Liechtensteinische Parlamentarier kritisieren die Schweiz

Die freundschaftlichen Beziehungen sind getrübt – unter anderem wegen des ausgehandelten Doppelbesteuerungsabkommens

Günther Meier, Vaduz

 

Kommt ein Bundesrat aus Bern auf Besuch nach Liechtenstein, ist der Tisch jeweils fein gedeckt, die Beziehungen werden als sehr freundschaftlich bezeichnet und die Rolle der Schweiz als wichtigster aussenpolitischer Partner entsprechend gewürdigt. Unter dem Tisch allerdings rumort es seit einiger Zeit. Die grün-alternative Freie Liste sieht har die «gute Nachbarschaft auf dem Prüfstand», nachdem Liechtenstein in jüngster Vergangenheit bei allen Verhandlungen der Schweiz den Kürzeren gezogen habe. Allerdings richtet sich die Kritik nicht nur gegen die Schweiz, sondern auch gegen die eigene Regierung, die nach Ansicht von Parlamentariern nicht mit dem nötigen Selbstbewusstsein und dem erforderlichen Nachdruck verhandelt hat.

 

Nachverhandlungen gefordert
Ausdruck des vor allem im Parlament geäusserten Unmuts ist die Abstimmung über das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit der Schweiz: Im Unterschied zu früheren, einstimmigen Beschlüssen stimmten im Frühjahr 2016 nur 19 der 25 Abgeordneten dem DBA zu, nachdem etliche Redner ihre Enttäuschung über die unnachgiebige Haltung der Schweiz gegenüber den liechtensteinischen Forderungen nach der Einführung einer Quellenbesteuerung für Grenzgänger aus der Schweiz deutlich artikuliert hatten. Der damalige Antrag der Freien Liste, das DBA zurückzuweisen und neu mit Bern zu verhandeln, erhielt zwar keine Mehrheit, doch die Forderung nach Nachbesserungen in Nachverhandlungen steht erneut im Raum. Anlass dazu bildet die mit dem DBA geänderte Besteuerungspraxis für die Angestellten aus dem Fürstentum im benachbarten Spital Grabs, die neu ihre Steuerpflicht nicht mehr in Liechtenstein erfüllen können, sondern wesentlich höher vom Kanton St. Gallen besteuert werden. Auf eine Intervention im Parlament erklärte Regierungschef Adrian Hasler dazu resigniert, bei Gesprächen habe St. Gallen «keinerlei Entgegenkommen signalisiert» und werde sein Besteuerungsrecht durchsetzen.

Die Erklärung, die geänderte Besteuerungspraxis hänge mit der Reorganisation der Spitalfinanzierung zusammen, lässt die Freie Liste nicht gelten. Liechtenstein leiste zwar keine direkten Investitionskosten mehr am die St. Galler Spitäler, doch seien im neuen Abrechnungsmodus durchaus Investitionskosten enthalten.

 

Fragen zu Geldflüssen
Um der Forderung nach Neuverhandlungen etwas Nachdruck zu verleihen, reichten Parlamentarier eine umfangreiche Interpellation über die Geldflüsse im Gesundheitswesen zwischen der Schweiz und Liechtenstein ein. Nach ihren Berechnungen fliessen jährliche rund 100 Millionen Franken aus Liechtenstein in das Gesundheitswesen in der Schweiz, während der Geldfluss in die umgekehrte Richtung lediglich etwa 8 bis 10 Millionen Franken betrage. Verbunden wird diese Forderung nach eingehender Untersuchung der Geldflüsse gebe, die in die Waagschale geworfen werden könnten. Genannt werden die schon beim Doppelbesteuerungsabkommen erwähnten Zahlen, wonach die Schweiz einseitig die Lohnsumme der schweizerischen Grenzgänger erhebt. Und erneut wird kritisch angeführt, die Schweiz beansprucht von ihrem Nachbarstaaten bei den Grenzgängern einen Teil des Steuerkuchens für sich, was sie – im Unterschied zu Österreich – Liechtenstein in Form einer Quellensteuer verweigere.

Beschwichtigende Worte über das sonst freundnachbarliche Verhältnis reichen dem Parlament offensichtlich nicht mehr. Die Demonstrationen einer selbstbewussteren Haltung lieferten die Abgeordneten im vergangen Dezember, als sie ein zwischen Bern und Vaduz ausgehandeltes Abkommen über eine neue grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung mehrheitlich versenkten. Das Abkommen wurde als nachteilig für Liechtenstein bezeichnet; es berücksichtige die Bedürfnisse Liechtensteins nicht ausreichend. Nicht ausgeblieben bei der Kritik ist der Hinweis, wie bei verpassten Quellensteuer für Schweizer Grenzgänger wäre bei einer Zustimmung wieder eine Vereinbarung zum Nachteil Liechtensteins in Kraft gesetzt worden.

 

Hürden für Unternehmen
In der Kritik der Parlamentarier schwingt. Nicht nur Unverständnis über die Haltung der Schweiz mit, sondern ebenso die Befürchtung, im einst praktisch völlig freien Wirtschaftsraum könnten unnötige Hürden erreicht werden. Als abschreitenden Dienstleistungsverkehr genannt. Während beinahe zwanzig Jahren hätten sich liechtensteinische Unternehmer, die Aufträge in der Schweiz hätten ausführen wollen, mit marktverzerrenden, administrativen Hürden herumschlagen müssen, die ihnen die Schweiz auferlegt habe, kritisiert Thomas Lageder, Abgeordneter der Freien Liste. Weil die Schweiz nicht bereit gewesen sei, im sonst gemeinsamen Wirtschaftsraum auf diese Hürden zu verzichten, habe Liechtenstein «gleich lange Spiesse» installieren müssen, die nun schweizerischen Unternehmern die Arbeit in Liechtenstein erschwerten.

Lageder, der im Parlament versucht hatte, das DBA mit der Schweiz zu Fall zu bringen, plädiert in Zukunft für härtere Verhandlungen zur Durchsetzung der liechtensteinischen Interessen. Wenn die Regierung dies nicht mit aller Konsequenz mache, müsse man sich nicht wundern, wenn die besonderen Beziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein vor allem dem Vorteil der Schweiz dienten.

 

Quelle: Neue Zürcher Zeitung -> NZZ_22-05.2018_69665041