Traditionsgemäss trifft sich die «lie:zeit» mit dem Durchlauchten Landesfürsten und mit dem Durchlauchten Erbprinzen auf Schloss Vaduz, um ihre Meinung über aktuelle Themen, die die Menschen im Lande betreffen, zu erörtern. Wir haben vor Kurzem mit S. D. Erbprinz Alois folgendes sehr aufschlussreiche Gespräch geführt.

Interview: Herbert Oehri und Egon Gstöhl  ·  Fotos: Oliver Hartmann

 

Durchlaucht, Wir leben in einer sich sehr schnell wandelnden Zeit. Wie sehen Sie die Zukunft unseres kleinen Staates? 

S. D. Erbprinz Alois von Liechtenstein: Solange die Verhältnisse in Europa stabil bleiben und es zu keinem für uns schädlichen Protektionismus in unseren wichtigsten Absatzmärkten kommt, sehe ich die Zukunft Liechtensteins für die nächsten 5 bis 10 Jahre sehr positiv. Mit unserer sehr gut ausgebildeten Bevölkerung und den attraktiven Rahmenbedingungen haben wir trotz grosser Herausforderungen eine gute Ausgangslage.

Sind Sie der Meinung, dass die Sanierung des Staatshaushalts und der  Sozialversicherungen abgeschlossen ist?

Die Sanierung des Staatshaushaltes im Sinne einer ausgeglichenen Jahresrechnung ist abgeschlossen. Um den Staatshaushalt langfristig im Lot und die Sozialversicherungsprämien erträglich zu halten, benötigen wir jedoch in den nächsten Jahren weitere Reformen bei den Sozialversicherungen.

Sie sagten in Ihrer Rede zum Staatsfeiertag 2017, dass uns «national vor allen Dingen die technologische und die demographische Entwicklung in den nächsten Jahren sehr stark fordern werden». Können Sie uns das konkret erklären?

Der immer raschere technologische Wandel fordert uns in verschiedener Hinsicht: Die Anzahl an Arbeitsplätzen für weniger Qualifizierte nimmt ab. Die Bedeutung der Sicherheit und Stabilität der digitalen Infrastruktur für die Standortattraktivität steigt. Schliesslich wirft der technologische Wandel neue ethische Fragen auf – insbesondere im Bereich des Datenschutzes.

«Bei der Verteilung der Steuergelder sollten wir darauf achten, diese möglichst zielsicher einzusetzen.»

Auch die demographische Entwicklung fordert uns in mehrfacher Hinsicht: Sie führt zu einer grossen Belastung für unsere Sozialversicherungen, weil der Anteil der Bezieher von Versicherungsleistungen im Vergleich zum Anteil der Einzahler in die Versicherungen erheblich steigt. Ausserdem können Unternehmen aufgrund des Geburtenrückgangs weniger lokale Arbeitskräfte rekrutieren und müssen bei einem bereits sehr ausgetrockneten Arbeitsmarkt einen immer grösseren Aufwand betreiben, um an die nötigen Fachkräfte zu gelangen.

Sie sprachen auch die Gestaltung notwendiger Reformen auf den verschiedensten Ebenen an. An welche Reformen haben Sie dabei vordringlich gedacht? 

In dieser Legislaturperiode sollten wir ausreichend Schritte in Richtung einer nachhaltigen Finanzierung der Pflege und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen. Ausserdem sollten wir unser Bildungssystem und die zweite Säule der Altersvorsorge weiter optimieren. Schliesslich sollten wir unsere internationale Darstellung und – vor allem im Hinblick auf die digitale Revolution – unsere Rahmenbedingungen verbessern.

Dasselbe gilt auch für die Verteilung von Steuergeldern. Was ist auch hier grundsätzlich zu beachten? 

Bei der Verteilung der Steuergelder sollten wir darauf achten, diese möglichst zielsicher einzusetzen. Deshalb sollten sie nicht mit der Giesskanne verteilt werden, sondern primär jenen Personen zukommen, die sie wirklich benötigen, und in jene Projekte fliessen, die unsere Ausgangslage für die Zukunft verbessern.

Wie stehen Sie zu den Staatsgarantien für staatsnahe Institutionen und den damit verbundenen Risiken für den Staatshaushalt selbst?

Meiner Ansicht nach sollte das Land weder für staatsnahe Institutionen noch für die Gemeinden Garantien übernehmen. So stellt z. B. im Bereich der staatsnahen Institutionen eine Bank immer ein erhebliches Risiko dar, egal, wie gut sie geführt ist. Im Bereich der Gemeinden zeigen die Erfahrungen in unseren Nachbarstaaten, dass Gemeinden und ihre Kreditgeber finanziell klüger und vorsichtiger agieren, wenn sie Pleite gehen können und nicht der Staat für unverantwortliches finanzielles Gebaren der Gemeinden geradestehen muss.

Thema Pflegeversicherung: Sind Sie der Meinung, dass wir für die Zukunft eine solche Versicherung brauchen? Und wie soll die Finanzierung der Alterspflege in Zukunft am besten erfolgen? 

Es gibt verschiedene Ansätze, die Finanzierung der Pflege in Zukunft zu sichern. Eine Variante, die aber nur einen hilfreichen Teilschritt in diese Richtung vollzieht, ist das vom Thinktank «Zukunft.li» vorgestellte Alterssparen. Eine andere Variante, mit der die Alterspflege je nach Ausgestaltung auch zur Gänze finanziert werden könnte, wäre eine Pflegeversicherung. Eine solche sollte allerdings nicht umlagefinanziert, sondern kapitalgedeckt konzipiert sein. Dazu müsste man für eine Übergangsgeneration den Einstieg aus den Staatsreserven finanzieren, was meiner Ansicht nach eine sinnvolle Zukunftsinvestition wäre, weil wir alle von einer nachhaltig finanzierten Alterspflege profitieren würden.

Die Krankenversicherungsprämien steigen jährlich. Zahlreiche, meist ältere Menschen oder Alleinerziehende klagen immer häufiger. Viele gehen schon gar nicht mehr zum Arzt mit möglicherweise fatalen gesundheitlichen Folgen. Die Politik versucht, der Spaltung in eine Zweiklassengesellschaft entgegenzuwirken. Aber sind wir nicht schon mitten drin in dieser zweigeteilten Gesellschaft?

Im Grunde hatten wir in der Medizin schon immer eine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft, weil Vermögende zusätzliche medizinische Leistungen beziehen konnten, die finanziell weniger gut Ausgestattete sich nicht leisten konnten. In der Vergangenheit konnte die Grundversicherung jedoch die zumindest aus der Sicht der Mehrheit nötigen medizinischen Leistungen zu erträglichen Kosten bzw. auch Versicherungsprämien abdecken, wodurch sich in der Praxis kein Problem einer Zweiklassengesellschaft ergeben hat. Aufgrund der technologischen und teilweise auch der demographischen Entwicklung sind die Gesundheitskosten und damit auch die Versicherungsprämien in letzter Zeit aber markant gestiegen. Leider wird sich dieser Trend vermutlich in Zukunft noch verstärken, sofern sich nicht dank der technologischen Entwicklung – insbesondere der Digitalisierung – auch Kostensenkungen im Gesundheitswesen erreichen lassen.

«Meiner Ansicht nach sollte das Land weder für staatsnahe Institutionen noch für die Gemeinden Garantien übernehmen.»

Dem Kostenanstieg kann man meiner Ansicht nach nur auf drei Arten begegnen: Wir erhöhen die Versicherungsprämien, wir setzen Anreize, dass Gesundheitsleistungen möglichst nur dann bezogen werden, wenn sie wirklich nötig sind, oder wir beschränken die Grundversicherung auf die jeweils kostengünstigeren und wirklich nötigen medizinischen Leistungen. Bei der jüngsten Gesundheitsreform wurden vor allem Änderungen im Bereich der Anreizsetzung vorgenommen, was den Anstieg der Versicherungsprämien reduziert haben dürfte. Ausserdem wurde versucht, die staatlichen Mittel weniger mit der Giesskanne an alle Versicherten zu verteilen, sondern gezielter in Form von Prämiensubventionen jenen zukommen zu lassen, die diese am meisten benötigen. Wir werden im Gesundheitsbereich aber weitere Anstrengungen benötigen – insbesondere auch eine Diskussion, welche medizinischen Leistungen die Grundversicherung überhaupt abdecken soll. Daher begrüsse ich es sehr, dass das Gesundheitsministerium eine Diskussionsplattform zur Zukunft des Gesundheitswesens ins Leben gerufen hat.

Wir möchten Ihnen noch gerne die eine oder andere Frage zur Aussenpolitik stellen. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige politische Situation in Europa?

Europa steht vor grossen Herausforderungen. Vor allem vor der Frage, wie man die Flüchtlings-und Migrationsproblematik löst. Hinzu kommt noch der Ausstieg Grossbritanniens aus der EU. Die Verhandlungen über den Brexit sind bis jetzt sehr schleppend verlaufen, nicht zuletzt auch, weil sowohl in Grossbritannien als auch in wichtigen EU-Staaten derzeit schwierige politische Verhältnisse herrschen. Hinzu kommt die knapp bemessene Zeit, um beim Brexit-Ausstieg zu einem Ergebnis zu gelangen. Es steht im Grunde nur noch ein knappes Jahr zur Verfügung, um eine vernünftige Lösung zu finden. Ich beobachte diese Entwicklung mit einer gewissen Sorge.

«Im Grunde hatten wir in der Medizin schon immer eine Zwei- oder Mehrklassengesellschaft.»

Es arbeiten schätzungsweise 80 bis 100 Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner in Grossbritannien, die allermeisten vermutlich im Finanzwesen. Wie sehen Sie den Brexit aus Sicht unseres Landes?

Aus liechtensteinischer Sicht gibt es verschiedene Themenfelder: Erstens, wie man sicherstellen kann, dass die Regelungen bezüglich Liechtensteiner Staatsbürger, die in Grossbritannien leben und arbeiten, möglichst so beibehalten werden wie bis anhin. Umgekehrt gilt dies auch für die Briten, die in Liechtenstein arbeiten. Zweitens ist Grossbritannien unser siebtgrösster Handelspartner. Entsprechend wollen wir auch für die Zukunft einen möglichst freien Handel mit Grossbritannien sichern. Drittens haben wir ein Interesse, dass eine künftige Freihandelslösung zwischen Grossbritannien und der EU unsere Integration in den Europäischen Wirtschaftsraum nicht beeinträchtigt.

In Deutschland ist die angestrebte Jamaikakoalition gescheitert und die Angst geht um, dass die rechtspopulistische Partei AfD bei möglichen Neuwahlen noch stärker werden könnte. Wie beurteilen Sie persönlich die Situation in Deutschland?

Die deutsche Politik tut sich sehr schwer, eine stabile Regierung zu bilden. Wie es momentan, also Ende November, den Anschein macht, läuft es auf eine grosse Koalition von Union und SPD hinaus. Angesichts der grossen Herausforderungen für Europa wäre es sehr wichtig, dass Deutschland als einflussreichster EU-Staat möglichst bald eine stabile Regierung erhält.

Durchlaucht, dürfen wir Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen: Wie verbringen Sie und Ihre Familie die Weihnachtsfeiertage? 

Die Weihnachtstage verbringen meine Familie und ich zu Hause. Nach Weihnachten werden wir noch für einige Tage ins Ausland fahren.

«Wir sollten ausreichend Schritte in Richtung einer nachhaltigen Finanzierung der Pflege und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzen.»

Morgen in Ihrem Briefkasten: lie:zeit 61 – Interview plus Neujahrsbotschaften