«Ein letzter Wahlkampf-Effort kann sich lohnen»

Thomas Milic, Forschungsleiter Politik am Liechtenstein-Institut hält am 3. April in Vaduz einen Vortrag zu den Landtagswahlen 2025.

«Fair, gesittet und sachlich»: Mit diesen Worten charakterisiert Thomas Milic, Forschungsleiter Politik am Liechtenstein-Institut, den laufenden Wahlkampf. Woran dies seines Erachtens liegt und wie sich die Kanäle ändern, auf denen die Parteien ihr Botschaften an die Wählerschaft bringen, schildert er im Interview. Ganz vorbei ist der Wahlkampf für Milic derzeit übrigens noch nicht. Selbst wenn die weitaus meisten Wahlberechtigten ihre Entscheidung bereits getroffen haben.

Interview: Heribert Beck

Wie haben sie den Wahlkampf seit der Nomination der Regierungskandidaten der beiden Volksparteien im vergangenen August generell erlebt?
Thomas Milic: Der Wahlkampf wurde recht intensiv geführt. Selten sind so viele Wahlsendungen auf so vielen Kanälen ausgestrahlt worden wie bei diesen Wahlen. Trotzdem blieben die Debatten zwischen den Kontrahenten meist fair, und man ging gesittet miteinander um – kein Vergleich etwa zum laufenden Wahlkampf in Deutschland. Aber auch im Vergleich zu Abstimmungskämpfen hierzulande – man denke etwa an die beiden Energievorlagen oder an den Spital-Neubau – wurde der laufende Wahlkampf nüchtern, konziliant und sachlich geführt. Persönliche Angriffe gab es kaum; meist gab man sich – wohl auch aufgrund der Unsicherheit, wer nach den Wahlen mit wem koaliert –staatsmännisch: Die Konkurrentin der heutigen Debatte ist vielleicht die Koalitionspartnerin von morgen. Für einige Beobachter war der Wahlkampf fast schon etwas zu sachlich und zu zahm. Tatsächlich sollte ein Wahlkampf auch die Differenzen zwischen den Parteien offenlegen, denn es geht ja um die Wahl zwischen Parteien und Programmen. Einige Debatten, insbesondere das Duell der beiden Spitzenkandidaten Brigitte Haas und Ernst Walch, hatten mitunter aber durchaus eine kontroverse Note.

Was waren für Sie die zentralen Argumente der einzelnen Parteien?
Die Parteien bespielen vor allem ihre bekannten Kernthemen. Das war aber auch zu erwarten. Parteienimages werden über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte aufgebaut und gepflegt. Die Wählerschaften verbinden die Parteien instinktiv mit den entsprechenden Themen. Eine inhaltliche Neuorientierung ist daher von vornherein kaum möglich. Ausserdem geht es in einem Wahlkampf zunächst darum, die eigene Anhängerschaft an die Urne zu treiben und nur sekundär darum, Unentschlossene von den eigenen Lösungen zu überzeugen. Gewiss, letzteres ist auch wichtig, umso mehr, wenn das Rennen knapp wird. Aber gewinnen kann nur, wer zuallererst das eigene Lager zu mobilisieren vermag. Und die Mobilisierung gelingt mit den eigenen Kernthemen am besten.

Welche Rolle haben die Regierungsteams im Wahlkampf gespielt?
Eine wesentliche Rolle. Aber das ist nichts Neues. Die designierten Regierungsteams, insbesondere der Regierungschef beziehungsweise die -chefin, waren immer schon eines der wichtigsten individuellen Wahlmotive bei den Landtagswahlen. Das ist auch im internationalen Vergleich nicht aussergewöhnlich. Bei den anstehenden Bundestagswahlen in Deutschland spielen die Kanzlerkandidaten ja auch eine eminent wichtige Rolle, obwohl sie als Kanzler oder Kanzlerin gar nicht direkt zur Wahl stehen.

Wie beurteilen Sie als Politologe diese Situation? Ist es problematisch, dass die eigentlich zur Wahl stehenden Personen medial relativ wenig Beachtung finden?
Die Verfassung schreibt den Wählerinnen und Wählern keine Motive vor. Es muss nicht das inhaltliche Programm einer Partei oder die fachliche Kompetenz der Landtagskandidaten sein. Auch strategisches beziehungsweise taktisches Wählen ist «erlaubt». Also eine Wahl nicht etwa der eigentlichen Präferenzpartei, sondern einer anderen Partei, um die Regierungszusammensetzung effizienter beeinflussen zu können. Interessant ist dabei, dass diese Fokussierung auf die Regierungskandidaten von den Landtagsabgeordneten selbst kritisch gesehen wird. Bei der Landtagsdiskussion über eine mögliche Volkswahl der Regierung waren sich eigentlich alle Parteien einig, dass bei den Parlamentswahlen diejenigen, um die es geht, also die Kandidatinnen und Kandidaten für den Landtag, wieder stärker ins Zentrum gerückt werden sollten.

Aber diese im Wahlkampf forcierte Ausrichtung auf die «Spitzenkandidaten» ist eine beinahe schon zwingende Folge des Wahlsystems. Will man als Wählerin oder Wähler Einfluss nehmen auf die Zusammensetzung der Regierung, kann man das nur über die Wahl des Landtags tun. Änderungen des Wahlsystems, die eine «Aufwertung» der Landtagskandidaten bringen würden, schaffen an anderer Stelle neue Probleme oder haben sich als nicht mehrheitsfähig erwiesen. Die Initiative zur Volkswahl der Regierung beispielsweise wurde letzten Februar vom Volk deutlich abgelehnt. Zuletzt entspricht eine Konzentration auf die Spitzenkandidaten auch der Medienlogik und wohl ebenfalls den Wünschen eines Teils der Öffentlichkeit: Man kann keine sinnvolle Debatte mit allen 69 Kandidierenden gleichzeitig führen, aber ein Duell der beiden Regierungschefkandidierenden ist sehr wohl möglich.

Es scheint bisher so, als spielten Leserbriefe als Kanal zum Transport von politischen Botschaften dieses Mal eine untergeordnete Rolle. Täuscht dies oder hat der Leserbrief als traditionelle Liechtensteiner Wahlkampfplattform ausgedient?
Ich habe keine Zahlen darüber, wie viele Leserbriefe im Vergleich zu vor vier Jahren in den Redaktionen eingegangen sind. Aber persönlich hatte ich nicht den Eindruck, dass es merklich weniger waren. Gewiss, der klassische Leserbrief ist nicht das bevorzugte Kommunikationsmittel der Jungen. Diese sind digital unterwegs. Insofern ist schon anzunehmen, dass die Bedeutung des Leserbriefs mit der Zeit abnehmen wird. Aber bei diesen Wahlen ist das, so zumindest mein Eindruck, noch nicht wirklich der Fall.

Welche Medien beziehungsweise Kanäle haben den Wahlkampf dominiert und woran liegt es, dass die Parteien gerade auf diese setzen?
Auffallend ist schon, wie sich die Präsenz der Kandidierenden auf den sozialen Medien erhöht hat. Sei es Instagram, Facebook oder auch YouTube – überall wird emsig geworben oder gepostet. Auch Podcasts – namentlich jener von easyvote – finden einige Beachtung. Bei den US-Präsidentschaftswahlen haben Podcast-Interviews – etwa der Auftritt Trumps bei Joe Rogan – meines Erachtens die klassischen Medien nicht nur an Reichweite, sondern gar erstmals auch an Bedeutung überflügelt. So weit ist es in Liechtenstein noch nicht. Die neuen Medien dominieren hierzulande noch nicht. Aber der Trend geht, wenn auch langsam, in eine ähnliche Richtung.

Die FBP hat im Dezember Live-Duelle der Regierungskandidaten gefordert. Gemäss den Medien hat sie damit offene Türen eingerannt, da die Duelle damals bereits angekündigt gewesen seien. Ist der Wahlkampf dieses Mal später als sonst in seine heisse Phase gestartet oder werten Sie die Forderung der FBP als taktisches Manöver?
Der Wahlkampf begann zwar schon relativ früh, aber es ist richtig, dass die «heisse Phase» vergleichsweise spät einsetzte. Ich denke jedoch, dass dies mit den ungewöhnlich vielen Abstimmungen im letzten Jahr zu tun hat. Im Oktober und November waren Politik und Medien wegen der Abstimmungen zur LRFG-Aufhebung und zur staatlichen Pensionskasse noch mit den entsprechenden Abstimmungskämpfen beschäftigt. Erst ab Dezember war es möglich, auf vollen Wahlkampfmodus zu schalten. Und kaum hatte der Wahlkampf begonnen, setzte mit den Feiertagen über Weihnachten und Neujahr auch schon wieder eine «Zwangspause» ein.

Die Demokraten pro Liechtenstein haben ihre Landtagskandidaten, ihr Regierungsteam und ihr Wahlprogramm erst vergleichsweise spät präsentiert. Werten Sie dies als Vor- oder Nachteil?
Ich weiss nicht, ob dies ein bewusster Entscheid war oder ob sich das am Ende einfach so ergeben hat. Die Kandidatenrekrutierung, da sind sich eigentlich alle Parteien einig, fällt zusehends schwerer. Abgesehen davon glaube ich aber nicht, dass der Nominierungszeitpunkt eine wesentliche Rolle für den Wahlentscheid spielen wird, auch und gerade nicht für die DpL. Denn das Hauptmotiv der DpL-Wählenden ist das Programm der Partei. Das zeigte die Nachbefragung zu den Landtagswahlen 2021. Und die zentralen inhaltlichen Programmpunkte der DpL waren schon vor der Nomination der Kandidaten bekannt.

Seit vergangener Woche sind die Briefwahlunterlagen bei den Bürgerinnen und Bürgern. In rund zehn Tagen sind die Stimmen der Landtagswahlen 2025 bereits ausgezählt. Was erwarten Sie sich noch vom Wahlkampf und ergibt es für die Parteien Sinn, in der letzten Woche nochmals neue Akzente zu setzen?
Eine klare Mehrheit hat bereits gewählt. Bei den letzten Landtagswahlen 2021 entschied sich nur ein knappes Fünftel aller Wählenden in der letzten Woche. Aber: Sollte das Ergebnis wieder so knapp ausfallen wie vor vier Jahren, könnte sich ein letzter Wahlkampf-Effort eben doch lohnen. Eine inhaltliche oder thematische Umorientierung ist zum jetzigen Zeitpunkt indessen wenig sinnvoll. Die Themen, aufgrund welcher sich die Wählenden entscheiden, sind längst gesetzt.