Ziel der Wahlsystemänderung: Wählerwillen genauer abbilden

Von links: Marc Büchel, Nico Büchel und Johannes Kaiser im Gespräch (Foto: Michael Zanghellini)

Nach den vergangenen Landtagswahlen wurde das Wahlsystem heftig diskutiert. Da sich bei den beiden Volksparteien eine Sitzgleichheit ergeben hat, stellte sich die Frage, welcher Partei der Wahlsieg zugesprochen wird. Und da liegt die Lücke, denn beim Zusammenzählen der Parteistimmen vereinigen drei Unterländer die gleiche Stimmzahl auf sich wie zwei Oberländer. Marc Büchel und Nico Büchel zeigen die Vorteile einer Wahlsystemänderung auf, die den Wählerwillen genauer definiert.

Interview: Johannes Kaiser

Warum habt ihr euch mit dem Thema Wahlsystem befasst?
Nico Büchel: Bei den Vorstandwahlen der Jungen FBP im April dieses Jahres wurde der ganze Vorstand erneuert. Auf der Themensuche stach ein Thema immer wieder hervor: das Wahlsystem Liechtensteins. Denn seit den Landtagswahlen 2021 ist klar, dass die Gewichtung der Stimmen nicht fair ist. Deshalb machte es sich die Junge FBP zum Ziel, einen Lösungsvorschlag zu liefern, der ein gerechtes Wahlsystem beinhaltet. Kurz vor der politischen Sommerpause haben wir unseren Vorschlag mit Gesetzestext ans Präsidium weitergereicht, das ihn zur Prüfung freigegeben hat. Anschliessend haben wir die Vorlage im Landesvorstand sowie in der Fraktion vorgestellt und diskutiert. Ende Oktober folgte dann die Übergabe an den Parlamentsdienst und die gemeinsame Pressekonferenz mit der Fraktion.

Worin liegt die Problematik des bisherigen Systems?
Marc Büchel: Das jetzige Wahlsystem – das «Hagenbach-Bischoff-Verfahren» – weist verschiedene Problemfelder auf. Wie die Ergebnisse der Landtagswahlen 2021 zeigten, spiegelt die Zuteilung den Wählerwillen nicht korrekt wider. Das jetzige Verfahren führt aufgrund der fehlerhaften Abbildung des Wählerwillens dazu, dass eine Partei mehr Sitze erhalten kann als ihr zustehen. Dies bedeutet auch, dass eine andere Partei weniger Sitze erhält, als ihr gemessen an den Wählern zustehen würde. Das Hauptproblem liegt in den Parteistimmen. Bei den Landtagswahlen 2021 wurde der Wahlsieger anhand der Parteistimmen ermittelt, was zum Scheitern verurteilt ist, da Bürger aus dem Ober- oder Unterland eine ungleiche politische Gewichtung haben. So hat beispielsweise ein Bürger aus dem Unterland 10 Parteistimmen zur Verfügung, während ein Bürger aus dem Oberland über 15 Parteistimmen verfügt. Dies bedeutet, dass bei der Zusammenzählung der Parteistimmen drei Unterländer die gleiche Stimmenanzahl erreichen können wie zwei Oberländer.  Dies führt zu einem verzerrten Wahlergebnis. 

Interview mit Nico Büchel und Marc Büchel (Foto: Michael Zanghellini)

Was versteht man unter der Wählerstimme gemäss euren Vorschlag? Wie setzt sich diese zusammen?
Nico Büchel: Die neue Wählerstimme kann berechnet werden, indem die Parteistimmen durch die Anzahl der Sitze im Wahlkreis geteilt werden. Im Oberland durch 15 und im Unterland durch 10. Mit diesem Schritt wird die Stimmkraft bereinigt. Dadurch soll erkennbar sein, wie viele Wähler hinter einer Partei stehen. Angenommen, eine Partei hat im Oberland 45 Parteistimmen und im Unterland 30 Parteistimmen und bereinigt man diese, sind es je Wahlkreis drei Wählerstimmen. Zusammengerechnet wären das dann sechs Wählerstimmen auf Landesebene. Die Wählerstimme auf Landesebene ist die Berechnungsgrundlage für die Verteilung der Sitze, die Sperrklausel und die Parteifinanzierung. Es wäre somit nicht mehr von Belang, in welchem Wahlkreis eine Partei stark ist. 

Verfolgt die Partei mit der Änderung des Rechenverfahrens nicht eigennützige Ziele?
Marc Büchel: Das Ziel der Änderung des Wahlsystems dient dazu, den Wählerwillen genauer abzubilden. Viele der Kritiker verkennen, dass die Änderung des Wahlsystems auf die Sitzverteilung der meisten Landtagswahlen keinen Einfluss haben würde. In Bezug auf die Sperrklausel und Parteifinanzierung würde die Änderung bei jeder Landtagswahl ihre gewünschte Änderung bewirken. Lediglich in den Fällen, in denen das jetzige Wahlsystem den Wählerwillen fehlerhaft abbilden würde, wird es bei Anwendung unseres Vorschlags zu einer anderen Sitzverteilung kommen. Es ist daher klar, dass sich jene gegen den Vorschlag aussprechen, welche momentan von der fehlerhaften Abbildung des Wählerwillens profitieren. Die Kritik, dass wir eigennützige Ziele verfolgen, halten wir daher für unbegründet.

Was ändert sich für die Wähler?
Nico Büchel: Die angestrebte Änderung betrifft das Berechnungsverfahren des Volksrechtegesetzes, weshalb eine Änderung der Verfassung nicht notwendig ist. Daher wird sich am Wahlakt, dem Ausfüllen des Stimmzettels oder der Abgabe per Brief beziehungsweise an der Urne nicht ändern. Es sind im Unterland weiterhin zehn und im Oberland 15 Linien auf dem Stimmzettel. Streichen und Draufschreiben bleibt ebenfalls möglich. Für die Wähler konkret ändert sich daher nur, dass ihre Stimme die gleiche Gewichtung wie die Stimme eines Wählers im anderen Wahlkreis hat. Dies erachten wir als fair und richtig. 

Welche Nachteile bringt der «Doppelte Pukelsheim» mit sich?
Marc Büchel: Als Nachteil könnte die erhöhte mathematische Komplexität des «Doppelten Pukelsheim» gegenüber dem bisherigen «Hagenbach-Bischoff-Verfahren» gesehen werden. Damit man aber den Wählerwillen exakter abbilden kann, ist eine mathematisch kompliziertere Berechnung notwendig. Doch lohnt sich dies, um den Willen des Volkes abzubilden und somit die Demokratie weiter zu stärken. Die Vorteile überwiegen klar.

Wieso habt ihr euch für eine Anpassung des Wahlsystems und nicht für die Auflösung der Wahlkreise entschieden?Nico Büchel: Auf den ersten Blick mag es erscheinen, als ob die angestrebte Änderung nur einen halben Schritt darstellt. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass ein Berechnungsverfahren, das den Wählerwillen genau widerspiegelt, in Kombination mit den Wahlkreisen die beste Lösung ist.

Die Abschaffung der Wahlkreise mag scheinbar die Probleme von Parteistimmen, Sperrklauseln und Parteienfinanzierung lösen, birgt jedoch auch die Gefahr neuer Probleme. Gesetzesänderungen sollten dazu dienen, bestehende Probleme zu beheben, anstatt neue zu schaffen. 

Marc Büchel: Zudem ist, würden die Wahlkreise abgeschafft, nicht mehr sichergestellt, dass eine angemessene Repräsentation aller Gemeinden und Landschaften gewährleistet ist. Die Existenz der Wahlkreise geht auf die Münzwirren in den 1870er-Jahren zurück. Zuvor gab es noch keine Wahlkreise, wobei am Ende die wohl grössten innenpolitischen Krise des Landes mit der Bildung der beiden Wahlkreise gelöst wurde. Zurückblickend war die Einführung der Wahlkreise massgebend für die Existenz des Landes. Seitdem sind sie ein fester Bestandteil des politischen Systems und haben sich bewährt. 

Dann wird an den Wahlkreisen definitiv nicht gerüttelt?
Marc Büchel: Kleine Wahlkreise ermöglichen es den Politikern, persönliche Beziehungen aufzubauen und ein genaueres Bild von den Ansichten und Positionen der jeweiligen Bevölkerung zu bekommen. Zudem müssen die Politiker nur in einem Wahlkreis Wahlkampf betreiben, eine Auflösung der Wahlkreise wäre daher ein deutlicher Rückschritt, den die Junge FBP entschieden ablehnt.