Die sich wandelnde Rolle der Hebamme

Anna Maria Schlegel, geb. Sele (1779–1857), war Anfang des 19. Jahrhunderts Hebamme in Triesenberg. Gemälde aus dem Jahr 1835 von Mathias Jehly (Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 01 N 017/313, Reproduktion: Walter Wachter)

Die Organisation der Geburtshilfe ist auch ein politisches Thema, wie nicht zuletzt die Diskussion um eine Geburtenstation im geplanten Liechtensteinischen Landesspital zeigt. Dass dies auch in der Vergangenheit nicht anders war, verdeutlicht ein Blick in die Geschichte des Hebammenberufs.

Text: Cornelius Goop, Liechtenstein-Institut

Die Geschichte der Geburtshilfe hängt eng mit der Geschichte des Hebammenwesens zusammen. Bis ins 19. Jahrhundert handelte es sich bei der Hebamme um einen der wenigen Frauenberufe, der höhere gesellschaftliche Anerkennung und öffentliches Interesse versprach. Die erste belegte Hebamme aus dem Gebiet des Fürstentums Liechtenstein war Katharina Winzurli aus Balzers, die den Beruf ab 1551 in Feldkirch ausübte. Auch im 17. und 18. Jahrhundert sind mehrere Frauen in den Quellen erwähnt, die etwa in Vaduz oder Balzers als Hebammen tätig waren. Es handelte sich dabei um praxiserfahrene Frauen, die ihren (jüngeren) Dorfgenossinnen mit ihrem Wissen zur Seite standen. Selbst am Beginn der Ärztedynastie Schlegel, die im 19. Jahrhundert mehrere politisch und sozial einflussreiche Persönlichkeiten hervorgebrachte hat, stand eine Geburtshelferin: Anna Maria Schlegel, geborene Sele, in den Jahrzehnten nach 1800 Hebamme in Triesenberg und Mutter von Hannibal Schlegel, einem der ersten Ärzte in Liechtenstein. Dessen medizinisches Interesse dürfte wohl auch durch seine Mutter geprägt worden sein.

In den Jahren um 1800 taucht das Thema Geburtshilfe verstärkt in den liechtensteinischen Quellen auf: Es herrschte akuter Mangel an Hebammen. Die gehäufte Nennung hing aber auch mit einem allgemeinen europäischen Trend zusammen, bei dem die Geburtshilfe durch Reglementierung, Verwissenschaftlichung und Medikalisierung zunehmend unter männliche (ärztliche) Kontrolle geriet. 1771 beklagte sich der fürstliche Administrator Gabriel Reinhard in einem Bericht: «Endlich jammert das Land, dass in dem ganzen Fürstentum […] nicht einmal eine gelehrte Hebamme vorhanden ist, so dass von Zeit zu Zeit viele Kranke und sowohl Mütter als Kinder aus Mangel der bedürftigen Hülfe verwahrloset werden.» Auch knapp 20 Jahre später schien die Situation nicht besser zu sein, als Landvogt Franz Xaver Menzinger nach Wien berichtete: «Was die Hebammen anbelangt, so sollte doch, wo nicht an jedem Orte, wenigstens bei jeder Gemeinde eine seyn, die die Kunst gelernt hätte und wohl verstünde; die diesfälligen Kosten wären so gross nicht; aber an tauglichen Personen dürfte es fehlen.»

Im Unterland musste ab 1801 häufig der Arzt Gebhard Schädler (der erste sicher akademisch ausgebildete Mediziner in Liechtenstein) Geburtshilfe leisten, wofür er als «Hebarzt» verspottet wurde. Die Erfahrung Schädlers im Assistieren bei Geburten sollte aber die Grundlage für die Lösung des jahrzehntelang schwelenden Problems mit den fehlenden Hebammen bilden. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Landvogts Joseph Schuppler im Jahr 1808 war die Ernennung Schädlers zum Landesphysikus. Zu dessen Pflichten zählte, dass er in Zukunft «für jede Gemeinde eine Hebamme zum Beistand der Gebährenden abrichte», also die Hebammenausbildung übernehme. Sein Sohn Karl Schädler führte diese Aufgabe später fort.

1873 wurde in Liechtenstein eine Hebammenordnung geschaffen, die vorschrieb, nur mehr an öffentlichen Lehranstalten unterrichtete Geburtshelferinnen anzustellen. Zürich und Innsbruck wurden so zu wichtigen Ausbildungsstätten für liechtensteinische Hebammen. Nicht nur der Trend der zunehmenden Ausbildungserfordernisse nahm bei allen medizinischen Vorteilen den im Hebammenwesen tätigen Frauen immer mehr die Autonomie: Mit der Hospitalisierung der Geburt im 20. Jahrhundert verloren sie nach und nach ihre Unabhängigkeit und wurden zu einer Hilfskraft der verantwortlichen (vornehmlich männlichen) Ärzte. Liechtenstein erlebte diese Entwicklung langsamer und mit einem Zwischenschritt. Seit den 1920er-Jahren wurden in den Bürgerheimen sogenannte Geburtenstationen eigerichtet, die jedoch von den Hebammen selbstständig geleitet wurden. Erst beginnend ab Mitte des 20. Jahrhunderts und endgültig in den 1970er-Jahren erfolgte der Übergang zur Spitalgeburt. Auch wenn es gegenläufige Tendenzen zu dieser Entwicklung gab und gibt, wie etwa selbstständige Hebammen, Hausgeburten oder Geburtshäuser, konnte erst so die politische Frage entstehen, in welchem Spital Kinder eigentlich geboren werden sollten.