«Jeder Tag ist unvorhersehbar und keiner wie der andere»

Seinen Traumberuf als Rettungssanitäter übt Andreas Bosshard bereits seit zehn Jahren aus. Seit dem 1. Januar ist er nun Leiter des Rettungsdienstes beim Liechtensteinischen Roten Kreuz (LRK). Damit hat sich sein Aufgabengebiet stark gewandelt. Was geblieben ist, ist für ihn der Reiz des Berufs und die Motivation, mit seinem Einsatz viel bewegen zu können.

Text: Heribert Beck

«Mein erlernter Beruf als Elektroniker hat mir sehr gut gefallen», sagt Andreas Bosshard. Dennoch hat er ihn ein Jahr nach dem erfolgreichen Lehrabschluss aufgegeben. «2014 hat es sich ergeben, dass das LRK nach Langem wieder eine Stelle als Rettungssanitäter in Ausbildung ausgeschrieben hatte. Da mich dieser Beruf immer schon interessiert hat, habe ich mich beworben, und im Praktikum habe ich richtig Feuer gefangen. Es ist das Unvorhersehbare, das mich vom ersten Moment an fasziniert hat. Plötzlich kommt eine Meldung, und man muss aus dem Stand sein Bestes geben, um Menschen in Not zu helfen. Mir war jedenfalls sofort klar, dass ich die Ausbildung absolvieren möchte.»

Mit seinen damals 20 Jahren war Andreas Bosshard einer der jüngeren Studierenden an der Höheren Fachschule für Rettungsberufe in Zürich, die er während drei Jahren besucht hat. «Grundvoraussetzungen sind eine abgeschlossene Erstausbildung und eine gefestigte Persönlichkeit. Denn als Rettungssanitäter sieht man vieles, das belasten kann. Daher sind die meisten Berufseinsteiger Mitte 20. Ich bin sehr froh, dass mir das LRK die Chance schon in jungen Jahren gegeben hat», sagt Bosshard. Nach dem sechswöchigen Theorieblock verbrachte er einige Wochen in Liechtenstein im Einsatz, um neben dem theoretischen auch das praktische Rüstzeug zu erwerben. Dieser Turnus aus Theorie und Praxis wiederholte sich dann immer wieder. «Neben Unterrichtsblöcken haben meine Mitschüler und ich aber auch immer wieder Praktika in berufsverwandten Bereichen absolviert – unter anderem in der Anästhesie oder im Notfall in Krankenhäusern, bei der Spitex oder in der Einsatzzentrale der Polizei. Es ging darum, dass wir alle Aspekte der Aufgaben eines Rettungssanitäters kennenlernen.»

Nach wie vor aktiv im Einsatz
Seit sieben Jahren ist Andreas Bosshard als fertig ausgebildeter Rettungssanitäter auf Liechtensteins Strassen unterwegs. «Dabei habe ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen Kontakt mit den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten. Wenn die Einsatzmeldung erfolgt, wissen wir nicht genau, was uns erwartet. Vor Ort müssen wir dann rasch die richtigen Entscheidungen treffen. Diese Verantwortung setzt uns selbstverständlich unter Druck, aber sie macht auch einen der Reize unseres Berufs aus.» Und diesen Reiz möchte Andreas Bosshard auch künftig nicht missen, obwohl er seit Anfang Januar die Leitung des mit ihm 17-köpfigen Rettungsdienstes übernommen hat.

«Als die Stelle aufgrund der Pensionierung meines Vorgängers ausgeschrieben war, haben mir mehrere Mitarbeitende gesagt, dass ich mich bewerben soll. Die Aufgabe wäre etwas für mich. Ich habe mir das durch den Kopf gehen lassen, meine Bewerbung eingereicht und mich sehr gefreut, als mir die Verantwortung tatsächlich übertragen wurde. Da wir flache Hierarchien leben, möchte ich nun gemeinsam mit dem Team etwas für das Land und seine Bevölkerung weiterbewegen», sagt Bosshard, für den die neue Aufgabe zahlreiche administrative Tätigkeiten mit sich bringt. «Ich bin aber Gott sei Dank nach wie vor zirka zu einem 30-Prozent-Pensum im Rettungswagen im Einsatz. So ist auch sichergestellt, dass ich den Anschluss an neue Entwicklungen in Sachen Richtlinien, Medikamente und Herausforderungen nicht verliere.» Nur Nachtschichten fährt Andreas Bosshard kaum noch. «Wenn ich tagsüber im Einsatz bin, kann ich Büroarbeiten erledigen, solange wir nicht aufgeboten werden. Das ist eine der Freiheiten, die uns unser Beruf ermöglicht.»

Eine Notwendigkeit, den Rettungsdienst, seine Strukturen und Abläufe umzukrempeln, sieht der neue Leiter nicht. «Wir haben ein hochmotiviertes Team, das mitdenkt und Freiräume nutzt, um eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Diese positive Arbeitsatmosphäre will ich unbedingt erhalten.» Gleichzeitig möchte Andreas Bosshard neue Chancen nutzen, um Notfallpatienten möglichst optimal zu versorgen. Er denkt dabei unter anderem an die Einführung eines sogenannten First Responder Systems: Ausgebildete Ersthelfer erhalten bei diesem andernorts bereits erprobten Modell eine Meldung auf dem Smartphone, wenn sich in ihrer Nähe beispielsweise ein Herzkreislaufstillstand ereignet hat. «Gemeinsam mit den Defibrillatoren, die wir mittlerweile an zahlreichen öffentlich zugänglichen Orten in allen Liechtensteiner Gemeinden eingerichtet haben, könnte so noch schneller und effizienter geholfen werden. Auch künftig werde ich mir überlegen, wie wir dem Land und seiner Bevölkerung, die mir beide sehr am Herzen liegen, bestmöglich helfen können.»

Sozialer Mensch ohne Helfersyndrom
In seine neue Aufgabe eingelebt hat sich Andreas Bosshard inzwischen bestens. «Am Anfang war es schon eine spezielle Situation, plötzlich hierarchisch nicht mehr auf gleicher Ebene mit meinen langjährigen Teamkolleginnen und -kollegen zu arbeiten, sondern auch einmal eine Ansage machen zu müssen. Das hat sich mittlerweile aber gut eingespielt.» Eingespielt sind auch die Abläufe beim Rettungsdienst. «Wir funktionieren im Prinzip autonom, legen aber gleichzeitig grossen Wert darauf, als Abteilung des Liechtensteinischen Roten Kreuzes wahrgenommen zu werden und stets in möglichst engem Kontakt mit der Geschäftsleitung und den anderen Abteilungen zu stehen.»

Einen engen Kontakt pflegt Andreas Bosshard überdies zur grössten Rettungsorganisation des Landes: zur Freiwilligen Feuerwehr. Im Alter von 12 Jahren ist er Mitglied der Jugendfeuerwehr in seiner Heimatgemeinde Triesenberg geworden und auch nach dem Übertritt zu den Erwachsenen dabeigeblieben. Inzwischen ist er stellvertretender Kommandant und gleichzeitig im Vorstand des Feuerwehrverbands. «Nein, ich habe kein krankhaftes Helfersyndrom», sagt er und lacht. «Aber ich denke, dass ich schon ein eher sozialer Mensch bin, der sich gerne für andere einsetzt. Ausserdem schätze ich die Kameradschaft in der Feuerwehr sehr und erlebe dort ebenfalls, dass kein Einsatz wie der andere ist. Auch wenn der Alarm auf dem Pager losgeht, wissen wir nicht genau, was uns erwartet, wir müssen spontane Entscheidungen treffen und unser Bestes geben.»

«Ein Privileg, das ich zu schätzen weiss»
Mit Feuer hat auch das zweite grosse Hobby von Andreas Bosshard zu tun: Er ist seit vielen Jahren Mitglied der Funkenzunft Chalberrüti Triesenberg. «Das ist aber bekanntlich eine saisonale Sache und nimmt über das Jahr nicht besonders viel Zeit in Anspruch.» So bleibt ihm meistens doch noch Zeit, um auf dem E-Bike in den Bergen oder bei Spaziergängen mit Rottweiler Floyd abzuschalten. «Ich bin vor allem für das Spielen zuständig», sagt Bosshard und lacht. «Das Training übernimmt meine Freundin, die glücklicherweise viel Verständnis dafür hat, dass ich beruflich und auch aufgrund der Feuerwehr oft später nach Hause komme als andere.»

Ist Andreas Bosshard dann einmal zu Hause, kann er Beruf und Ehrenamt aber auch gut hinter sich lassen, während er auf den Spaziergängen oder Biketouren aber durchaus auch über weiteres Optimierungspotenzial in seinen Aufgabenbereichen nachdenkt. «Mir geht es dabei unter anderem darum, wie wir der Öffentlichkeit unsere Arbeit noch näherbringen und Verständnis schaffen können. Die Einsatzzahlen beim Rettungsdienst haben sich in den vergangenen zehn Jahren beispielsweise verdoppelt – 2023 sind wir 2072 Mal ausgerückt. Die Einsätze sind also deutlich stärker angestiegen als die Bevölkerungszahl in dieser Zeit gewachsen ist. Das liegt unter anderem daran, dass wir leider oft für Bagatellen aufgeboten werden. Wir kommen immer, wenn wir alarmiert werden, und niemand soll sich scheuen, einen Hilferuf bei der Einsatzzentrale abzusetzen. Aber manchmal werden so Kapazitäten für eine kleine Schnittverletzung blockiert, während andernorts ein Patient um sein Leben kämpft und schnelle Hilfe dringend nötig wäre.» Solche Herausforderungen schmälern die Motivation von Andreas Bosshard aber keineswegs, und er möchte sich noch lange für das Land und seine Bevölkerung einsetzen. «Rettungssanitäter ist ein physisch und psychisch anspruchsvoller Job. Im Schnitt bleiben die Einsatzkräfte daher nur rund zehn Jahre dabei. Die Leitungsposition ist aber ein Privileg, das mich diesbezüglich entlastet und das ich zu schätzen weiss. Daher schliesse ich es nicht aus, dass ich beim Rettungsdienst pensioniert werde. Aber das liegt noch über 30 Jahre in der Zukunft, und es ist nicht meine Art, so weit vorauszuplanen. Ich lebe im Hier und Jetzt und geniesse es weiterhin, dass kein Tag so ist wie der andere.»