Aus dem Vorzimmer auf die grosse diplomatische Bühne

Fast vier Jahrzehnte war Claudia Fritsche im diplomatischen Dienst, davon 26 Jahre in den USA. Sie hat Liechtenstein sowohl bei den Vereinten Nationen als auch in Washington D.C. vertreten. Neben dem Wohl ihrer Heimat waren ihr dabei unter anderem die Menschenrechte ein grosses Anliegen – ein Engagement, das sie bis heute prägt.

«Nelson Mandela hat mich als Persönlichkeit, der ich im Rahmen meiner Jahre in New York begegnet bin, sicherlich am meisten beeindruckt. Das Zusammentreffen mit ihm bleibt unvergesslich, auch wenn es keine lange Konversation war. Es hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen, wie er sich nach seiner langen Gefangenschaft ohne jegliche Bitterkeit für die Interessen Südafrikas, allen voran die Abschaffung der Apartheid, eingesetzt und Herausragendes geleistet hat. Ich habe selbst während einem halbjährigen Aufenthalt in Südafrika erfahren, wie menschenunwürdig das System der Apartheid war», sagt Claudia Fritsche. Getroffen hat die liechtensteinische Botschafterin bei den Vereinten Nationen und in den Vereinigten Staaten in ihren mehr als zweieinhalb Jahrzehnten als leitende Diplomatin zahlreiche führende Politiker als aller Welt – darunter vier amtierende US-Präsidenten und drei UNO-Generalsekretäre. «Jemanden wie Nelson Mandela zu treffen, ist aber ein besonderes Privileg.»

Wettbewerb da, Kooperation dort
Persönliche Treffen sind es denn auch, die den Diplomatenalltag in New York und Washington stark geprägt haben. Allerdings auf ganz unterschiedliche Weise. «Bei der UNO sind alle Mitgliedsstaaten gleichwertig. Jeder Staat hat einen Sitz und eine Stimme, ob er eine Weltmacht ist oder Liechtenstein. Daher geht es am Hauptsitz in New York meist darum, Allianzen zu bilden mit Staaten, welche die gleichen Interessen verfolgen, und Liechtenstein dabei bekannter zu machen, aufzuzeigen, was wir sind und vor allem, was wir nicht sind», sagt Claudia Fritsche. «Eine Botschafterin muss sich also im Prinzip mit allen Mitgliedsstaaten – zu meiner Zeit waren es rund 180 – sowie deren Diplomaten und Politikern befassen und gute Beziehungen zu ihnen pflegen. «Da ich mich schon seit meiner Jugend stark für fremde Länder und Kulturen interessiert habe, empfand ich diese Zeit als überaus bereichernd. Wenn ich für Liechtenstein Respekt beanspruche, muss ich diesen anderen Ländern gegenüber bezeugen.»

Liechtenstein hat seine UNO-Mitgliedschaft seit dem Beitritt 1990 stets nicht nur als Privileg, sondern auch als Aufgabe empfunden. «Bereits 1991 wollten wir ein brisantes Thema auf die Agenda bringen: das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Gemäss der liechtensteinischen Initiative war nicht ganz auszuschliessen, dass neue Länder entstehen. Daher war unserer Initiative im UNO-Kontext wenig Erfolg beschieden, da es in fast jedem Land mindestens eine Gruppierung gibt, die in irgendeiner Form nach mehr Autonomie oder sogar Unabhängigkeit strebt.» Es freut die ehemalige Botschafterin, dass das Thema Selbstbestimmung seither auf akademischer Ebene weiterverfolgt wird. «Seine Durchlaucht Fürst Hans-Adam II. hat in der Folge an der Universität Princeton ein Institut eingerichtet und dotiert, das sich heute noch damit befasst.» Und Liechtenstein habe sich nicht entmutigen lassen, sondern bringe sich zu diesem Thema weiter ein und werde damit seinem Ruf als aktiver Kleinstaat gerecht. «In unserem UNO-Engagement mussten wir natürlich Prioritäten setzen. Wir befassen uns aufgrund der begrenzten Ressourcen mit weniger Themen dafür aber auf einem hohen Niveau, und wir haben stets versucht, Themen mit globalen Auswirkungen voranzubringen, unter anderem im Bereich der Menschenrechte.»

Nur ganz wenige Diplomaten haben eine solche Gelegenheit einmal in ihrem Leben. Dafür, dass ich sie gleich zweimal hatte, bin ich sehr dankbar.

Claudia Fritsche, ehem. Botschafterin in Washington

«Das Rad nicht neu erfinden»
Ganz anders war der diplomatische Dienst in Washington. «Dort zählt vor allem der Nutzen, den ein Land für die Interessen der USA haben kann, was wiederum zu einem grossen Wettbewerb unter den Botschaften führt. Denn alle verfolgen das gleiche Ziel, nämlich die bestmöglichen Beziehungen in Washington und darüber hinaus zu haben. Lobbyarbeit ist dabei ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Gute Kontakte, eine gute Vernetzung sind daher das A und O. Das gilt nicht nur für Mitglieder der US-Regierung und Abgeordnete des Kongresses, sondern auch für Universitäten, Think Tanks und Interessensvertretungen», sagt Claudia Fritsche. 

Die Vertreter von Kleinstaaten und Leiter kleiner Botschaften könnten die Botschafterrolle ohnehin nie ablegen. «Verlässt man die eigenen vier Wände, ist man immer Vertreterin seines Landes. Viele Menschen in den USA kommen in der Person der liechtensteinischen Botschafterin oder des Botschafters zum ersten und vielleicht letzten Mal mit Liechtenstein in Kontakt. Es galt daher, jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um auf Liechtenstein aufmerksam zu machen.» Um einen Termin bei den richtigen Leuten zu bekommen, dürfe eine Botschafterin sich ausserdem nie scheuen, um einen Gefallen zu bitten und auf andere zuzugehen. «Das bedeutet unter anderem, viele Einladungen auszusprechen und anzunehmen, aber auch kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. Washington hat ein pulsierendes gesellschaftliches Leben. Oft trifft man an Vernissagen oder Konzerten Politikerinnen und Politiker, Regierungsmitglieder oder deren enge Mitarbeiter, Richterinnen und Richter sowie andere einflussreiche Persönlichkeiten, was zu wertvollen Kontakten führen kann. Ich denke, dass ich in Washington von erfahrenen Botschaftern und Botschafterinnen einiges lernen konnte. Denn es nützt wenig, das Rad neu erfinden zu wollen. Eine grosse Hilfe zur Positionierung des Landes war auch, dass es von Regierungsseite stets gewünscht war, die aussenpolitischen Prioritäten Liechtensteins, wenn möglich, auch auf der bilateralen Ebene einzubringen.»

Start-ups in New York und Washington …
Claudia Fritsche war in ihrer frühen Zeit als diplomatische Mitarbeiterin immer wieder fall- und zeitweise in verschiedenen Positionen und mit unterschiedlichen Aufgaben an den Liechtensteiner Botschaften in Bern und Wien sowie beim Europarat in Strassburg tätig. Schliesslich bereitete sie zusammen mit dem damaligen Leiter des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten, Botschafter Roland Marxer, im Auftrag der Regierung den Liechtensteiner UNO-Beitritt vor und klärte in New York bei anderen Staaten ab, ob dem Beitritt allenfalls etwas im Weg stünde. Dem war nicht so, und Liechtenstein wurde im September 1990 als 160. Staat in die Vereinten Nationen aufgenommen. Claudia Fritsche wurde damit beauftragt, Liechtensteins Ständige Vertretung in New York aufzubauen. Die gleiche Aufgabe fiel ihr zwölf Jahre später in Washington D.C. zu. «Dies ist ein seltenes Privileg. Nur ganz wenige Diplomaten haben eine solche Gelegenheit einmal in ihrem Leben. Dafür, dass ich sie gleich zweimal hatte, bin ich sehr dankbar. Es ist aber auch so, dass mir Start-ups mehr liegen als der Einstieg in etwas Etabliertes.»

… sowie in Liechtenstein
Eine Art Start-up war auch der Liechtensteiner Verein für Menschenrechte, der gegründet wurde, als Claudia Fritsche 2016 aus Washington zurückkehrte und in dessen Vorstand sie als Vizepräsidentin tätig ist. «Es war eine wunderbare Erfahrung, nochmals Aufbauarbeit leisten zu können in einem Themenbereich, der mir während zwölf Jahren bei der UNO sehr am Herzen lag. Der Verein befindet sich inzwischen in seinem vierten Jahr, und ich bin sehr glücklich, wie er sich entwickelt hat. Wir haben eine ausgezeichnete Geschäftsstelle und ich bin überzeugt, dass wir in der Öffentlichkeit immer stärker wahrgenommen werden.»

Das Interesse und das Engagement von Claudia Fritsche sind dabei breit gefächert. «Schwerpunkte in meiner Arbeit als Vorstandsmitglied des Vereins für Menschenrechte sind die Situation und Integration von Migrantinnen und Migranten sowie die Gleichstellung von Mann und Frau und damit verbunden die ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern in Politik und Wirtschaft.» Wichtig sind Claudia Fritsche aber auch die noch ausstehende Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention durch Liechtenstein und die Rechte der LGBTI-Community. «Verunglimpfungen und Hassrede kommen leider auch bei uns immer wieder vor.» Dass es in all diesen Menschenrechtsfragen auch wieder Rückschläge geben wird, ist Claudia Fritsche bewusst. In ihrem Leben als Diplomatin hat sie gelernt, dass diese zum Fortschritt dazugehören. Entmutigen lassen wird sie sich davon aber nicht und sich weiter für das Wohlergehen ihres Landes und seiner Einwohnerinnen und Einwohner einsetzen.