Derzeit stehen wegweisende Entscheidungen für Liechtenstein an, während andere im zu Ende gehenden Jahr in Kooperation von Landtag und Regierung gefällt werden konnten. Daniel Risch informiert über die wesentlichen Meilensteine und zeigt auf, wie er als Regierungschef dazu beitragen möchte, das «Team Liechtenstein» zum Erfolg zu führen.
Interview: Heribert Beck
Herr Regierungschef, welche Themen, Vorstösse und Agenden werden Ihnen besonders im Gedächtnis bleiben, wenn Sie auf das zu Ende gehende Jahr zurückblicken?
Regierungschef Daniel Risch: Mir kommt es so vor, dass 2023 recht schnell vergangen ist. Das wird unter anderem daran liegen, dass wir inhaltlich wirklich viel bewegen beziehungsweise voranbringen konnten. Um einige Beispiele aus meinem Ministerium zu nennen: Mit dem horizontalen Finanzausgleich konnte gleich zu Beginn des Jahres ein Meilenstein gesetzt werden, was mich sehr gefreut hat. Bei der Neuaufstellung der staatlichen Pensionskasse und beim Beitritt zum Internationalen Währungsfonds sind wir wesentliche Schritte vorangekommen. In Sachen Pensionskasse hat der Landtag den Variantenbericht der Regierung eingehend diskutiert und einen Richtungsentscheid gefällt. Das Gleiche gilt für den IWF-Beitritt, mit dem ich schon 2022 an den Landtag gelangt bin. Das wäre zu diesem Zeitpunkt nicht nötig gewesen, mir war es aber wichtig, das Parlament in diesem Prozess frühzeitig einzubinden und abzuholen. Die Vorbereitungen im Beitrittsprozess haben uns dann das ganze laufende Jahr über beschäftigt. Ende November und Anfang Dezember war eine «Membership Mission» des IWF zu Gast in Liechtenstein, die sich von unseren Vorarbeiten wie vom Besuch selbst durchaus begeistert gezeigt hat. Voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024 wird das Thema final im Landtag diskutiert werden können.
«Mir ist es wichtig, den Landtag frühzeitig einzubinden und abzuholen.»
Ausserdem war das Jahr 2023 auch für mich als Regierungschef von der Aussenpolitik beziehungsweise der Besuchsdiplomatie geprägt. Ich denke zum Beispiel an das Europaratsgipfeltreffen in Island, an das hochrangige Treffen der Premierminister der EWR-Staaten in Oslo oder die Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau und Spanien. An solchen Anlässen Kontakte zu pflegen, über Liechtenstein zu informieren und sich mit Regierungschefs, Ministern sowie Spitzenbeamten auszutauschen, ist gerade für einen Kleinstaat von grosser Bedeutung. Ich habe immer wieder sehr positive Rückmeldungen erhalten, wie gut der Staat, die Verwaltung, das öffentliche Leben in Liechtenstein funktionieren. Für die Menschen in unserem Land war 2023 ein schwieriges Jahr, aber wir sind stabil aufgestellt, und vieles funktioniert besser als in anderen Staaten. Das müssen wir uns unbedingt erhalten. Es bedeutet aber nicht, dass wir Gutes nicht noch besser machen können. So ist es beispielsweise nun an der Zeit, das Verhältnis von Kirche und Staat, das die Politik bekanntlich schon lange beschäftigt, einer Lösung zuzuführen.
Damit sind Sie sozusagen schon beim Ausblick. Was ist bezüglich dieses Verhältnisses geplant?
Wir sind 2023 einen entscheidenden Schritt weitergekommen, indem wir eine sehr breite Vernehmlassung durchgeführt haben. Die Rückmeldungen sind ebenfalls sehr breitgefächert ausgefallen. Sie reichen von «Die Regierung müsste noch viel weiter gehen» bis «Alles sollte so bleiben, wie es ist». Als nächstes werden wir den Landtag mit dem Thema begrüssen und seine Meinung abholen. Ich denke aber, das Herausragende an unserem Vorschlag ist, dass niemandem etwas weggenommen wird, manche Religionsgemeinschaften werden aber bessergestellt und stärker integriert. Ich glaube nicht, dass man daran etwas Schlechtes finden kann.
Die Medienförderung dürfte Liechtenstein 2024 ebenfalls beschäftigen.
Die Neuorganisation wird sicher nächstes Jahr im Landtag behandelt. Dabei handelt es sich zwar nicht um eine Vorlage aus meinem Ministerium. Aber auch ich stelle fest, dass der Wegfall des «Volksblatts» der Liechtensteiner Medienlandschaft nicht gutgetan hat. Für die Bevölkerung war es wichtig, zwei Zeitungen zu haben, die sich gegenseitig kontrollieren – inhaltlich wie qualitativ. Nun ist ein Vakuum entstanden, das die anderen Medien noch nicht zu füllen in der Lage sind. Die Medienlandschaft muss sich definitiv weiterentwickeln. Sicher soll auch die optimierte Medienförderung dazu beitragen.
Landtag und Regierung sind also in einem guten Austausch, gerade bei den zentralen Agenden. Dennoch sieht es so aus, als käme 2024 eine Reihe von Urnengängen auf Liechtenstein Stimmberechtigte zu. Bei den drei Abstimmungen vom 21. Januar dürfte es jedenfalls nicht bleiben. Was ist für Sie der zentrale Vorstoss?
Zunächst einmal finde ich es als Demokrat grossartig, wenn Abstimmungen anstehen. Dann wird die Politik in Liechtenstein intensiv gelebt, es wird diskutiert und ein Wettkampf um die besseren Argumente findet statt. Was kommendes Jahr der massgebende Abstimmungsgegenstand ist, muss jeder für sich beantworten. Das hängt selbstverständlich auch mit der persönlichen Betroffenheit zusammen. Für mich ist es aber ganz klar die Initiative zur Volkswahl der Regierung beziehungsweise zum Einbezug der Bevölkerung bei der Wahl der Regierung, wie die Initiative eigentlich benannt ist. Das liegt nicht daran, dass ich Regierungschef bin, sondern an der Tatsache, dass eine Verfassungsänderung immer ein massgebender Schritt ist.
«Bei Licht betrachtet haben wir in unserem Land definitiv keine Verbotskultur.»
Denn durch sie ändert sich der Staatsaufbau. Leider ist der Titel der Initiative irreführend. Die Bevölkerung ist schliesslich über den Landtag bereits heute in die Wahl der Regierung eingebunden. Aber ist es ist das gute Recht jedes Einzelnen und jeder Partei, Vorstösse zu lancieren. Ein demokratischer Staat basiert auf Rechten und Pflichten. Nun könnte man gewisse Pflichten, wie sie in praktisch jedem Gesetz vorkommen, auch Verbote nennen. Bei Lichte betrachtet haben wir in unserem Land aber definitiv keine Verbotskultur, womit wir bei den Abstimmungen vom Januar 2024 wären. Mit den Energievorlagen will die Regierung nichts verbieten, aber eben gewisse Dinge fördern und andere erschweren, um den Umstieg auf erneuerbare Energien voranzutreiben. Andererseits stellen Staat und Gemeinden auch beachtliche Fördermittel zur Verfügung.
Damit sind Sie beim Stichwort Finanzen angelangt. Wie haben Sie die Debatte zum Landesvoranschlag im November-Landtag erlebt?
Dass ein Staatsbudget so reibungslos verabschiedet wird, ist im internationalen Vergleich nicht selbstverständlich. Das zeigt einmal mehr, wie gut Liechtenstein finanziell und von den politischen Abläufen her aufgestellt ist. Speziell war einzig, dass es in einer Budgetdebatte eigentlich um das grosse Ganze gehen sollte, während dieses Jahr vor allem die Stärkung der Pflegeberufe im Zentrum stand. Für die Organisationen der Pflegeberufe und für jede einzelne Pflegekraft habe ich grosses Verständnis und grosse Sympathie. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass die entsprechenden Erhöhungen über den ordentlichen Weg abgewickelt hätten werden können, also über die Regierung an den Landtag. Dann können wir die entsprechenden Prüfungen vornehmen und anschliessend selbst an den Landtag gelangen. Diese Abklärungen nehmen wir nun in diesem Fall nachträglich vor.
Es schien als Zuhörer der Debatte aber auch so, dass eine Reihe von verfrühten Wahlgeschenken verteilt wurde.
Nun, wir befinden uns nicht mehr in der Sparphase, in der alle das Gleiche wollten. Nun möchten viele Abgeordnete offenbar wieder etwas Gutes tun. Das ist das Recht des Landtags, der ja über die Finanzhoheit verfügt. Interessant ist aber, dass die begünstigten Institutionen teils gar nichts von ihrem Glück wussten (schmunzelt).
Für gewisse Diskussionen hat ebenfalls der Stellenplan der Landesverwaltung gesorgt.
Auch diese Diskussion habe ich als konstruktiv erlebt, da es sich zu einem grossen Teil um Stellen handelte, die für die Sicherheit der Bevölkerung von Bedeutung sind. Generell ist es so, dass die zuständigen Amtsstellen in der Landesverwaltung im Februar, spätestens März mit der Planung des Landesvoranschlags für das Folgejahr und damit auch des Stellenplans beginnen. Sie budgetieren realistisch und belastbar. Gerade im Sicherheitsbereich war die Planung dieses Jahr aber nicht ganz einfach. Die Krise im Nahen Osten hat für uns alle überraschend am 7. Oktober ihren Anfang genommen. Wir haben dann kurzfristig reagiert und neuen Stellen beantragt. Das ist unüblich, aber den Erfordernissen geschuldet. Dass dies zu keinem grossen Protest im Landtag geführt hat, liegt sicher auch daran, dass wir generell nicht einfach neue Stellen schaffen. Wir schauen jede einzelne genau an, beurteilen ihre Notwendigkeit und wägen ab, ob wir sie wirklich beim Landtag beantragen. Klar sagen muss ich aber, dass wir das grüne Licht der Abgeordneten im November nicht als Einladung zu einem weiteren Personalausbau verstehen. Auch in Zukunft werden wir nur so viele Stellen beantragen, wie wir wirklich benötigen. Dass dies seit jeher so gehandhabt wird, zeigt sich daran, dass Liechtenstein nach wie vor eine sehr niedrige Staatsquote aufweist – nicht nur in absoluten Zahlen haben wir eine schlanke Verwaltung, sondern auch im Grössenverhältnis zu anderen Staaten. Und diese kleine Verwaltung leistet wirklich Grosses.
Weg von der Verwaltung und nochmals zurück zum Landtag: Ihre Aussagen zum Urteil des Staatsgerichtshofs, dass die Mandate von stellvertretenden Landtagsabgeordneten nicht an eine Wählergruppe gebunden sind, hat stellenweise für Erstaunen gesorgt. Stellen Sie Parteitreue tatsächlich über das Mandat?
Natürlich nicht. Generell ist ein Urteil des Staatsgerichtshofs wie ein Votum des Volkes zu akzeptieren. Das tue ich uneingeschränkt. Mich beeinflusst das Urteil auch überhaupt nicht. Die Regierung ist in ihrer Einschätzung der Situation im Vorfeld lediglich zu einer anderen Ansicht gelangt als der Staatsgerichtshof. Die Mandate der stellvertretenden Abgeordneten wurden einst geschaffen, um die Mehrheitsverhältnisse, die bis in die 1980er-Jahre bei zwei Parteien und 15 Abgeordneten meist äusserst knapp waren, sicherzustellen. Das kann man heute anders sehen. Aber der Landtag ist der Gesetzgeber und hat es in der Hand, die Grundlagen zu ändern, wenn es ihm wichtig erscheint.
Apropos Grundlagen ändern: Wie stehen Sie zum Vorstoss der FBP, das Wahlsystem anzupassen und ein doppelproportionales Verfahren beziehungsweise den «Doppelten Pukelsheim» einzuführen?
Ich habe es schon erwähnt: Ich bin immer dafür, Gutes noch besser zu machen. Unser Wahlsystem hat in der Vergangenheit die Stabilität garantiert und ist damit etwas Gutes. Die Frage ist, ob genau dieser Vorstoss zu einer Verbesserung beiträgt. Ein Blick in die Schweizer Nachbarschaft zeigt, dass der «Doppelte Pukelsheim» ein recht komplexes Verfahren ist. Ich denke, wenn wir das System anpassen, sollten wir eine ganzheitliche Herangehensweise wählen. Denn es ist derzeit auch so, dass dem Unterland im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nur neun Abgeordnete zustehen würden. Dennoch gibt es die historisch begründete Quote, die sich in den Wahlkreisen manifestiert und gemäss der dem Unterland zehn Mandate zustehen. Irgendwann wird es wohl auf die Abschaffung der Wahlkreise hinauslaufen – und ich denke, dass es auch ein Mehr an Demokratie bedeuten würde, wenn ein Ruggeller eine Kandidatin aus Triesenberg wählen kann und eine Balznerin einen Kandidaten aus Mauren. Derzeit trägt das Wahlsystem, wie Liechtenstein es kennt, aber, wie gesagt, zur Stabilität bei. Ich sehe im Moment also auch keinen Grund, es ohne Not zu ändern.
«Ein Captain feuert an, freut sich über Erfolge, muss auch einmal auf den Tisch klopfen. Garantieren, dass jeder einmal ein Tor schiesst, kann aber auch ein Captain nicht.»
Wir haben nun viel über die Beteiligung des Volkes am demokratischen Prozess und über die Einbindung des Landtags durch die Regierung gesprochen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit in der Regierung selbst? Es macht den Anschein, dass die Regierung nicht immer geeint auftritt. Ist der Lack beim «Team Liechtenstein» nach drei Jahren schon ab?
Jeder, der einen Mannschaftssport betreibt oder betrieben hat, weiss, dass in einem Team nicht immer nur Friede und Freude herrschen. Wie in jedem Team gibt es auch in der Regierung einen Captain. So interpretiere ich meine Rolle als Regierungschef in diesem Zusammenhang jedenfalls. Ein Captain feuert an, freut sich über Erfolge, muss auch einmal auf den Tisch klopfen, wenn es nicht so läuft. Garantieren, dass jeder einmal ein Tor schiesst, kann aber auch ein Captain nicht. Ausserdem ist er nicht für die Zusammensetzung des Teams zuständig. Das ist die Rolle des Trainers, und der steht ausserhalb des Platzes. Um beim Bild zu bleiben, sind die Souveräne Fürst und Volk die Trainer oder letztlich die Clubbesitzer des Teams Liechtenstein.
Was wünschen Sie dem Souverän Volk für den Jahreswechsel und für 2024?
Viel Glück. Das ist ein Wunsch, der oft leicht daher gesagt wird. Aber genau das wünsche ich uns allen, denn Glück ist etwas von Wichtigsten im Leben. Es ist die Grundvoraussetzung für ein sonniges Gemüt, das in den schwierigen Zeiten, in denen wir derzeit leben, noch wichtiger ist als sonst. Besonders bedeutend ist das selbsterarbeitet Glück, dessen Schmied gemäss Volksmund jeder und jede selbst ist. Wir können immer wieder der Schmied unseres Glückes zu sein, auch 2024 wieder – und dabei wünsche ich uns allen eine glückliche Hand.