Die grosse Koalition im (Dauer-) Wahlkampf

Wolfgang Marxer, Stv. Landtagsabgeordneter Freie Liste

Nicht nur die Weihnachtszeit, auch die Vorwahlkampfzeit hat wieder begonnen. Das heisst nichts anderes, als dass gesunder Menschenverstand und Sachlichkeit temporär aus der Politik der Koalitionspartner verschwinden. Vor vier Jahren bereits habe ich im Weiss Magazin im Beitrag «Alles Wahlkampf – oder was?» auf das Wahlkampfgebaren der Grossparteien hingewiesen. Jetzt geht es wieder los. 

Text: Wolfgang Marxer, Stv. Landtagsabgeordneter Freie Liste

Die damalige Analyse der Freien Liste wurde wie erwartet nie ernsthaft zur Kenntnis genommen. Aber genau drei Jahre später, ebenfalls am Ende des zweiten Jahres einer neuen Legislaturperiode und im gleichen Koalitionsbündnis, präsentieren sich VU und FBP noch stärker im Wahlkampfmodus. Die «Grossen» kreisen um sich selbst und verstricken sich immer wieder in politische Gemetzel, nachzulesen fast täglich in ihren Parteiorganen. War in der letzten Legislaturperiode die Sanierung des Staatshaushalts der gemeinsame Nenner, herrscht derzeit ein Jekami (jede/jeder kann mitmachen …) der übleren Sorte. Als Oppositionspartei könnte man ja über die Scharmützel schmunzeln, welche sich Schwarz und Rot liefern bzw. welche sich in den Reihen der FBP abspielen. Aber: Das Ausmass, die Konstanz und die Absurdität dieser politischen Ränkespiele schaden der Politik insgesamt. 

Am Rande einer Implosion
Sie führen dazu, dass die grosse Koalition an den Rand einer Implosion gebracht wird und die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt enorm leidet. Da werden Krisen herbeigeredet, die es eigentlich gar nicht gibt. Denken die beiden Grossparteien wirklich, dass die Leute nicht verstehen, was da abgeht? Fast wie in Deutschland könnte kommentiert werden: Das Martyrium der grossen Koalition muss ein Ende haben.

Was haben Regierung und Landtag in dieser Legislatur – nach einem guten Drittel ihrer Laufzeit – neu aufgegleist und in die Wege geleitet? In Angriff genommen? Von erreicht will ich gar nicht sprechen. Die grosse Koalition hat offenbar völlig das Gespür für Wirkung verloren, ignoriert, was in der Bevölkerung als konstruktive, nachhaltige Entwicklung verstanden wird. Da wird brav verwaltet, da wird administriert und gehofft, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. In keinem der wichtigen Themen aus dem letzten Wahlkampf, aus dem Regierungsprogramm oder aus den Staatsfeiertags-Reden sind wir auch nur einen kleinen Schritt weiter. Und auch ein Zeichen wachsender, gerade parteiinterner Unzufriedenheit: Die Regierung wird mit parlamentarischen Vorstössen aus ihren eigenen Reihen geradezu bombardiert.

Das Martyrium der grossen Koalition muss ein Ende haben.
Wolfgang Marxer, Stv. Landtagsabgeordneter Freie Liste

Selbstprofilierung
Ohne Kursänderung in der grossen Koalition werden diese Regierung und dieser Landtag am Ende so in Erinnerung bleiben: geprägt von gegenseitigen Anschuldigungen und persönlichen Diffamierungen, von kleinkarierten Vorwürfen, von Fraktionen, die konzeptlos und uneinheitlich agieren und für die Selbstprofilierung das Mass der Dinge zu sein scheint, von Attacken auf Regierungsmitglieder parteiintern und (selbstverständlich) im Parteienwettstreit, von Gezänk in den eigenen Reihen. Wozu? All dies hat nichts mit den politischen Aufgaben zu tun, für welche Politiker gewählt sind. Es geht häufig einzig darum, sich ein «kämpferisches» Image für den nächsten Wahlkampf aufzubauen.

Esrumort
Offensichtlich rumort es in fast allen Parteien. Für diese Erkenntnis würde es die Nebengeräusche aus DU, DPL oder durch den FBP-Parteiaustritt des Abgeordneten Kaiser nicht benötigen. Bei dieser inszenierten Aufgeregtheit sind die Töne der Freien Liste geradezu moderat. Sie konzentriert sich auf ihre Arbeit anhand ihres Wahlprogramms und versucht, ihre Themen wie z. B. ökologische Landwirtschaft, neue Form der Medienförderung, Mobilitätsmanagement, soziale Gerechtigkeit, aber auch Steuerthemen auf der politischen Agenda zu halten.

«Haben Parteien eine Zukunft?»
Dies wurde kürzlich an einer Veranstaltung gefragt. «Ja», war die Antwort, aber welche Zukunft, müsste nachgefragt werden. Denn welches Schicksal Grossparteien quer durch Europa erleiden, lässt sich fast im Wochenrhythmus verfolgen und wird auch vor Liechtenstein nicht Halt machen. Eigentlich doch ein Grund zu Freude für die Freie Liste? Jein! Ja, es mag gut sein für eine kleine Partei wie die Freie Liste mit ihren Grundwerten; nein, es ist nicht gut, weil damit allgemein das Vertrauen in die Politik und in die Parteien schwindet.