Regierungsrat Mauro Pedrazzini zum Frauenstreik

In der Juni-Session des Landtages hatte Regierungsrat Mauro Pedrazzini u.a. auch eine Kleine Anfrage von Landtags-Vizepräsidentin Gunilla Marxer-Kranz zur Besetzung des AHV-Verwaltungsrates zu beantworten.

Die Organisatorinnen des Frauenstreiks am 14. Juni möchten unter anderem an den ersten Frauenstreik vor 28 Jahren erinnern. Das ist eine Gelegenheit, die wichtigsten Fortschritte, die für die Sache der Frauen in der Zwischenzeit erzielt wurden, zu beleuchten.

Gesellschaftlich hat sich in den letzten drei Jahrzehnten sehr viel verändert. Die Veränderungen in der Einstellung zur Berufsausbildung von Mädchen in den Jahrzehnten davor haben dazu geführt, dass Frauen heute bezüglich der Berufsbildung und insbesondere der Bildungschancen keine Nachteile mehr haben. Es gibt zwar noch eingefahrene Rollenbilder, welche die Berufswahl beeinflussen, aber es kann in Liechtenstein – ganz im Gegensatz zu ausländischen Untersuchungen, welche leider immer wieder kritiklos übernommen werden – nicht festgestellt werden, dass Frauen systematisch schlechter bezahlte Berufe ergreifen, weil es typische „Frauenberufe“ sind. Lehrerinnen und ausgebildete Pflegekräfte beispielsweise sind im Gegensatz zu vielen anderen Ländern bei uns keine schlecht bezahlten Berufe.

In rund 70% der Haushalte mit Kindern in Liechtenstein sind heute zwei Einkommen vorhanden, das heisst dass Mann und Frau einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Frauen sind meist in Teilzeit tätig, das ist in vielen Fällen neben dem Einsatz der Grosseltern bzw. der Familie nur dank ausserhäuslicher Kinderbetreuung möglich, also mit Kitas und Tagesstrukturen bzw. Mittagstischen. Im Gegensatz zur Situation vor 28 Jahren sind diese Betreuungsangebote heue flächendeckend vorhanden und in jüngster Zeit bestehen keine Wartefristen mehr. Durch staatliche Subventionen sind die Angebote auch für untere und mittlere Haushaltseinkommen bezahlbar.

Sehr grosse Fortschritte wurden auch im Bereich der Altersvorsorge im Bereich der AHV gemacht. Es wurden Erziehungs- und Betreuungsgutschriften eingeführt und mit dem sogenannten vollständigen Splitting unter Ehepaaren erhalten Mann und Frau heute je eine eigene Rente und nicht mehr eine Ehepaarrente. Bei vollständiger Einzahlungsdauer und unter Berücksichtigung der genannten Gutschriften entspricht diese Rente für Mann und Frau je meist einer vollen AHV-Rente.

Durch das vor einigen Jahren eingeführte Betreuungs- und Pflegegeld konnte die früher von (meist weiblichen) Angehörigen unbezahlt ausgeführte Pflegearbeit nun in eine bezahlte Pflegearbeit überführt werden. Zusammen mit der schon vor der Einführung des Betreuungs- und Pflegegelds bekannten Hilflosenentschädigung kann die Pflegearbeit auch innerhalb der Familie heute fair entlöhnt werden inklusive aller Sozialabgaben für die Altersvorsorge.

Die Einführung der zweiten Säule, der sogenannten Pensionskasse, kurz vor dem Frauenstreik vor 28 Jahren hat ebenfalls zu einer bedeutenden Verbesserung der Situation vieler Frauen geführt. Es wird nicht nur während der Erwerbstätigkeit für das Alter Kapital angespart, welches in einer Rente bezogen werden kann, sondern es ist auch gesetzlich vorgeschrieben, Risiken für Invalidität und Tod zu versichern. Das führte unter Anderem zu einer besseren Absicherung der Frau beim Tod des Partners. Das System hat sich in den Jahren weiterentwickelt und so ist es heute bei den meisten Pensionskassen üblich, auch Lebenspartner im Todesfall zu begünstigen. Das hilft vor allem Frauen, die nicht verheiratet sind.

Im Fall einer Scheidung wird das während der Ehe erworbene Pensionskassenguthaben beider Partner hälftig geteilt. Das hat die finanzielle Situation geschiedener Frauen stark verbessert.

Neben den genannten grossen Verbesserungen der letzten 28 Jahre gab es noch viele andere Fortschritte in der Gesetzgebung und Ausgestaltung der Sozialsysteme.

Trotz aller Fortschritte sind die Frauen in der Politik auf Landesebene noch deutlich untervertreten. Die Erfolge bei den Gemeindewahlen zeigen, dass durch fleissige und unaufgeregte Arbeit in den Parteien sowie mutige und kompetente Kandidatinnen grosse Fortschritte erzielt werden können. Ich bin optimistisch, dass wir auch bei den nächsten Landtagwahlen hier eine deutliche Verbesserung erleben dürfen.

Sowohl Personen innerhalb der Landesverwaltung als auch staatlich geförderte Organisationen und private Initiativen befassen sich mit viel Engagement mit der Chancengleichheit von Mann und Frau. Mit der immer wieder geäusserten Kritik an der Arbeit dieser Personen und den Forderungen nach noch mehr finanziellen und personellen Ressourcen ist meines Erachtens der Sache nicht gedient. Die Arbeit muss konzentriert fortgesetzt werden.

Ich denke, dass wir zu einer ausgewogenen Beurteilung der Fortschritte und der noch vor uns liegenden Aufgaben kommen sollten. Leider werden die erzielten Fortschritte oft vergessen, aber das ist leider ein in vielen Aspekten zu beobachtendes Phänomen. Erzielte Fortschritte führen oft nicht zu weniger Reklamationen, sondern nur zu Reklamationen auf höherem Niveau. Ich setze mich für ein Miteinander der Geschlechter ein und nicht für einen „Kampf der Geschlechter“ und bedanke mich bei allen Frauen und Männern, welche in einer gelebten gleichberechtigten Partnerschaft in Beziehung, Ehe und Familie unser Land voran bringen.