Wohin steuern Liechtensteins Parteien?

DR. CHRISTIAN FROMMELT Politikwissenschaftler, Direktor des Liechtenstein-Instituts

Es gibt verschiedene Ansätze, um die Entstehung politischer Parteien zu erklären. Soziostrukturelle Ansätze z. B. thematisieren die Relevanz gesellschaftlicher Konfliktlinien. Angesichts der im internationalen Vergleich hohen sozialen Homogenität Liechtensteins bieten soziostrukturelle Ansätze eine gute Erklärung für die historische
Dominanz der beiden Grossparteien VU und FBP sowie für ihre geringe ideologisch-programmatische Distanz. 

Auch institutionelle Faktoren wie das Wahlrecht können ein Parteiensystem beeinflussen. Mit Blick auf Liechtenstein ist in diesem Zusammenhang die hohe Sperrklausel hervorzuheben, wonach nur Wählergruppen für die Mandatszuteilungen berücksichtigt werden, die wenigstens acht Prozent der im ganzen Land abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben. Die hohe Sperrklausel und das Grundmandatserfordernis haben in Liechtenstein mehrfach neuen Parteien den Weg ins Parlament versperrt und haben darüber hinaus eine abschreckende Wirkung. Andererseits ist es in Liechtenstein verhältnismässig einfach, einen Wahlvorschlag einzureichen, da 30 amtlich beglaubigte Unterschriften genügen. Durch die Kleinräumigkeit Liechtensteins kann eine neue Partei zudem relativ leicht die für einen Wahlerfolg nötige Sichtbarkeit und Resonanz erzielen. 

Die jüngsten Entwicklungen im liechtensteinischen Parteiensystem lassen sich vor allem mit Konflikten um organisatorische Fragen erklären. So gründete der Austritt von Harry Quaderer aus der VU im Jahr 2011 in unterschiedlichen Vorstellungen über die Partei-
organisation. Auch der Austritt von Johannes Kaiser aus der FBP und die Aufspaltung der DU scheinen durch persönliche Auseinandersetzungen zwischen Parteiexponenten und unterschiedliche Meinungen zu den Parteistrukturen motiviert. 

Diese Ereignisse fallen aber auch in eine Zeit, in der gesellschaftliche Konflikte politische Debatten stark prägen. Hervorzuheben sind die Diskussionen um die gerechte und richtige Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sowie die Politisierung nationalstaatlicher Souveränität. Damit verbunden ist die Frage, wie offen nationale Grenzen für Handel, Menschen und Ideen sein sollen und welche Gremien die dazu nötigen Regeln erlassen dürfen. Diese Konflikte spielen auch in Liechtenstein eine Rolle. So beeinflussten die Spardiskussionen den Ausgang der Abstimmung über den Finanzbeschluss zur Tour de Ski, und das Motiv der nationalstaatlichen Souveränität prägt die Debatte über den Migrationspakt.

In der programmatischen Ausrichtung der Parteien Liechtensteins widerspiegeln sich solche Konflikte bisher aber nur bedingt. Dies auch deshalb, weil die beiden Grossparteien in der Tradition klassischer Volksparteien danach streben, Konflikte zugunsten des Gemeinwohls auszutarieren, statt singuläre und situative Interessen abzubilden. Zugleich versuchte die DU bisher, sich stärker durch einen neuen Politikstil als durch politische Inhalte von den etablierten Parteien abzugrenzen. Einzig die FL ist stets um ein klares ideologisches Profil bemüht. 

Politische Parteien sollen die gesellschaftliche Wirklichkeit reflektieren und rivalisierende Interessen und Werte artikulieren. Dass es dazu in einer pluralen Gesellschaft mehr als zwei Parteien benötigt, erscheint selbstverständlich. Eine höhere Anzahl Parteien muss sich dabei nicht negativ auf die Effektivität und Effizienz des politischen Systems auswirken. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die ideologische Distanz zwischen den einzelnen Parteien eine Zusammenarbeit in der Regierungsverantwortung nicht ausschliesst und die Parteien genügend geschlossen auftreten. Letzteres verlangt wiederum klare Parteistrukturen. Ist dies alles gewährleistet, stellt der verstärkte Parteienwettbewerb für Liechtenstein eine Chance dar und könnte die politischen Parteien als Schlüsselakteure im politischen System nachhaltig stärken.