Am 5. Mai 1924 überquerte Ernst Sommerlad (1895-1977) auf seinem Fahrrad die Rheinbrücke von Buchs nach Schaan, in seinem Gepäck ein Architekturdiplom der TU Darmstadt, 500 Schweizer Franken sowie viel Optimismus und Selbstvertrauen.
Text: Britta Hentschel
Seine Vita bis dahin liest sich bereits wie ein Abenteuerroman: Der Sohn eines hessischen Revierförsters hatte im Ersten Weltkrieg als Soldat in der Eliteeinheit des deutschen Alpenkorps an allen kriegsentscheidenden Schlachten der Alpenfront, aber auch in Verdun gekämpft. Es gelang ihm zweimal aus französischer Kriegsgefangenschaft zu fliehen und so der Deportation nach Afrika zu entgehen. Zu Fuss rettete er sich über die Pyrenäen ins neutrale Spanien. Als Einziger seiner Einheit überlebte er so den Krieg und kehrte unter falschem Namen nach Deutschland zurück, um sein Architekturstudium zu beenden.
Die darniederliegende Wirtschaft und die Hyperinflation in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg bewogen Erst Sommerlad zunächst, in die USA auszuwandern, doch beim Skifahren im Kleinwalsertal liess ihn eine Briefmarke auf das kleine Fürstentum Liechtenstein aufmerksam werden und seine Pläne ändern. Entgegen der Einschätzung des Liechtensteiner Bauamts, dass es kein nationales Bedürfnis gäbe, Sommerlad als Architekt die Niederlassung und Berufsausübung zu gestatten, setzten sich die lokalen Bauhandwerker für ihn ein, in der Hoffnung, durch ihn Aufträge zu erhalten. So konnte der 29-jährige Sommerlad im August 1924 das erste Architekturbüro Liechtensteins eröffnen, zunächst in Schaan, später in Vaduz.
Im bis dahin ländlich geprägten Kleinstaat war moderne Architektur noch vollkommen unbekannt. Die lokalen Handwerker und Baufachleute bauten in bäuerlicher Tradition, und für die wenigen Repräsentationsbauten des Landes hatte das Fürstenhaus stets Wiener Architekten bestellt. Entsprechend skeptisch stand die Liechtensteiner Bevölkerung den Architekturvorstellungen Sommerlads gegenüber, der sich leichter, industriell gefertigter Baumaterialen wie Heraklith oder Stahlrohr bediente, flache Dächer und einfache, klare, bisweilen skulptural in die Landschaft ragende Kubaturen bevorzugte.

Fotograf: unbekannt, Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv
Sommerlad hatte aber ohnehin ein anderes Bauherrnklientel, oder wie er sie nannte, «Baulustige», im Sinn: Zusammen mit seiner Ehefrau Gertrud, die ihm aus Hessen nach Liechtenstein nachgefolgt war und über Jahrzehnte kongenial mit ihm das Architekturbüro führte, schaltete Sommerlad Anzeigen in den grossen deutschen Tageszeitungen. So wurden vor allem deutsche Industrielle und Privatiers seine Bauherren, die zugleich von den neuen Möglichkeiten der Niederlassung, der Finanzeinbürgerung und des Stiftungs- und Treuhandwesens in Liechtenstein profitierten.
Als Gründungsmitglied des Tennisclubs Vaduz und des Automobil-Clubs Liechtenstein prägte Sommerlad nicht nur architektonisch ein neues urbanes Savoir-vivre. Als einer der ersten Skifahrer im Land war er auch unter den Erstrettern bei der sogenannten «Rotter-Entführung» 1933 durch liechtensteinische und deutsche Nationalsozialisten, bei welcher der jüdische Berliner Theaterdirektor Alfred Rotter und seine Frau im alpinen Gelände zu Tode stürzten. Nicht nur dieses Verbrechen bewog Sommerlad auf klare Distanz zur NSDAP und zum Dritten Reich zu gehen. 1939 wurde ihm deshalb die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Das Fürstentum verweigerte ihm auf Befehl von Berlin über Zürich die Liechtensteiner Staatsbürgerschaft. Bis zur Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft 1950 war Sommerlad somit staatenlos und konnte den Kleinstaat nicht verlassen.
Doch Ernst Sommerlad baute weiter, trotz Berufsverbots in der Schweiz, über Mittelsmänner in St.Gallen, Appenzell AR, Graubünden und in Vorarlberg. Neben den vielen Villen und Landhäusern ab den späten 1920er Jahren in dem von ihm anstelle der Allmende geschaffenen Villenquartier Ebenholz rund um die heutige Universität Liechtenstein – wie zum Beispiel die Häuser Rheinblick, Feix, Zickert oder Sommerlads eigens Haus – errichtete er unter anderem die Pfälzerhütte auf dem Bettlerjoch. Zahlreiche Bauten in Vaduz und Schaan kamen hinzu, wie das leider mittlerweile abgerissene Erstlingswerk Café Risch von 1924 oder das zusammen mit dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch erbaute und gegen massive Proteste 2005 ebenfalls abgerissene Haus Ferster für einen Haarölfabrikanten aus dem Jahr 1950. Aber auch Ferienhäuser und Villen auf Masescha oder 1958 eines der ersten Motels im Alpenraum für die motorisierte Freizeitgesellschaft der Nachkriegsjahre auf Matschils. Die Moderne machte der Architekt beispielsweise auch mit dem Kurhaus Kardia im appenzellischen Gais 1936 oder mit dem Haus Juchler II im gleichen Jahr in Teufen heimisch sowie mit dem Haus Miramunt, einer Arztpraxis mit Wohnung, 1937 im Bündner Arosa. Zwischen 1960 und 1963 baute Sommerlad im nahen Buchs auf der anderen Rheinseite mit den Sternhäusern erste Hochhäuser.

Fotograf: unbekannt, Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv
Seine Bauten bewegten sich dabei stets auf der Höhe des jeweiligen Architekturdiskurses. Nie kopierte oder adaptierte er das Werk anderer. Sommerlad schuf ganz eigene Interpretationen des Neuen Bauens für den alpinen und subalpinen Raum des Fürstentums, der Ostschweiz und des Vorarlbergs und katapultierte die Region so in die Moderne.
Als Sommerlad 1974 nach 50-jähriger Tätigkeit sein Architekturbüro schloss, konnte er auf über 200 Bauten und Ensembles zurückblicken, die nun anlässlich seines 130. Geburtstags erstmals eine wissenschaftliche Analyse und breite Betrachtung erfahren.
Symposium mit Ausstellung und Buchvernissage
am 27. November 2025
10.00-17.00 Uhr
Wissenschaftliches Symposium zum Werk von Ernst Sommerlad (1895–1977) unter Beteiligung von ArchitekturhistorikerInnen, Geografen, Denkmalpflegenden und StaatsrechtlerInnen.
17.30-19.30 Uhr
Buchvernissage zu «Ernst Sommerlad Architekt 1895–1977, Bauen im Fürstentum Liechtenstein, in den Kantonen St. Gallen, Appenzell AR, Graubünden und in Vorarlberg» (Park Books) und Eröffnung der Ausstellung «Sommerlad. Zweite Lesung» (27. November bis 3. Dezember 2025) mit Studierendenarbeiten der Universität Liechtenstein und der OST Fachhoch-schule Ostschweiz zum Werk von Sommerlad





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