Im 19. Jahrhundert wurden Wildtiere wie Luchs, Wolf und Bär als Konkurrenten der Bauern gejagt und in unserer Region ausgerottet. Im Unterschied zur Jagd auf Hirsch und Reh musste keine Bewilligung eingeholt werden. In den letzten Jahren aber kamen Luchs und Wolf in unseren Lebensraum zurück. Nicht weit entfernt wurden auch schon Bären gesichtet.
Text: Günther Meier
Erstaunlich, wie Bär, Wolf und Luchs in ihr früheres Jagdgebiet im Alpenraum wieder zurückgekommen sind. In einen Lebensraum, der sich seit ihrer Ausrottung vor rund 150 Jahren grundlegend verändert hat. Anstelle der kleinen Siedlungsgebiete haben sich vielerorts grössere Ballungsräume gebildet, Verkehrswege durchschneiden die Jagdgebiete, in den sich die grossen Raubtiere früher ungehindert bewegen konnten, und die Zivilisation schränkte die ursprünglichen weiten Naturräume zunehmend ein. Die Ankunft der Grossraubtiere wurde mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen, mit einer Mischung aus Faszination über das Wiederauftauchen und unbestimmter Angst vor unliebsamen Begegnungen.
Bei «Bruno», einem jungen Bären, der im Jahr 2006 aus einem Naturpark in Italien auf Wanderschaft über die Alpen aufgebrochen ist und sich längere Zeit im Grenzgebiet von Bayern und Tirol aufgehalten hat, überwog in der Bevölkerung die Faszination. Bei seinen ausgedehnten Streifzügen riss «Bruno» nicht nur Wildtiere, sondern auch Schafe und trieb sich in der Nähe von Siedlungen ohne Scheu vor den Menschen herum. Vielleicht hätte «Bruno» auch Liechtenstein einen Besuch abgestattet, wenn er nicht von den besorgten Behörden als «Problembär» eingestuft und zum Abschuss freigegeben worden wäre. Nachdem alle Versuche zum Einfangen gescheitert waren und «Bruno» weiterhin bei seiner nächtlichen Nahrungssuche die Nähe von Siedlungen suchte, streckten ihn am 26. Juni 2006 ein paar Kugeln bayrischer Jäger nieder.
Die Jagd auf Bär, Wolf und Luchs war früher für alle frei
Diskreter verlief die Rückkehr des Luchses, der in der Schweiz im Rahmen einer Wiederansiedlung in seinen früheren Lebens- und Jagdraum zurückkehren konnte und inzwischen auch in Liechtenstein gesichtet wurde. Das Liechtensteinische Landesmuseum widmete schon im Jahr 1979 dem Luchs und der Wildkatze eine Ausstellung. Mario F. Broggi hielt zur Ausstellungseröffnung einen Vortrag über die «Ausrottungsgeschichte des Grossraubwildes, im speziellen des Luchses, im nordwestlichen Ostalpenraum». Eine erweiterte Version dieses Referates wurde anschliessend im Jahrbuch des Historischen Vereins (Band 1979) abgedruckt, die als Grundlage für diesen Artikel über die Ausrottungsgeschichte von Luchs, Bär und Wolf in einer weitgefassten Region rund um Liechtenstein diente. Wie auch heute, konnten sich diese Tiere schon früher nicht über mangelnde Aufmerksamkeit bei den Menschen beklagen. Allerdings aus anderen Gründen: Die bäuerliche Bevölkerung erblickte im Raubwild nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch eine Art Konkurrenten, das mit seinen Rissen die Herden verkleinerte und damit die ohnehin karge Existenz gefährdete. «Die rigorose Verfolgung, Bekämpfung und Vertilgung des Raubwildes galt vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert als Christenpflicht und Staatsaufgabe», schreibt Broggi. Während die Obrigkeit damals genaue Vorschriften über die Jagd auf Reh und Hirsch, Gams und Steinbock erliess, war die Jagd auf Bär, Luchs und Wolf zu jeder Jahreszeit und für jedermann frei, was die Ausrottung beschleunigte.
Bären trieben sich auch in Liechtenstein herum
Nicht nur herrschte freie Jagd auf diese Wildtiere, es gab auch Anerkennung durch die Obrigkeit, wenn eines dieser Tiere zur Strecke gebracht worden war. Überliefert ist eine Abschussgebühr für einen Bären, die zwei Jäger in Liechtenstein als Dank für erfolgreiche Jagd im Jahr 1782 erhielten. Was in Liechtenstein üblich war, gehörte auch in der Nachbarschaft zum Alltag. Den letzten Bären in der Schweiz erlegten Jäger 1904 im Unterengadin, im Gebiet des heutigen Schweizer Nationalparks. Im Sarganserland war der Bär schon früher ausgerottet: Nach einer langen Treibjagd konnte ein Bär 1799 erlegt werden. In Vorarlberg spielte sich die letzte Treibjagd auf einen Bären 1783 im Gamperdonatal ab: Elf Jäger waren beteiligt, die in einer langen Hatz einen Bären in die Enge trieben und erschossen.
Allerdings war es nicht der letzte Bär, der sich in Vorarlberg aufhielt. Die «Feldkircher Zeitung» berichtete 1867, ein Jäger habe in Gamp, zum Gemeindebezirk Nenzing gehörend, «im Schnee die frischen Fussspuren eines gewaltigen Bären» entdeckt. Wahrscheinlich dieser Bär richtete in den Jahren 1868 und 1869 grossen Schaden an Ziegen- und Schafherden an. Obwohl eine hohe Abschussprämie ausgesetzt worden war, gelang es den Jägern in mehreren Jagden nicht, den Bären zu erlegen. Berichtet wird in Vorarlberger Zeitungen auch, dass 1892 nochmals ein Bär im Gebiet Nenzing umherstreifte und auch im Saminatal gesehen wurde – womit er möglicherweise dem liechtensteinischen Alpengebiet ebenfalls einen Besuch abgestattet hat. Als gesichert gilt hingegen die Beobachtung eines Jägers im Jahr 1888: Er hatte beim Garsellikopf auf der Drei-Schwestern-Kette eine Bärin mit einem Jungtier beobachtet. Weil einige Zeit später eine Bärin im Falknisgebiet von Bündner Jägern erlegt wurde, wird vermutet, dass sich die Bärenmutter auf dem Weg von Vorarlberg nach Graubünden befand – mit einem Abstecher ins liechtensteinische Alpengebiet.
Der Wolf wurde als erstes Raubtier ausgerottet
Schon lange vor dem Bären war der Wolf aus Liechtenstein und der angrenzenden Region verschwunden. Mario F. Broggi hat im Liechtensteinischen Landesarchiv einen Brief aus dem Jahr 1812 gefunden, der einen Hinweis auf Wölfe gibt. Aus Vorarlberg schrieb eine Amtsstelle an das damalige Oberamt in Vaduz, im Saminatal treibe sich ein Wolf herum, der in einer grossangelegten Jagd erlegt werden soll. Weil das Untier, welches das Vieh auf den Alpen gefährde, ständig über die Grenze zwischen Vorarlberg und Liechtenstein wechsle, wurde das Oberamt ersucht, eine Anzahl Jäger zu beordern, im Grenzgebiet den
österreichischen Jägern zu helfen. Die Jagd war trotz Grossaufgebot nicht erfolgreich. Erst 1835 kam es zum Abschuss eines Wolfes in der Nähe von Bludenz: Weil dies der letzte Wolfabschuss war, der registriert wurde, geht man davon aus, dass der Wolf damit in Vorarlberg und wohl auch in Liechtenstein schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgerottet wurde.
Die Ausrottung des Luchses folgte kurz nach dem Wolf
Bis ins 19. Jahrhundert gibt es einige Belege über das Vorkommen des Luchses in unserer Gegend, insbesondere über die Jagd nach dem «schädlichen Untier» und die Belohnung der erfolgreichen Jäger. In der Schuppler-Chronik von 1815 wird erwähnt, dass einem Jäger für einen Luchs eine Prämie von 3 Gulden zustehe. Für einen erlegten Wolf gab es nur 1 Gulden und 30 Kreuzer. Eine mögliche Erklärung für diesen Unterschied könnte sein: Luchse waren damals zahlreicher und mussten intensiver bejagt werden. Wahrscheinlich der letzte Luchs in Liechtenstein wurde in Nendeln erlegt, wo ein Luchs 1830 von einem Jäger mit einer Eisenfalle gefangen wurde.
Mehr Luchs-Meldungen sind aus der schweizerischen und österreichischen Region vorhanden. Abschüsse wurden im Grossen Walsertal gemeldet, aber auch im Gebiet von Bludenz und Nenzing sowie im Bregenzer Wald und im Lechtal. In Mittelberg, im Bregenzerwald, wurde noch 1894 ein Luchs geschossen, mutmasslich das letzte Exemplar in Vorarlberg. Vermutlich der letzte Luchs im Kanton St. Gallen geriet 1861 einem Jäger im Weisstannental vor die Flinte. In Graubünden wurden Luchse auch später noch gesichtet und erlegt, der vermutlich letzte 1882 im Albulatal.
Das Hirten-Ave warnt vor Bär, Luchs und Wolf
Nach der Ausrottung im 19. Jahrhundert sind Bär, Wolf und Luchs wieder zurück in der Alpenregion rund um Liechtenstein. Während Luchse gezielt in verschiedenen Regionen angesiedelt wurden, haben sich die Wölfe wieder selbst in unseren Raum vorgewagt. Sowohl Luchse als auch Wölfe sind in Liechtenstein beobachtet oder durch Spuren nachgewiesen worden. Der Bär «Bruno» und andere Bären haben sich schon in relativ geringer Entfernung von unserem Land aufgehalten. Nicht alle sind erfreut über die Rückkehr der Grosswildtiere, die grundsätzlich nicht zum jagdbaren Wild zählen – also Abschüsse behördlich genehmigt werden müssen, wie kürzlich beim Wolf in der Schweiz geschehen.
Sollten sich Bär, Wolf und Luchs immer wieder in unserem Alpengebiet aufhalten, so erhält das Hirten-Ave, das früher jeden Abend auf den liechtensteinischen Alpen gesungen wurde, wieder eine aktuelle Bedeutung. Bei diesem Bet-Sprech-Gesang wird ausdrücklich auf die Gefahren durch die drei Grossraubtiere hingewiesen.
«Sankt Petrus,
der Wächter an der Himmelspfort`,
schütz` uns vor Raubtieren!
Sei unser Hort!
Bann` dem Bären die Tatzen,
dem Wolf den Fang,
verschliess` dem Luchs den Zahn, dem Stein den Gang.
Sperr` der Leue die Bahn,
dem Wurm den Schweif,
zertret` dem Raben den Schnabel,
die Krallen dem Greif!»