja Gey: Wie jede Krise hatte sich auch diese schon einige Wochen zuvor vorsichtig angekündigt. Sie kam dann aber doch ganz plötzlich und in einem unerwarteten Ausmass auf uns zu. Nicht nur unser Leben, sondern auch unsere Arbeit im AVW hat sich quasi über Nacht grundlegend verändert. Der Start war heftig und es ist auch jetzt noch sehr anspruchsvoll. Das AVW ist auf allen Ebenen gefordert. Wir haben bei der Konzeption der Massnahmen in der Task Force Wirtschaft der Regierung federführend mitgewirkt. Nachdem Regierung und Landtag die Massnahmenpakete und die einzelnen Massnahmen beschlossen hatten, war das AVW für die organisatorische und technische Umsetzung verantwortlich. Die Planung und Organisation war zu Beginn die grösste Herausforderung. Unsere bisherige Organisation haben wir auf den Kopf gestellt und den neuen Prioritäten angepasst. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben seither ein unglaubliches Pensum zu bewältigen. Einige haben in dieser Zeit neue Aufgaben übernommen und sich um die Unterstützungsleistungen für Selbständige gekümmert. Andere haben ihr bisheriges Teilzeitpensum befristet erhöht. Unterstützt haben uns auch Mitarbeiter anderer Amtsstellen oder auch die Kurstrainer unserer Stellensuchenden, nachdem wir den Betrieb vorübergehend einstellen mussten. Und schliesslich haben wir einige externe Mitarbeitende beigezogen. Es war beeindruckend zu sehen, wie das Team so schnell und unter so schwierigen Umständen zusammen gefunden hat. Es haben alle ganz unkompliziert zusammengearbeitet, sich gegenseitig unterstützt. Gerade in der ersten Zeit ab Mitte März, als die Covid19-Verordnung in Kraft getreten ist und die Betriebe von heute auf morgen schliessen mussten, waren viele Unsicherheiten vorhanden. Wochen später nahmen Existenzängste vieler Betroffener zu. Alle, die in dieser Zeit unsere Hotline betreuten oder die Anträge bearbeiteten, waren stark gefordert. Ich habe grossen Respekt vor der Leistung und vor dem Engagement all meiner Mitarbeiter. Sie haben ihre Aufgaben mit Kompetenz, Ruhe und viel Verständnis bewältigt.
Für welche Bereiche der Corona-Hilfsmassnahmen war das AVW zuständig?
Bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) wurde der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung erweitert bzw. für Corona-bedingte Arbeitsausfälle erst ermöglicht. Das war ein ganz wichtiger Schritt für KMU und auch die grossen Industriebetriebe. Die ALV ist wie bisher neben der Arbeitslosenentschädigung auch für die Insolvenzentschädigung bei Konkursen zuständig. Bisher gab es glücklicherweise noch nicht viele Corona-bedingte Konkurse. Wir müssen aber mit einer Zunahme rechnen. Das Gleiche gilt für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die jetzt schon gestiegen ist und bei knapp über zwei Prozent liegt. Unser Ziel ist es, die Stellensuchenden so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Auch wenn es 25 Prozent weniger offene Stellen gibt als im Vorjahr, funktioniert unser Arbeitsmarkt immer noch gut und ist dynamisch. Ausserdem ist das AVW zuständig für die Unterstützung von Selbständigen, das heisst für Einzel- und Kleinstunternehmen, die entweder unmittelbar von den Betriebsschliessungen betroffen waren, wie beispielsweise Gastwirte und Frisöre, oder mittelbar Betroffene wie Taxifahrer, Fotografen und Dienstleister ohne Ladengeschäft. Auch die Betriebskostenzuschüsse für Unternehmen fallen in die Zuständigkeit des AVW. Bei den weiteren Leistungen wie dem COVID-19-Taggeld und den Beiträgen an Kultur-, Sport und Bildungsinstitutionen sowie den Medien veranlassen wir nur die entsprechenden Auszahlungen. So haben wir auch den Gesamtüberblick über die laufenden Ausgaben des Wirtschaftspakets.
Wie viele Anträge wurden in Zusammenhang mit den Hilfspaketen 1 bis 2.5 gestellt?
950 Unternehmen haben insgesamt rund 11‘000 Mitarbeiter zur Kurzarbeit vorangemeldet. In den letzten Jahren konnten wir Anträge auf Kurzarbeit an einer Hand abzählen, oder vielleicht an zwei. Etwa 1000 Unternehmer haben einen Antrag auf Unterstützung für unmittelbar betroffene Einzel- und Kleinstunternehmer (UEK) gestellt. Bei den mittelbar Betroffenen sind es fast 600, wobei ein grosser Teil der Anträge von Unternehmern stammen, die unter der UEK nicht anspruchsberechtigt waren, weil ihr Betrieb nicht behördlich geschlossen wurde. Damit ist fast jedes zweite Liechtensteiner Unternehmen an uns herangetreten.
Aus welchen Branchen kamen die meisten Anträge auf Unterstützung?
Betroffen waren zunächst vor allem jene Unternehmer, die aufgrund der Verordnung der Regierung ihren Betrieb einstellen mussten: Gastronomiebetriebe, der Einzelhandel, Frisör- und Kosmetikbetriebe, Therapeuten usw. Dann aber auch solche, die indirekt, zum Beispiel als Zulieferer der geschlossenen Betriebe oder vom Reise- und Veranstaltungsverbot sowie vom stark zurückgegangenen Konsum betroffen waren. Andere, auch die grossen Industriebetriebe, waren mit Lieferengpässen oder mit fortbestehenden Auftragsrückgängen konfrontiert. Es gibt aber auch Branchen und Betriebe, die bisher gar nicht oder vergleichsweise wenig betroffen sind wie zum Beispiel der Finanzplatz, das Baugewerbe oder die Nahrungsmittelhersteller.
Wie beurteilen Sie die Liechtensteiner Hilfspakete im Vergleich mit den Nachbarstaaten und dem restlichen europäischen Ausland?
Wir waren schnell und pragmatisch und haben ein für Liechtenstein passendes, vernünftiges Paket gefunden. Durch die laufende Beobachtung der Entwicklung wurde das Paket schrittweise erweitert, um weiteren Betroffenen zu helfen. Die Massnahmen sind breit angelegt. Sie unterstützen direkt und indirekt Betroffene, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Selbständige. Das Hauptziel war und ist es, Arbeitsplätze zu erhalten und Existenzen zu sichern, nicht aber frühere Umsätze zu ersetzen. Es sollte schnell und einfach möglichst vielen geholfen werden. Das konnte erreicht werden. Ein direkter Vergleich mit dem Ausland ist schwierig, aber diesbezüglich können wir absolut bestehen. Am ehesten sind unsere Massnahmen mit denen der Schweiz vergleichbar. Unser Paket ist in einer Gesamtsicht recht ähnlich. Einzelne Leistungen, die betragsmässig geringer ausfallen, werden bei uns dafür länger ausgerichtet.
Welche Rückmeldungen haben Sie von Politik, Bevölkerung und Unternehmern erhalten?
Viele positive, aber auch ein paar kritische. Viele Unternehmen haben uns gegenüber Dank und Wertschätzung geäussert und berichten, dass ihnen die Unterstützung über eine schwierige Zeit geholfen hat. Wir hören von einigen, dass sich die Lage bereits wieder gebessert habe. Die kritischen Stimmen haben wir versucht, konstruktiv aufzunehmen und unsere Prozesse zu verbessern, vor allem auch unsere Kommunikation. Die aktuellen Entwicklungen führen zu Frustrationen und Ängsten. Unser Ziel war es, auf Kritik und Fragen nicht nur sachlich, sondern offen und hilfsbereit zu reagieren, pragmatisch und kulant zu sein, soweit es im vorgegebenen Rahmen ging. Jeder Einzelfall ist wichtig, aber wir konnten nicht jedem Einzelfall unbegrenzt viel Zeit widmen. Eine grosse Hilfe für viele Ratsuchende ist unsere Hotline. Sie wird zu den Bürozeiten stets von zwei Mitarbeitern bedient. Auch mit unserer eigens gestalteten Corona-Webseite und über die besonderen Mailadressen für jede Art von Unterstützungsleistung konnten wir viele Fragen beantworten. Zu Beginn waren es Hunderte von Fragen, deshalb hat es oft ein paar Tage bis zur Beantwortung gedauert. Von Regierung und Landtag haben wir ebenfalls Unterstützung und Anerkennung erhalten.
Wie lautete ganz allgemein Ihr Fazit zur wirtschaftlichen Bewältigung der Corona-Krise in und durch Liechtenstein?
Heute ist es noch zu früh für ein Fazit. Bis jetzt haben wir alle zusammen unsere Sache gut gemacht. Jetzt gilt es, sich auf die neue Normalität einzustellen und nach vorne zu schauen. Unsere Volkswirtschaft ist sehr stark diversifiziert, unsere Unternehmen durch die hohe Exportorientierung wettbewerbsfähig. Einige Branchen waren jetzt stark betroffen und erholen sich bereits wieder. Andere werden die Auswirkungen der schrumpfenden Weltwirtschaft erst noch spüren. Deshalb ist die liechtensteinische Wirtschaft krisenresistent, obwohl wir klein sind. Liechtenstein ist stabil und gleichzeitig flexibel. Viele Unternehmen haben ihr Geschäftsmodell bereits an die neue Realität angepasst, zum Beispiel mit wichtigen Massnahmen zur Digitalisierung. Und schliesslich zahlt es sich jetzt aus, dass wir in dieser Krise auf gesunde Staatsfinanzen und Reserven bauen können.
Mit welchen Folgen wirtschaftlicher Natur rechnen Sie in Zukunft? Die FMA hat ja bereits eine grosse Rezession prognostiziert. Wie lange wird uns Corona im Gegensatz oder Vergleich zu anderen Krisen noch beschäftigen?
Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona werden uns noch länger beschäftigen. Unser wirtschaftlicher Wohlstand wird vor allem auch von den Entwicklungen im Ausland abhängen. Ich bin von Natur aus optimistisch eingestellt. Liechtenstein ist gewohnt, Krisen als Chance zu begreifen und sich weiterzuentwickeln. Denken Sie nur an die Finanzplatzkrise vor über zehn Jahren. Heute, nach all den Reformen und einer konsequenten Politik haben wir einen starken Finanzplatz, der in der aktuellen Situation mit rund 25 Prozent des Bruttoinlandprodukts eine wichtige wirtschaftliche Stütze ist. Auch Industrie und Gewerbe sind es gewohnt, sich auf ein sich ständig veränderndes Umfeld einzustellen. Prognosen sind schwierig, weil wir nicht wissen, wie sich die Pandemie in den nächsten Monaten entwickelt. Ich hoffe, dass es gelingt, mit den wichtigen Präventionsmassnahmen eine starke zweite Krankheitswelle bei uns und in Europa zu verhindern und dass sich nach Asien auch die USA wieder erholen.
Was hat Sie in dieser herausfordernden Zeit im AVW besonders geprägt, nun da zumindest zwischenzeitlich einmal etwas Ruhe eingekehrt ist?
Der Zusammenhalt und der positive Teamgeist im gesamten Amt. Die Flexibilität, Motivation und unglaubliche Einsatzbereitschaft. Ich glaube, dass jeder Einzelne aus dieser Erfahrung lernen und sich weiterentwickeln konnte. Wir sind vor allem auch als Team stärker zusammengewachsen.