Die Liechtensteiner Wirtschaft – ausgewählte Aspekte

Die Liechtensteiner Wirtschaft ist ein hervorragendes Beispiel, wie ein kleiner Staat sich ökonomisch erfolgreich positionieren kann. Dieser beeindruckende Weg kann in Zukunft nur mit Erfindergeist, Flexibilität und Leistungsbereitschaft fortgesetzt werden. Dazu gehört auch das Glück, mitten in Europa gelegen und verschont von Kriegen geblieben zu sein.

Text: Karlheinz Ospelt

Wirtschaftsstruktur in Liechtenstein (Liechtenstein in Zahlen 2024)
Die Wirtschaft des Fürstentums Liechtenstein ist vorwiegend auf den tertiären (Dienstleistung mit knapp 65 % der Beschäftigten) und den sekundären (Industrie mit 35 % der Beschäftigten) Wirtschaftssektor konzentriert. In der Landwirtschaft arbeiten lediglich noch 0,6 % der Beschäftigten. Im Vergleich zu unseren Nachbarstaaten nimmt damit der Industriesektor einen wesentlich grösseren Anteil ein (CH = 20 %, A = 26 %), die Landwirtschaft einen kleineren (CH = 2,7 %, A = 3,5 %). Entsprechend gab es immer weniger Landwirtschaftsbetriebe (1980 = 494, 2020 = 95).

An die Bruttowertschöpfung trugen die Dienstleistungsunternehmen im Jahr 2021 insgesamt 57,8 % bei, die Industrie- und Gewerbeunternehmen 42 % und die Landwirtschaft 0.2 %. Von den rund 5’500 Unternehmen zählten 88 % weniger als 9 Beschäftigte, knapp 10 % zwischen 10 und 50 Mitarbeitende, knapp 2 % zwischen 50 und 250 und nur 20 Unternehmen bzw. nicht einmal 0,4 % mehr als 250 Arbeitnehmende.

Liechtenstein als Wirtschaftsmotor der Region
Gemäss der aktuellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung Liechtensteins aus dem Jahr 2022 beträgt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) rund 7 Milliarden Schweizer Franken. Die Zahlen werden mit rund zweijähriger Verzögerung publiziert. Während das BIP während vieler Jahren laufend zugenommen hat, sank es während der Coronajahre von 6,5 Milliarden Franken im Jahr 2018 auf 6 Milliarden Franken im Jahr 2020. Davon erholte sich das BIP sehr schnell, und es lag 2021 und 2022 bei 7 Milliarden Franken. Für 2022 bedeutet dies bei einer durchschnittlichen Inflation von 2,8 % jedoch einen entsprechenden Rückgang des realen BIP. Beim BIP liegt Liechtenstein mit rund 210’000 Franken pro Kopf an der absoluten Spitze der Länderliste. Damit ist Liechtenstein auch als Wirtschaftsmotor für die Bodenseeregion von grosser Bedeutung. Mit über 42’500 Arbeitsplätzen übertrifft es sogar die Anzahl der rund 41’000 Einwohner Liechtensteins. Die meisten Grenzgänger kommen aus der Schweiz (60 %) und aus Österreich (36 %).

Zölle und internationale Vorgaben:
Die liechtensteinische Wirtschaft ist abhängig von offenen Grenzen, sowohl was die Industrie als auch die Finanzbranche betrifft. Die internationale Verflechtung hat im Lauf der Zeit stets zugenommen. Damit wurde auch deren Bedeutung immer wichtiger. Während lange Zeit (1852–1919) der Zollvertrag mit Österreich-Ungarn und ab 1924 jener mit der Schweiz im Zentrum standen, wurde nach und nach eine eigenständige internationale Einbettung angestrebt, die bis heute anhält. 1960 unterzeichnete Liechtenstein das Zusatzprotokoll über die Beteiligung an der EFTA, und 1991 wurde das Land selbständiges Mitglied. 1995 erfolgte der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), später folgten Doppelbesteuerungsabkommen mit zahlreichen Ländern und Handelsabkommen, in der Regel über die EFTA oder den EWR. Mehr als 90 % der in Liechtenstein hergestellten Produkte werden ins Ausland exportiert, primär in die EU, die Schweiz und die USA.

Finanzdienstleitungen, Konflikte in Steuerfragen und Neuorientierung
Der Finanzsektor mit Banken, Versicherungen, Vermögensverwaltern, Treuhandgesellschaften inklusive Rechts- und Steuerberatung sowie Wirtschaftsprüfung trägt knapp einen Viertel zum BIP bei. Liechtenstein verteidigte bis zur Jahrtausendwende eines der strengsten Bankgeheimnisse weltweit. Viele Jahrzehnte weigerte sich Liechtenstein, Steuerinformationen an andere Staaten weiterzugeben. Doppelbesteuerungsabkommen gab es lange nur mit den direkten Nachbarn Schweiz und Österreich, weil diese infolge der Grenzgänger notwendig waren. Diese Abkommen waren aber inhaltlich sehr beschränkt, und es gab auch mit den beiden Nachbarstaaten keinen Informationsaustausch über Bankdaten. Die im Handelsregister eingetragenen und hinterlegten Gesellschaften inklusive Sitzgesellschaften erreichten ihren Höhepunkt mit rund 85’000 im Jahr 2007. Heute sind es nicht einmal mehr 25’000.

In der Finanzkrise 2007, mit dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008, geriet die Liechtensteiner Finanzbranche zudem international in die Kritik, was zu einem massiven Einbruch und zu einer Umgestaltung des bis dahin prosperierenden Off-Shore-Geschäfts in der Treuhandbranche führte. Mit dem Fall Heinrich Kieber und dessen Handel mit Kundendaten war der liechtensteinische Finanzdienstleistungssektor an einem Wendepunkt angekommen. Die Folgen waren Bestrebungen für einen internationalen Austausch von Steuer- und Bankdaten – vorerst auf Anfrage. 2010 trat das erste Tax Information Exchange Agreement (TIEA) mit den USA rückwirkend für das Steuerjahr 2009 in Kraft. Diesem folgten zahlreiche weitere solcher Abkommen. In den folgenden Jahren kam es zu Doppelbesteuerungsabkommen mit zahlreichen Ländern, die das Treuhandgeschäft neu ausrichteten. Statt Masse war nun Know-how gefragt, und Liechtensteins Finanzdienstleister konnten sich bis heute erfolgreich durchsetzen.

Staatsverschuldungen als Folge der Finanzkrise – Liechtenstein als Ausnahme
Die Finanzkrise 2007 forderte international zahlreiche Opfer. Auch die europäische Zentralbank war gefordert. Griechenland, Irland, Zypern und Island gerieten in eine schwierige Situation. Dazu kamen einige Jahre später politisch Umbrüche in Libyen, Ägypten und Syrien. Die Probleme führten zu hohen Staatsverschuldungen, die bis heute anhalten. Gemäss einer Liste des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2023 führen Japan (250 %), Griechenland (160 %) und Italien (140 %) die Liste der Staatsverschuldung in Prozent des BIP an. Aber auch Portugal, Spanien, Belgien Frankreich, das Vereinigte Königreich und Kanada weisen über 100 % des BIP an Staatschulden aus. Die gesamte Volkswirtschaft dieser Länder müsste somit mehr als ein Jahr gratis für den Staat arbeiten und die Erlöse abgeben, um die Staatsschulden zu decken. Die Schweiz mit einer Staatsverschuldung von ca. 35 % des BIP liegt auf Rang 143 der rund 190 Staaten umfassenden Liste.

Bei Wikipedia ist nachzulesen: «Die Angaben sind ohne Verpflichtungen für Beamtenpensionen, Krankenversicherung, Gesundheitspflege und Rentenversicherung, für die keine Kapitaldeckung besteht. Unter Einbeziehung der verdeckten Staatsverschuldung würde die Staatsschuldenquote um ein Vielfaches steigen.» Und der letzte Satz dazu ist bemerkenswert: «Es gibt – wenige – Länder ohne Staatsverschuldung, darunter Liechtenstein.» Liechtenstein hat auch eine geringe Staatsquote. Diese ist aber nicht nur einer guten Politik geschuldet, sondern auch dem Umstand, keine Militär- und Zinslasten tragen zu müssen.

Fachkräftemangel und der demographische Wandel
Nicht nur in Liechtenstein, sondern weltweit werden mehr und mehr Fachkräfte gesucht. Dazu kommt, dass der Rentneranteil in Liechtenstein drastisch ansteigen wird. Liechtenstein ist gefordert, als Wirtschaftsstandort gut aufgestellt zu bleiben. Neben attraktiven, hoch bezahlten Arbeitsplätzen müssen dazu auch die Softfaktoren stimmen. Die Rahmenbedingungen in den Nachbarländern haben sich in den letzten Jahren stets verbessert, sodass Liechtenstein mehr und mehr unter Druck gerät. Mit der Einführung von Eltern- und Vaterschaftsurlaub, der Erhöhung des Kindergelds und der AHV-Rente wurde 2024 viel investiert, was aber die Unternehmen künftig belasten wird.

Vor allem jüngere Arbeitnehmer verlangen nach einer besseren Work-Life-Balance. Dazu gehört mehr Zeit für die Familie und für sich persönlich. In diesem Zusammenhang muss Liechtenstein dafür sorgen, dass die Arbeitswege für die Grenzgänger nicht unnötig durch Staus und Restriktionen zeitintensiver werden. Dauert der Arbeitsweg pro Tag durchschnittlich pro Arbeitnehmer nur 15 Minuten länger, so resultiert bei einem Medianlohn von aktuell 6850 Franken pro Monat ein Schaden von über 100 Millionen Franken pro Jahr – allein unter Berücksichtigung der Lohnsumme, ohne die zusätzliche Wertschöpfung der Unternehmen. Während beim Staat beschäftigte Grenzgänger von der Besteuerung ihres Gehalts in Liechtenstein profitieren können, entfällt dieser gewichtige Vorteil für in der Privatwirtschaft angestellte Grenzgänger. Dieser steuerliche Nachteil der Privatwirtschaft auf dem Arbeitsmarkt wurde kürzlich noch erhöht, weil der Gemeindesteuerzuschlag für beim Staat angestellte Grenzgänger von 200 % auf 150 % reduziert wurde, wo hingegen dieser bei einzelnen liechtensteinischen Gemeinden nach wie vor bei 170 % liegt. Beim Staat und staatsnahen Betrieben zahlen also ausländische Arbeitnehmer weniger Steuern als gewisse dort angestellte Liechtensteiner.

Fazit
Auch Liechtenstein hat mit der unsicheren Weltwirtschaftslage zu kämpfen. Wenn die Leistungsbereitschaft und das Unternehmertum sowie eine gute Hand für richtige Entscheidungen in Wirtschaft und Politik die Basis bilden, können Liechtenstein und seine Bevölkerung trotz widrigen Umfelds positiv in die Zukunft blicken denn: Small is beautiful!

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Lic. oec. Karlheinz Ospelt
ist Vorsitzender des Immobilienfachausschusses der AHV/IV/FAK, Ehrenpräsident der Neue Bank AG, ehemaliger Bürgermeister von Vaduz und ehemaliger Landtagsabgeordneter, Verwaltungs- und Stiftungsrat diverser Unternehmen und Gründer sowie Inhaber der Firma FIDUCIA CONSULTING Est. (1992).