«Die Lage ist ernst, aber Panik ist fehl am Platz»

Die Regierung setzt alles daran, das Gesundheitswesen in der Corona-Krise zu entlasten und gleichzeitig die Wirtschaft zu stützen. Sie setzt ausserdem auf eine transparente Informationspolitik. 

«Die von der Regierung ergriffenen Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus und um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, sind tiefgreifend und einschneidend, aber notwendig», sagte Regierungschef Adrian Hasler Ende der vergangenen Woche an einer der zahlreichen Pressekonferenzen, mit denen die Regierung die Bevölkerung über die Entwicklung des Virus und die getroffenen Massnahmen in jüngster Zeit informierte. Gleichzeitig dankte er der Zivilgesellschaft für das weitestgehend strikte Befolgen der Massnahmen sowie die Solidarität untereinander und all jenen, die sich dafür einsetzen, dass die Grundversorgung und die medizinische Versorgung aufrecht erhalten bleiben.

«Sie helfen, Leben zu retten»
Die Zunahme der Neuinfektionen habe sich in Liechtenstein klar verlangsamt, führte der Regierungschef weiter aus. «Dies bedeutet aber noch keine Entwarnung. Wir müssen den Weg weiterbeschreiten und die Ausbreitung des Virus einzudämmen.» Dazu müsse jeder Einzelne seinen Beitrag leisten und sich an die Empfehlungen sowie Massnahmen halten. Gerade über 65-Jährige sollten das Haus nur im Notfall oder zu Spaziergängen mit Personen verlassen, die im eigenen Haushalt leben, und jeder sollte sich stets den Übertragungsweg vor Augen halten, um sein Verhalten entsprechend anzupassen. «Damit helfen Sie, Leben zu retten», lautete der deutliche Appell des Regierungschefs.

«Wir werden alle gebraucht»
Dem Dank und dem Appell des Regierungschefs schloss sich Regierungschef-Stellvertreter und Wirtschaftsminister Daniel Risch an. «Wir alle haben zum moderaten Anstieg der Fälle beigetragen und müssen uns weiterhin strikt an die Massnahmen halten. Obwohl die Lage ernst ist, sollten wir nicht in Angst oder Panik verfallen, sondern Hoffnung haben, als Gesellschaft gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Bleiben Sie gesund, denn wir alle werden gebraucht.»

Regierungschef Adrian Hasler (links) und Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch.

Der Nöte der Wirtschaft und vieler Unternehmen ist sich der Wirtschaftsminister mehr als bewusst. «Uns war es daher wichtig, das erste Massnahmenpaket rasch zu verabschieden, um schnell helfen zu können.» Viele Gewerbetreibende fielen aber noch nicht unter die erste Verordnung und hätten trotzdem grosse Einbussen zu erleiden. Daher werde nun mit einem Massnahmenpaket 2.0 nachjustiert, um weiterhin rasch und unbürokratisch zu helfen. Dafür werde auch das Budget weiter erhöht. «Es wird ein auf Liechtenstein zugeschnittenes Paket, das schnell, effizient und flexibel funktioniert.»

Chronologie der Ereignisse 

  • 30. Januar: Die WHO erklärt die Epidemie zu einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite. 
  • 11. Februar: Die Regierung setzt einen Krisenstab unter der Leitung von Gesundheitsminster Mauro Pedrazzini ein. 
  • 27. Februar: Die ersten drei Corona-Verdachtsfälle ergeben ein negatives Resultat. 
  • 28. Februar: Liechtenstein erlässt ein Verbot für Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen. 
  • 3. März: Die erste Person in Liechtenstein wird positiv auf das Virus getestet. 
  • 11. März: In Liechtenstein sollen keine Besuche mehr in Alten- und Pflegeheimen stattfinden. 
  • 13. März: Schulen und Kitas werden vorerst bis zu den Osterferien geschlossen, Veranstaltungen mit über 100 Personen verboten. Gastronomiebetriebe dürfen nicht mehr als 50 Personen aufnehmen. 
  • 15. März: Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe sollen geschlossen werden. Lokale werden ab 17. März geschlossen. 
  • 16. März: Zwölf bestätigte Fälle. Öffentliche und private Anlässe mit mehr als fünf Personen sind verboten. Die Regierung kündigt ein Massnahmenpaket zur Unterstützung der Wirtschaft im Rahmen von 100 Millionen Franken an. Zur Umsetzung wird eine Task Force eingesetzt. 
  • 17. März: Ab dem 19. März sind sämtliche öffentlichen und privaten Veranstaltungen verboten, weitere Läden werden geschlossen. 
  • 18. März: Nur noch Arbeitspendler dürfen die Grenze zwischen Liechtenstein und Österreich passieren. 28 Personen wurden inzwsichen positiv getestet. 
  • 19. März: Regierungschef Adrian Hasler und Wirtschaftsminister Daniel Risch stellen das Massnahmenpaket zur Unterstützung der Wirtschaft vor. Zusätzlich zu den 100 Millionen Franken steuern die Gemeinden 20 Millionen bei. 
  • 20. März: Der Landtag stimmte dem Massnahmenpaket einhellig zu. Versammlungsverbot ab sechs Personen im öffentlichen Raum. In Liechtenstein gibt es 37 bestätigte Fälle. 
  • 23. März: Schaffung von Kapazität im LAK-Haus St. Peter und Paul in Mauren, um das Spital allenfalls zu entlasten. 
  • 26. März: 56 positive Testresultate. 
  • 27. März: Regierungschef Adrian Hasler und Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch kündigen an, das Massnahmenpaket für die Wirtschaft zu erweitern. Über 500 Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet. 
  • 30. März: Die Drive-Through-Testanlage in Vaduz geht in Betrieb.
  • 1. April: 72 Personen wurden positiv getestet.

Aus früheren Pandemien gelernt?

Spanische Grippe, Asiatische Grippe, SARS – in den vergangenen 100 Jahren versetzten gleich mehrerer Pandemien die Welt in Aufregung. Wir gehen der Frage nach, ob die Lehren aus der Geschichte im Kampf gegen das Coronavirus helfen können oder teilweise schon geholfen haben und blicken zurück auf die Auswirkungen der Spanischen Grippe auf Liechtenstein.

Die Spanische Grippe, die grösste Pandemie der Neuzeit, mit schätzungsweise 50 Millionen Toten weltweit verlief etwas anders als die gegenwärtige Pandemie mit dem Coronavirus. Gabor Paal vom deutschen Südwestrundfunk (SWR) hat dazu einen Beitrag verfasst. Er sagt, dass es doch einige Unterschiede zwischen der Grippe und der Corona-Pandemie gibt. Es fallen folgende Unterschiede auf:

1918 tobte der Erste Weltkrieg, die Grippe trat in einer geschwächten Welt auf. Sie breitete sich auch anders aus. Ihr Ursprung liegt nicht in Spanien, wie der Name annehmen lässt, sondern höchstwahrscheinlich in den USA. Soldaten brachten die Grippe nach Europa, wo sie sich mit der Kriegsfront ausbreitete.

Die Grippe verlief auch anders. Die Inkubationszeit war deutlich kürzer als beim neuartigen Coronavirus. Und der Grippe fielen im Gegensatz zur derzeitigen Pandemie 20- bis 40-Jährige zum Opfer. Vor allem aber: Die Medizin wusste kaum etwas. Nicht einmal der Erreger war bekannt. 

Spanische Grippe: Unterschiede bei der Eindämmung
Das Konzept der Quarantäne war bereits vor 100 Jahren keineswegs neu. Das Wort geht darauf zurück, dass Venedig währen der Pest im 14. Jahrhrundert die aus dem Osten ankommenden Handelsschiffe 40 (ital. «quaranta») Tage isolierte, schreibt Gabor Paal in seiner Abhandlung. Seitdem werde es immer wieder eingesetzt, um eine Epidemie-Ausbreitung zu verlangsamen.

Dennoch, so Paal, lohne sich der Vergleich mit der Spanischen Grippe. Er schreibt: «Heute ist klar: Damals waren die Länder zögerlich.» In Mannheim hat man 1918 überlegt, «ob man die Kinos und Theater schliessen lässt», sage der Heidelberger Medizinhistoriker Wolfang. U. Eckart. «Man hat dann davon abgesehen mit der Begründung, die Leute müssen doch irgendwas haben, um sich zu belustigen, der Krieg ist schon fürchterlich genug.»

Die Wirksamkeit drastischer Massnahmen zeigte sich 1918 in den USA jedoch deutlich. In Philadelphia fand zum Herbstbeginn noch eine grosse Militärparade statt. 200’000 Bürger und Armeeangehörige füllten die Strassen und Plätze. Drei Tage später waren die Krankenhäuser überfüllt, innerhalb einer Woche starben fast 5000 Personen. Ganz anders in St. Louis im Bundesstaat Missouri. Zwei Tage nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle schloss die Stadt Schulen, Kindergärten und Kirchen. Öffentlich Ansammlungen von mehr als 20 Personen wurden verboten. Die Ausbreitung wurde dadurch zwar nicht verhindert, aber die Infektionsrate deutlich verlangsamt und die Zahl der Toten massiv reduziert. Dies ergab eine rückblickende Studie aus dem Jahr 2007.

Asiatische Grippe: Beschwichtigung kostete Zehntausende Leben
Gabor Paal schreibt, dass man zunächst aus dem Beispiel der Spanischen Grippe nichts gelernt habe, wie sich in den Jahren 1957/58 beim Ausbruch der aus China stammenden Asiatischen Grippe gezeigt hätte. Ein Interview von Radio Bremen aus dem Jahr 1957 mit dem Gesundheitsamt zeige die Beschwichtigungstaktik auf, die viele Menschen das Leben gekostet habe. Der ärztliche Leiter des Gesundheitsamtes erklärte, es sei «keinerlei Grund zur Unruhe» gegeben. «Schon die Bezeichnung Asiatische Grippe halte ich für eine Dramatisierung.» 

Und die Präventionsmassnahmen? Die Schulen blieben offen, auch zur Vorbeugung wurde nicht etwa Händewaschen empfohlen, sondern das «Gurgeln mit Wassersuperoxid» sowie das Einnehmen «Formalin freisetzender Tabletten». Angesichts dieser unzureichenden Massnahmen hatte die Asiatische Grippe leichtes Spiel. Innerhalb eines Jahres sind in Deutschland daran rund 30’000 Menschen gestorben.  

Der grosse Unterschied zu heute
Das heute grassierende Coronavirus ist bekannt. Es gibt Pandemiepläne der allermeisten Länder, die greifen und auf die Besonderheiten des neuen Virus angepasst werden. Die Kommunikation ist sehr gut. Jeder weiss, wie er sich zu verhalten hat, um die Pandemie einzudämmen. Es gibt Tests und die Grundlage für einen hoffentlich bald vorliegenden Impfstoff. Wenn auch die wirtschaftlichen Folgen laut Expertenstimmen hart ausfallen und die Welt in eine Rezession stürzen könnten, so hat in allererster Linie die Gesundheit Vorrang. Das sollte jedem klar sein.

Coronavirus-Pandemie: Ausbruch in China 

Die COVID-19-Pandemie (umgangssprachlich auch Coronavirus-Pandemie, Corona-Pandemie, Coronavirus-Krise oder Corona-Krise genannt) ist ein Ausbruch der neuartigen Atemwegserkrankung COVID-19 (für Englisch «corona virus disease 2019», wobei sich die Jahreszahl auf das erste Auftreten bezieht).

Diese Erkrankung war erstmals Ende Dezember 2019 in der Millionenstadt Wuhan der chinesischen Provinz Hubei auffällig geworden, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schliesslich zur weltweiten Pandemie aus. Der Ausbruch wurde durch das bis dahin unbekannte Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst. Um einer Ausbreitung in Staaten ohne leistungsfähige Gesundheitssysteme entgegenzuwirken, rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 30. Januar 2020 die internationale Gesundheitsnotlage aus.

Ab dem 28. Februar 2020 schätzte die WHO in ihren Berichten das Risiko auf globaler Ebene als «sehr hoch» ein (englisch WHO risk assessment, global level: very high), zuvor als «hoch». Am 11. März 2020 erklärte die WHO die bisherige Epidemie offiziell zu einer Pandemie, der ersten seit der Pandemie H1N1 2009/10.

«Das Coronavirus ist ein Jahrhundertereignis»

Einer der international führenden Virologen, Jeremy Farrar, Direktor des britschen Wellcome Trust mit Sitz in London, vergleicht die aktuelle Coronavirus-Pandemie und frühere Pandemien mit der Spanischen Grippe von 1918.

«Wir haben es mit einer völlig anderen Grössenordnung zu tun als bei SARS im Jahr 2003 oder der Schweinegrippe-Pandemie von 2009», sagte Farrar im Deutschlandfunk. Der beste Vergleich sei die Influenza-Pandemie nach dem Ersten Weltkrieg (1914 – 1918). Diese gebe das Ausmass vor, auf das sich die Menschheit vorbereiten sollte, sagt Virologe Jeremy Farrar. «Es ist natürlich extrem schwierig, das zu kommunizieren und gleichzeitig zu verhindern, dass die Menschen in Panik ausbrechen. Aber man muss der Gefahr ehrlich ins Auge sehen. In der vergangenen 100 Jahren hat es keine vergleichbare Situation gegeben. Wir haben es bei der Coronavirus-Pandemie mit einem Jahrhundertereignis zu tun», führte Farrar weiter aus.

Farrar fordert auf, ruhig zu bleiben, die Fakten zu bewerten und die neuesten Forschungsergebnisse zu berücksichtigen. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité äusserte allerdings vor Kurzem die Einschätzung: «Ich glaube nicht, dass es so schlimm wird wie die Spanische Grippe 1918.»

Bei der Spanischen Grippe 1918 und 1920 kamen Schätzungen zufolge mindestens 25 Millionen Menschen ums Leben, manche Quellen sprechen von 50 Millionen. Damit hatte sie in absoluten Zahlen ein ähnliches Ausmass wie die Pest von 1348, an der etwa ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung starb. Beim derzeit grassierenden Coronavirus gibt es allerdings ganze andere medizinischen Behandlungsmöglichkeiten als damals.


Die Spanische Grippe im Jahre 1918 

Die Spanische Grippe wurde durch einen ungewöhnlich virulenten und aggressiven Abkömmling des Influenzavirus (Subtyp A/H1N1) verursacht. In Liechtenstein traf sie auf ein vergleichsweise schlecht entwickeltes Gesundheitswesen – mit entsprechend tragischen Folgen. Die ergriffenen Schutzmassnahmen wiesen jedoch bereits auf die heute in Kraft stehenden Massnahmen voraus.

In der Rubrik «Wissen» veröffentlichte die NZZ im Jahr 2018 einen Beitrag über die Spanische Grippe. Allein in der Schweiz starben 1918 wegen dieser fürchterlichen Seuche etwa 25’000 Personen.

Bis zu 100 Tote in Liechtenstein
In Liechtenstein, so sagen unbestätigte mündliche Überlieferungen, seien es gegen 100 Menschen gewesen, die der Spanischen Grippe erlegen sind. Am häufigsten betroffen seien – im Gegensatz zur heutigen Coronavirus-Pandemie – junge, kräftige Männer im Alter von 20 bis 40 Jahren gewesen. Statistische Zahlen belegen zwar eine Mortalität von lediglich 36 Opfern in Liechtenstein. Die Statistik hatte aber damals längst nicht den Aussagewert, den sie heute besitzt.

Sonderbarerweise ist von der Spanischen Grippe im Allgemeinen nur wenig bekannt. Wer, so schreibt Autor Patrick Imhasly im besagten NZZ-Beitrag, ans 20. Jahrhundert denkt, denke in erster Linie an die zwei Weltkriege, an faschistische Diktaturen und an den Aufstieg und Fall des Ostblocks. An die «Vergessene Katastrophe», so beschreibt Imhasly die Spanische Grippe, «erinnert sich niemand mehr».

Tragödie des 20.Jahrhunderts
Dabei sei sie die Tragödie des vergangenen Jahrhunderts gewesen, dennoch sei sie heute, 100 Jahre später, aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Während die Pest im Mittelalter auf Europa, Asien und die USA beschränkt geblieben ist, verlief die Influenza-Pandemie von 1918 global, so wie derzeit die Coronavirus-Pandemie. Die Spanische Grippe forderte viele Millionen Tote. Ihr fielen vielleicht sogar mehr Menschenleben zum Opfer als im Ersten und Zweiten Weltkrieg zusammengerechnet, schreibt Patrick Imhasly, wobei dies angesichts der Opferzahlen beider Kriege zusammen mit fast 65 Millionen Toten etwas zu hoch gegriffen sein könnte.

Wo blieb die Geschichtsschreibung?
Trotz der vielen Toten habe die Spanische Grippe kaum Spuren in der Geschichtsschreibung hinterlassen. Wer in Schweizer Geschichtsbüchern nach Informationen über die Spanische Grippe sucht (dasselbe gilt auch für Liechtenstein), wird überraschend wenig oder gar nichts finden. Wenn überhaupt, dann nur im Zusammenhang mit dem Schweizer Militär, hielt der Historiker Armin Rusterholz 2006 in seiner Studie über die Grippe-Epidemie in der Schweizer Armee fest.

Die alljährlich wiederkehrende Grippe war den Menschen vertraut, ohne dass sie damals wussten, dass ein Virus dafür verantwortlich ist. Doch 1918 sei plötzlich alles anders gewesen, heisst es im erwähnten NZZ-Bericht. Die Grippe hat die Schweiz und auch Liechtenstein mit nie gekannter Heftigkeit erfasst. Nachdem sie vermutlich durch US-Soldaten im Frühjahr 1918 nach Europa eingeschleppt worden war, sei die Seuche Ende Juni, anfangs Juli auch in der Schweiz ausgebrochen. Die Grippe kam in zwei Wellen über die Westschweizer Kantone, erfasste das Mittelland, die Ostschweiz, Vorarlberg sowie auch unser kleines Land.

Zwei Krankenschwestern des US-amerikanischen Roten Kreuzes bei einer Übung der Notfallambulanz in Washington D. C. zu Zeiten der Spanischen Grippe im Jahr 1918 (digital koloriert).

Liechtenstein verhältnismässig stark betroffen
Wie der bekannte Liechtensteiner Historiker Dr. Rupert Quaderer in seiner Schriftenreihe «Bewegte Zeiten in Liechtenstein 1914 – 1926», seien in Liechtenstein erste Meldungen über die Spanische Grippe Ende Juli 1918 aufgetreten. Am 24. Juli habe die Ortsvorstehung Balzers bei der Regierung angezeigt, dass ein Mädchen die Grippe von «Guscha» eingeschleppt habe. Die Grippe sei – so der Balzner Vorsteher – bei den Soldaten auf der Luziensteig stark aufgetreten, und er vermute, dass die Balzner beim Heuen auf bündnerischem Gebiet mit den Leuten des Grenzkommandos in
Berührung gekommen seien. Auch in Buchs und Sevelen habe die Grippe grassiert, berichtete zwei Tage später das «Liechtensteiner Volksblatt.»

Der damalige Landesphysikus Felix Batliner hat kurz darauf eine Verlautbarungen abgegeben, in welcher er die Auffassung vertrat, dass sich wegen der Grippe «eingreifende Massnahmen der Seuchenbekämpfung» nicht rechtfertigen liessen und verwies auf andere Länder, die auch keine allgemeinen ernstlichen Einschränkungsversuche unternehmen würden. Die Spanische Grippe war nach Batliner, so schreibt Historiker Rupert Quaderer, als «eine nicht schwere Erkrankung» anzusehen. Nur wenn Komplikationen dazukämen oder bei «geschwächten Individuen» könne sie «zu einem schlimmen Ende führen».

Der Landesphysikus hat diese beschwichtigenden und beruhigenden Stellungnahmen wohl auch deshalb abgegeben, weil er Panikreaktionen vermeiden wollte. Er lehnte sich in dieser Frage an die Bundesbehörden in der Schweiz an, welche in Zirkularen an die Kantone vorerst ebenfalls von einem «ziemlich gutartigen Charakter» der Grippe sprachen.

Landesverweser beschwichtigt
Rupert Quaderer schreibt in  seinem historischen Werk: Die Regierung hielt in einem Rundschreiben an die Ortsvorstehungen fest, dass die Grippe bei der Zivilbevölkerung des Rheintales verstärkt auftrete. Die Regierung empfahl deshalb, den Verkehr mit der Schweiz möglichst einzuschränken. Landesverweser Imhof meinte aber, dass «das Auftreten der Lungenpest im Rheintale» eine Grenzsperre nicht erforderlich mache. Nach seinen Informationen lagen nur vereinzelte Fälle von Lungenentzündungen vor, ein «Pestbazillus» sei nirgends nachgewiesen worden. Kurz darauf berichtete das «Liechtensteiner Volksblatt» von «beunruhigenden Gerüchten über das Auftreten der Lungenpest im Rheintal» und von vorübergehenden Einschränkungen im Grenzverkehr zwischen Vorarlberg und der Schweiz beziehungsweise Liechtenstein. Die Regierung beruhigte indessen mit der Information, dass es in der Schweiz keine Lungenpest gebe, sondern nur schwere Fälle von Grippe.

Regierung verlangte schriftlichen Bericht aus allen Gemeinden
Die Regierung wies die Gemeinden wenig später an, alle 14 Tage schriftlich über die Grippefälle in jedem Dorf zu berichten. Nach dem ersten Bericht, der am 15. September zu erstellen war, meldete Landesphysikus Batliner, dass etwa 40 «Parteien» wegen Grippe in Behandlung stünden, drei der Fälle bezeichnete er als «schwer». 

Die Tabelle (oben) zeigt, dass die Grippeerkrankungen in einzelnen Gemeinden im Oktober innerhalb kürzester Zeit sprunghaft in die Höhe gestiegen sind. Zeitgleich gab es Meldungen über einen abrupten Anstieg der Grippe in Vorarlberg. Die Regierung musste nun handeln und erliess eine Verordnung «betreffend Massnahmen gegen die Grippe». Die Abhaltung von Versammlungen, die Veranstaltung «öffentlicher Produktionen» und grössere «gesellige Zusammenkünfte» wurden untersagt. Auch verbot die Regierung «Fernerstehenden» das Betreten der Wohnungen von Erkrankten und Ansammlungen im Trauerhaus einer an Grippe verstorbenen Person. Ausserdem wurde das Abhalten von Betstunden in Privathäusern bei Todesfällen verboten. Schulkinder, in deren Familien Grippefälle auftraten, wurden vom Unterricht ausgeschlossen. 

Triesen traf es am härtesten
Der Triesner Vorsteher teilte der Regierung Ende Oktober mit, dass sich die Grippekrankheit «eher verschlimmert» habe und sich in jedem zweiten Haus in Triesen ein Patient oder mehrere Patienten befänden. Nach Aussage des Vorstehers versetzten die täglichen Todesfälle die Bewohner von Triesen «geradezu in Angst und Schrecken». An einem einzigen Tag, am 29. Oktober, verstarben fünf Personen, zwei Erwachsene und drei Kinder, zwei Tage zuvor waren zwei Erwachsene und ein Kind gestorben. In einem Bericht über Mauren heisst es im «Volksblatt», dass die Grippe schon zwei Todesopfer gefordert habe und es auffalle, dass «die Frauen im besten Alter am stärksten gefährdet sind».

Ein Bericht des Triesenberger Vorstehers hält fest, dass nun auch in der Berggemeine der Grippetod Einzug gehalten habe. Die betroffenen Familien meldeten dies jedoch nicht oder nur ungern, da diese Krankheit «direkt verheimlicht werden will». Es würden in Triesenberg auch die Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet. Denn die weit auseinanderliegenden Häusergruppen würden es der Ortsvorstehung schwer machen, sich über den Gesundheitszustand der Familien zu erkundigen.

Offiziell 460 Infizierte und 36 Tote
Am 27. November setzte die Regierung die Gemeindeberichte aus. Von Oktober bis Dezember waren gemäss Anzeigen der Ärzte 460 Personen in Liechtenstein an Grippe erkrankt, 36 waren verstorben. Der Vergleich zwischen Liechtenstein, der Schweiz im Allgemeinen und dem Kanton St. Gallen im Speziellen zeigt, dass in Liechtenstein ein geringerer Prozentsatz der Bevölkerung an Grippe erkrankte, von den Betroffenen hingegen ein weitaus grösserer Prozentsatz verstarb. Ein Prozentsatz, der noch deutlich steigt, wenn die mündlichen Überlieferungen von bis zu 100 Todesopfern in einem Land mit damals gerade einmal knapp 10’000 Einwohnern stimmen.

Die gegenüber Liechtenstein höheren Prozentzahlen an Erkrankten in der Schweiz dürften darauf zurückzuführen sein, dass es dort allein unter den während des Ersten Weltkriegs zur Grenzsicherung zusammengezogenen Soldaten viele Tausend Erkrankte und 3000 Grippetote gab. Eine Frage lautet zudem, wie intensiv die Krankheitsfälle erfasst beziehungsweise von den betroffenen Familien auch gemeldet wurden. Es war schwierig, genaue Zahlen zu eruieren. So heisst es etwa im Bericht von Triesen, dass die Grippe «in jedem 2. Haus» festgestellt wurde. Triesenberg meldete in der ersten Oktoberhälfte neun Grippefälle, der Vorsteher bemerkt aber dazu, dass es «sicherlich» mehr Fälle gebe, als gemeldet seien. Und aus Mauren heisst es, dass die Grippe sich «sehr ausgebreitet» habe und «ca. 200 Personen» in 49 Häusern betroffen seien. Aus anderen Gemeinden kamen sehr allgemein gehaltene Angaben über die Grippefälle. Diese Aussagen zeigen, dass die Erhebungszahlen mit Vorsicht zu interpretieren sind, wie Historiker Rupert Quaderer bemerkt.


Schlechte Versorgung, schwierige Zeiten
Eine Erklärung für die hohe Prozentzahl an Verstorbenen im Vergleich zu den Erkrankten kann vielleicht darin gefunden werden, dass die medizinische Versorgung in Liechtenstein nicht dem schweizerischen Standard entsprach.

Zu beachten sei auch, so Rupert Quaderer, dass sich die grassierende Grippe mit ihren zum Teil tragischen Folgen in einer Zeit der allgemeinen innen- und aussenpolitischen Umwälzungen ereignete. Zur Aufgabe der Lösung der täglichen Not habe sich auch noch diejenige der politischen Neuorientierung gesellt, hält der Historiker in Band 1 seiner Schriftenreihe fest. 

Auch in der Schweizer Armee forderte die Spanische Grippe gegen Ende des Ersten Weltkriegs zahlreiche Todesopfer.

Prominente Opfer

In der Reihenfolge des Todestages:

Frederick Trump (* 14. März 1869 in Kallstadt (DE), †27. Mai 1918 in New York City), Unternehmer und Grossvater des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump

Egon Schiele (* 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau, †31. Oktober 1918 in Wien), österreichischer Maler des Expressionismus

Guillaume Apollinaire (* 26. August 1880 in Rom, † 9. November 1918 in Paris), französischer Dichter und Schriftsteller

Margit Kaffka (* 10. Juni 1880 in Grosskarol, Siebenbürgen, † 1. Dezember 1918 in Budapest), ungarische Schriftstellerin, Dichterin und Publizistin

Mark Sykes (* 16. März 1879 in Yorkshire (GB), † 16. Februar 1919 in Paris), britischer Schriftsteller, Offizier, Politiker und Diplomat

Francisco Marto (* 11. Juni 1908 in Aljustrel (heute Teil von Fátima, Portugal), † 4. April 1919 in Aljustrel), portugiesischer Heiliger und Zeuge der Marienerscheinung von Fátima

Sophie Halberstadt (* 12. April 1893 in Wien, † 25. Januar 1920 in Hamburg), Tochter Sigmund Freuds

Jacinta Marto (* 11. März 1910 in Aljustrel (heute Teil von Fátima, Portugal), † 20. Februar 1920 in Lissabon), portugiesische Heilige und Zeugin der Marienerscheinung von Fátima

Max Weber (* 21. April 1864 in Erfurt, † 14. Juni 1920 in München), deutscher Soziologe und Ökonom

Rosalia Lombardo (* 13. Dezember 1918 in Palermo, † 6. Dezember 1920 in Palermo), Tochter eines italienischen Generals, mumifiziert in der Kapuzinergruft in Palermo