„IM LÄNDLE REGIERT RICHTER KAFKA“

NZZ-Original vom 1.Oktober 2023

Ein grotesker Rechtsstreit bringt den Anwalt Thomas Kindler um Amt und Geld. Ein Drama in fünf Akten

Zitat aus NZZ am Sonntag 1. Oktober 2023

Autor: Guido Schätti

 

In der NZZ am Sonntag, 1. Oktober 2023 konnte man einen interessanten Beitrag über einen Rechtsstreit lesen, der ein schlechtes Licht auf Liechtensteins Treuhandwesen wirft und in dem auch einer unserer Richter involviert ist. Wir haben diesen Beitrag zugespielt bekommen und möchten ihn unserer Leserschaft nicht vorenthalten, nachdem er in keiner einzigen Liechtensteiner Zeitung, Zeitschrift usw. veröffentlicht wurde.

ZITAT

«Auch wenn die Zeiten des Schwarzgeldes vorbei sind, bietet die liechtensteinische Familienstiftung noch immer einige Vorteile. Doch eine Stiftung kann auch zur Falle werden. Das zeigt das Beispiel von Thomas Kindler. Der Stiftungsstandort Liechtenstein hat eine lange Tradition, die Familienstiftung galt als uneinnehmbare Trutzburg. Viele wohlhabende Deutsche wussten dies zu nutzen. Auch der deutsche Bauunternehmer Hermann Hartlaub übersiedelte deshalb 1974 ins Fürstentum. Der Träger des Bayerischen Verdienstordens hatte sich in der Nachkriegszeit ein Immobilienimperium erschaffen, das von München bis Berlin reicht. Hartlaub war steinreich, hatte aber keine Kinder. Zu seinen Erben erkor er die Söhne eines Studienfreundes, noch als Teenager nahm er die Gebrüder Kindler unter seine Fittiche.

Erster Akt: Bruderzwist

Als Hartlaub 2004 stirbt, scheint alles bestens geregelt: Immobilien und Vermögen liegen in zwei Stiftungen, die Brüder sitzen in den Stiftungsräten. Beide sind zu gleichen Teilen begünstigt, beiden haben ausgesorgt. Allein die Immobilien sind 250 Mio. € wert. Doch die Brüder misstrauen sich. Jeder glaubt, der andere greife heimlich in die Kasse. 2015 sieht Thomas seinen Verdacht bestätigt: Sein Bruder habe im Laufe der Jahre 468 000 Euro in bar abgehoben. Als er ihn zur Rede stellt, erhält er keine Auskunft. Da zieht er vor Gericht: Er verlangt Belege, wofür das Geld verwendet wurde. Das ist der Anfang von Kindlers Albtraum.

Zweiter Akt: Urteil

Die Gerichte geben ihm recht. Sein Bruder muss nachweisen, wofür er das Geld brauchte. Gleichzeitig lanciert dieser eine Gegenattacke: Er klagt auf Absetzung von Thomas als Stiftungsrat. Als Stiftungsratspräsident und Begünstigter habe dieser einen Interessenkonflikt. Das Fürstliche Obergerichtkommt zwar zum Schluss, dass Thomas Kindler weder eine Pflichtverletzung begangen noch gegen den Stifterwillen verstossen habe. Dieser Nachweis sei aber gar nicht erforderlich, «sondern es Im Ländle regiert Richter Kafka kommt einzig auf den blossen äusseren Anschein einer möglichen Interessenkollision an». Die ver- quere Logik: Wenn sich zeigen sollte, dass der eine Bruder unberechtigt Geld abgehoben hatte, würde der andere von der Rückzahlung profitieren. Kindler wähnt sich in einem Roman von Franz Kafka: «Man hätte mich absetzen müssen, wenn ich nichts unternommen hätte, einen möglichen Schaden von der Stiftung abzuwenden. Aber genau das habe ich ja getan und bezahlte dafür mit der Absetzung.» Der Staatsgerichtshof, das Liechtensteinische Verfassungsgericht, bestätigt das Urteil im Sommer 2022.

Dritter Akt: Verbannung

Thomas Kindler fliegt nicht nur aus dem Stiftungsrat, auch seinen Posten als Geschäftsführer und Immobilienverwalter ist er bald los. Nach 30 Jahren steht er ohne Aufgabe da. Stattdessen bestellt das Fürstliche Landgericht einen Anwalt in den Stiftungsrat, der zur Verstärkung bald einen zweiten beizieht. Für ihre Dienste lassen sie sich fürstlich entlöhnen: Pro Arbeitsstunde verrechnen sie der Stiftung mehr als 600 Fr., für das Jahr 2021 stellen sie laut Gerichts- unterlagen insgesamt 280 000 Fr. in Rechnung. Die Kosten für externe Liegenschaftsverwalter kommen noch obendrauf. Die bei- den Anwälte sehen darin nichts Unrechtes: Stundenansätze zwischen 300 Fr. und 1000 Fr. seien in Liechtenstein orts- und branchenüblich. Mit seiner Obstruktion gegen die Gerichtsurteile verursache Kindler zudem einen enormen Mehraufwand und sei für einen Teil der Kosten selber verantwortlich.

Vierter Akt: Endspiel

Tatsächlich wehrt sich Kindler mit allen Mitteln gegen seine Entmachtung. Er bombardiert die Gerichte mit Anzeigen wegen Veruntreuung und Nötigung, fordert die Absetzung der neuen Stiftungsräte und versendet E-Mails mit zweifelhaftem Inhalt. Zudem transferiert er Geld von der Hartlaub-Stiftung auf eine zweite von ihm kontrollierte Stiftung und löst einen Liquiditätsengpass aus.

Die Bilanz seiner Bemühungen ist bescheiden. Kindler scheitert mit sämtlichen Klagen, nun droht ihm auch ein finanzielles Desaster. Die beiden Anwälte liessen ein Gutachten erstellen, das seinen Status als Begünstigter infrage stellt. Gibt ihnen ein Gericht recht, wäre Kindler definitiv draussen: Er würde kein Geld mehr erhalten und könnte sich auch nicht dagegen wehren. Denn mit der Begünstigung verliert er das Recht, zu klagen. Das finale Urteil steht noch aus.

Fünfter Akt: Nachspiel

Ein Bruderzwist um ein paar hunderttausend Euro wird zum Millionengrab. Kindler hat sich im Dickicht des Liechtensteiner Stiftungsrechts verstrickt. Der Fall geht aber über sein Einzelschicksal hinaus. Denn mit seinem Urteil hat der Staatsgerichtshof neues Recht geschaffen. Für lokale Stiftungsräte, die von Gesetztes wegen in jeder Stiftung vertreten sein müssen, könnte es leichter werden. Familienmitglieder aus Stiftungen zu entfernen. Denn der Anschein einer Interessenkollision ist leicht zu finden, wenn diese im Stiftungsrat sitzen.

Leute, die ihr Vermögen in Liechtenstein parkiert haben, müssen hellhörig werden, zumal untreue Treuhänder im Ländle Tradition haben.  Das Urteil sei eine Gefahr für die Attraktivität des Stiftungsstandor tes Liechtenstein, sagt Kindlers Anwalt Johannes Gasser. «Die Gerichte schränken die Rechte von Begünstigten zusehends ein. Es gibt eine Ungleichbehandlung zwischen Familienbegünstigten und Berufstreuhändern.» Stifter müssten sich fragen, ob ihre Kin- der im Stiftungsrat wirklich die Kontrolle wahrnehmen könnten.

Auch Dominique Jakob, Professor für Stiftungsrecht an der Universität Zürich, meldet gewisse Vorbehalte an. «Das Urteil ist tatsächlich seltsam, Teile der Begründung sind wenig überzeugend», sagt er. Gleichzeitig warnt er aber vor Generalisierungen. «Das Urteil darf nicht überinterpretiert werden. Es ist kein Freipass, dass Treuhänder Familienmitglieder aus Stiftungen entfernen können.» Ohne ein Gerichtsurteil sei dies auch in Zukunft nicht möglich. «Liechtenstein ist zwar klein, verfügt aber über eine funktionierende Justiz.»