Das Kampfblatt der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein
Am 5. Oktober 1940 herrschte hektische Aufregung in der Bevölkerung. Die erste Ausgabe der Zeitung «Der Umbruch» war verteilt worden. Herausgeber der neuen Zeitung war die Volksdeutsche Bewegung, die den Nationalsozialismus im Land einführen wollte. Das «Kampfblatt», wie sich die Zeitung nannte, erschien bis 1944, bis die Regierung die weitere Herausgabe verbot.
Das Deutsche Reich entfesselte am 1. September 1939 den Zweiten Weltkrieg. Adolf Hitler erklärte im Reichstag, seine Geduld mit Polen sei zu Ende, seit 5 Uhr 45 werde zurückgeschossen. Ein Jahr später herrschte nach den kriegerischen Erfolgen der deutschen Wehrmacht grosse Unsicherheit in Europa, wie sich der Krieg entwickeln werde. Diese unsichere Situation nutzte die Volksdeutsche Bewegung aus, die seit ihrer Gründung im Jahr 1938 den Anschluss Liechtensteins an Hitler-Deutschland und die gesellschaftliche Umformung des Landes nach dem Vorbild des deutschen Nationalsozialismus forderte. Um die Bevölkerung über ihre Ziele zu informieren, gab die Volksdeutsche Bewegung ab dem 5. Oktober 1940 eine eigene Zeitung heraus. Schon der Zeitungskopf des neuen Blattes fasste die Botschaft zusammen, was Liechtenstein künftig von der Volksdeutschen Bewegung zu erwarten hatte: Umbruch der Gesellschaft, Kampf gegen die Regierung und die anderen Parteien, um ihre Ziele zu erreichen. Der Zeitungskopf enthielt ausserdem eine Symbolik durch die drei gewählten Farben. Der Titel «Der Umbruch» war in roter Farbe gedruckt und wurde ergänzt von der schwarzen Unterzeile «Kampfblatt der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein». Schwarz-Weiss-Rot waren die drei Farben, die von der NSDAP in Deutschland für die Hakenkreuzflagge verwendet wurden. Das Hakenkreuz selbst fehlte im Zeitungskopf, weil dessen Verwendung in Liechtenstein verboten war, aber später dennoch ab und zu bei der Illustration von Artikeln auftauchte.
Fette Schlagzeilen dominierten das Erscheinungsbild
Wer den «Umbruch» noch nicht erhalten oder gelesen hatte, erfuhr über den Auftritt der neuen Zeitung aus dem «Liechtensteiner Volksblatt», allerdings nur in einer kurzen Notiz: «Am Samstag ist eine neue Zeitung herausgekommen. Sie nennt sich «Der Umbruch». Martin Hilti, Schaan, zeichnet als Schriftleiter. Als Mitarbeiter werden genannt: Dr. Alfons Goop, Dr. Sepp Ritter und für Soziales Dr. Hermann Walser. Den Anzeigenteil besorgt Gottlieb Gassner, Vaduz, und der Druck ist von U. Göppel, Vaduz.» Inhaltlich setzten sich die Landeszeitungen «Volksblatt» und «Vaterland» noch nicht mit dem «Umbruch» auseinander: Vielleicht wollte man abwarten oder man war bei den Parteizeitungen so überrascht, dass man einige Zeit brauchte, um darauf zu reagieren.
Der Volksdeutschen Bewegung war mit dem «Umbruch» eine grosse Überraschung gelungen. In zweifacher Hinsicht. Erstens hatte kaum jemand mit einer Zeitung der nazifreundlichen Bewegung gerechnet und zweitens hob sich das neue Blatt schon in der Gestaltung vom Erscheinungsbild einer traditionellen Zeitung der damaligen Zeit ab. Fette Schlagzeilen dominierten das Layout, wie der Titel «Umbruch und Neuordnung» oder «80 Millionen Deutsche mit uns». Was die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner bei der Erstausgabe, die nur vier Seiten umfasste, zu lesen bekamen, war keine Berichterstattung. Breit dargelegt wurde, welches Ziel sich die Volksdeutsche Bewegung gesetzt hatte, ein Bestandteil des Deutsches Reiches zu werden: «Seit Jahren hält die Welt den Atem an über das grosse innere und äussere Aufbauwerk des deutschen Volkes und seines Führers. Wir deutsche Menschen in Liechtenstein sind als Bestandteil der grossen Nation und als unmittelbare Nachbarn des Grossdeutschen Reiches um so mehr verpflichtet, dieser Neuwerdung unseres Volks innersten Anteil zu gewähren. Wir haben auch aus anderen Überlegungen heraus allen Grund, unsere Vogel-Strauss-Politik endlich aufzugeben und uns ernsthaft mit den bewährten Lehren der heutigen Wirtschafts- und Lebensauffassung überhaupt auseinanderzusetzen.»
Der «Umbruch» hetzt gegen die Schweiz
Was im «Umbruch» geschrieben und gefordert wurde, hatte sich in Umtrieben der Deutschfreundlichen schon im Sommer abgezeichnet. Die Volksdeutsche Bewegung drückte ihren Anhängern für die Mitgliederwerbung ein «Schulungsblatt» in die Hand, in dem unverhohlen die Abkehr von der Schweiz und die Zuwendung an Deutschland thematisiert wurde. Die Mitbürger sollten gefragt werden, ob Liechtenstein noch selbständig sei – und dann die Antwort geben: Nein, Liechtenstein habe keinen Einfluss auf Zollansätze und Warenpreise, besitze kein Recht zur Mitbestimmung. Die Schweiz als Wirtschaftspartner komme Liechtenstein nicht entgegen bei der Beschäftigung der Arbeitslosen, die Bauern könnten keine Produkte in die Schweiz verkaufen und die jungen Leute hätten keine Perspektiven zur Arbeitsaufnahme im Nachbarland. Ganz anders wäre es bei einer Ausrichtung nach Deutschland: Dort könne man auf eine neue Wirtschaftsordnung bauen, die gestaltet wurde «von einem der unsrigen», vom «Führer Adolf Hitler». Im Leitartikel hiess es in ähnlicher Art: «Als deutsche Menschen dürfen wir nie den Gleichschritt mit der übrigen Nation verlieren. Was würde um Gotteswillen aus uns, wenn wir versuchen sollten, uns vom grossen Baume der Nation loszulösen. Bleiben wir also, was wir immer waren: Deutsche!»
Umgestaltung des Landes nach deutschem Vorbild
Am 14. Dezember 1940 erschien der «Umbruch» mit zahlreichen Forderungen zur Umgestaltung Liechtensteins im nationalsozialistischen Sinne. Unter dem Titel «Wir stehen vor der Entscheidung» versuchten die Volksdeutschen den Eindruck zu verwischen, die Bewegung sei nur destruktiv eingestellt. Die Devise über dem sehr umfangreichen Forderungskatalog lautete: «Untergang und Verarmung unseres Volkes oder Nationalsozialismus!» Gefordert wurde ein «Neubau des Lebens», der einen festen Grund erfordere: «Dieser feste Grund kann aber nur unser deutsches Volkstum sein. Erst dann haben wir ein festes und dauerhaftes Fundament, wenn wir auf den ewigen Werten der deutschen Volksgemeinschaft aufbauen.» Der Katalog an Forderungen weist eine weitgespannte Bandbreite auf: Gefordert wurde etwa das Studium an deutschen Hochschulen, die sofortige Auflösung des Pfadfinderkorps, die Freigabe der verbotenen deutschen Hoheitszeichen, des Hakenkreuzes und der deutschen Farben, das Verbot aller deutschfeindlichen ausländischen Zeitungen und die Mitarbeit der inländischen Presse am Volkstum. Unter den Forderungen befindet sich auch die «Bestrafung offensichtlich deutschfeindlicher Beamter», wobei unter solchen «verantwortungslosen Elementen» Regierungsbeamte, aber ebenso Lehrer und Polizisten verstanden wurden. Für die Umgestaltung des Landes sollte ferner die Einführung einer Planwirtschaft nach deutschem Vorbild erfolgen.
Verbot des «Umbruch» oder mit politischen Mitteln bekämpfen?
Die Schlagzeilen im Umbruch setzten Regierung und Landtag unter starken Druck, nachdem die fettgedruckten Leitsätze gefordert hatten: «Freies Bekenntnis zu unserem deutschen Volke und freie Betätigung für das Volkstum» oder «Deutsche Lebens- und Wirtschafts-Ordnung im Sinne des Nationalsozialismus». Der Landtag befasste sich mit der Frage, wie man sich gegenüber der Volksdeutschen Bewegung verhalten sollte. Regierungschef Josef Hoop erklärte im Landtag, in Anbetracht der staatsschädigenden Tätigkeit der Volksdeutschen müsse «etwas gemacht» werden. Hoop zeigte zwei Möglichkeiten auf: Entweder mit neuen Gesetzen die Bewegung und ihre Umtriebe verbieten oder auf ein Verbot verzichten und dafür die Bewegung mit «geistigen und politischen Mitteln» bekämpfen. Der Regierungschef wies auf die Konsequenzen hin, die sich aus allfälligen Massnahmen ergeben könnten. Wenn eine Bewegung unterdrückt werde, die ein enges Verhältnis zum Deutschen Reich anstrebe, so könnte dies «katastrophale Auswirkungen» haben, man müsse nur an Österreich, die Tschechoslowakei oder Polen denken. Auf der anderen Seite bestehe ein Dilemma gegenüber der Schweiz: Wenn die Bewegung an Mitgliederzahl weiter zunehme, werde die Schweiz misstrauisch und befürchte, in Liechtenstein bahne sich eine Abtrennung von der Schweiz an.
Eine «Allparteien-Konferenz» über die Medien
Auf die Landtagssitzung folgte am 11. Oktober 1940 eine «Allparteien-Konferenz»: Neben Vertretern von FBP und VU auch Vertreter der Volksdeutschen Bewegung sowie der «Nationalen Bewegung», früher die «Heimattreuen» geheissen, die sich für die «unbedingte Erhaltung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit unseres Heimatlandes» einsetzten. Für die Volksdeutschen gab Alfons Goop die Zusage ab, die Volksdeutsche Bewegung gehe verfassungsmässig ihren Weg, es sei Sache des Fürsten und des Volkes, die Zukunft des Landes zu gestalten. Was den «Umbruch» betreffe, betonte Goop weiter, sei eine Schädigung des Landes durch die dort verwendete Schreibweise nur möglich, wenn der «Inhalt falsch interpretiert» werde. Goop unterstrich ferner, die Volksdeutsche Bewegung sei «keine Putschpartei» und habe keinen «Sofortanschluss» an das Deutsche Reich gefordert. Regierungschef Josef Hoop ersuchte zum Schluss der Konferenz die Volksdeutsche Bewegung, «alles zu unterlassen, was eine Trübung des Verhältnisses zur Schweiz bedeuten könnte». Goop erklärte sich laut Protokoll damit einverstanden, fügte aber hinzu, die Zusicherung werden die Volksdeutsche Bewegung aber nicht daran hindern, «über die wahren Verhältnisse in Deutschland und Liechtenstein zu schreiben.»
Nummer 247 war die letzte Ausgabe
Der «Umbruch» erschien beinahe drei Jahre, bis die Regierung ein definitives Verbot verfügte. Meistens war die Zeitung der Volksdeutschen eine Wochenzeitung, wurde zwischendurch aber auch zweimal pro Woche gedruckt. Von Dezember 1942 bis Ende Januar 1943 erliess die Regierung ein befristetes Verbot, das definitive Verbot folgte am 8. Juli 1943. Die Volksdeutsche Bewegung gab nach dem Verbot noch drei Ausgaben unter dem Titel «Aus Liechtenstein» heraus, aber auch das Nachfolgeblatt wurde von der Regierung verboten. Am 12. Februar 1944 erschien nochmals eine Ausgabe des «Umbruch», was sofort ein Verbot der Regierung zur Folge hatte: Die Nummer 247 war damit die allerletzte Ausgabe.




